Mexiko in Aufruhr :
Nie ein Rechtsstaat

Daniel Deckers
Ein Kommentar von Daniel Deckers
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Demonstranten vor dem Palacio Nacional, dem Regierungssitz in Mexiko-Stadt
Seit Jahren versinkt Mexiko im blutigen Terror der Drogenkartelle. Nach dem Massaker von Iguala protestieren nun Zehntausende. Doch nichts deutet darauf hin, dass ein Ende der Gewalt in Sicht ist.

Vor gut fünf Jahren ließ sich die damalige amerikanische Außenministerin Hillary Clinton zu der Aussage hinreißen, das südliche Nachbarland Mexiko sei auf dem besten Weg ein „gescheiterter Staat“ zu werden.

Ein nationaler Aufschrei der Empörung war die Folge: Die Kulturnation mit der zweitgrößten Volkswirtschaft in Lateinamerika und einem zwar noch jungen, aber institutionell gefestigten Mehrparteiensystem auf eine Stufe mit Afghanistan oder Zimbabwe zu stellen sei Ausweis typisch nordamerikanischer Blindheit für den eigenen Anteil an den Übeln dieser Welt.

Denn mochten auch Zehntausende Mexikaner im Jahr im Kugelhagel sterben oder schlicht verschwinden, so könne Mexiko den Kampf gegen das Rauschgift nicht gewinnen, solange der größte Rauschgiftmarkt der Welt nebenan liege und von dort überdies die Schusswaffen kämen, mit denen sich die Banden wechselseitig massakrierten.

In diesen Tagen reagierten die Mexikaner kaum anders, stellte man sie wegen des Massakers von Iguala an mehr als vierzig angehenden Lehrern an den Pranger der Weltöffentlichkeit. Haben Präsident Peña Nieto und die drei großen Parteien PRI, PAN und PRD nicht vor zwei Jahren einen „Pakt für Mexiko“ geschlossen und seither mit in Stein gemeißelten Privilegien aufgeräumt und Monopole aufgebrochen, die eine Ewigkeitsgarantie zu besitzen schienen?

So ist es – aber das ist bestenfalls die halbe Wahrheit der Jahre 2009 wie 2014. Denn paradoxerweise haben gerade das Ende der mehr als siebzigjährigen Herrschaft des PRI im Jahr 2000 und die nachfolgende Demokratisierung mehr zu der Eskalation der Gewalt beigetragen als alles andere.

An die Stelle einer vom Präsidentenpalast bis in die letzten Winkel des Landes reichenden Kollusion von Politik und organisiertem Verbrechen unter der Bedingung prinzipieller Straflosigkeit aller Beteiligten trat der Kampf rivalisierender Parteien und Kartelle um Pfründen, Territorien und Schmuggelrouten für „Material“ jeder Art: Rauschgift, Migranten, Öl – und das nach wie vor in einem Klima prinzipieller Straflosigkeit. Mexiko ist nicht „gescheitert“.

Das Land war nie ein Rechtsstaat, und nichts und niemand deuten derzeit daraufhin, dass Mexiko im Begriff ist, ein solcher zu werden. Iguala war nicht der Anfang und wird auch nicht das Ende sein.