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Kultur

„Eine Feier des Moments“

Techno-Ballett im Berghain: Der Malerstar Norbert Bisky über sein apokalyptisches Bühnenbild für „Masse“, Ego-Nummern und seine Faszination für Körper

Tagsüber herrscht Leere vor dem Berghain. Nur ein paar eiserne Gitter erinnern daran, dass hier am Wochenende Hunderte Partygänger anstehen in der Hoffnung, die Tür zum berühmtesten Techno-Club der Welt zu passieren. Doch nun geht es auf die andere, ungenutzte Seite des riesigen ehemaligen Heizkraftwerkes. Hier hat am Samstag „Masse“ Premiere, eine Koproduktion des Berliner Staatsballetts mit dem Berghain. Die Musik haben Techno-DJs wie Henrik Schwarz oder das Duo DIN komponiert, das Bühnenbild stammt von dem Berliner Maler Norbert Bisky. Auch für ihn ist es eine Premiere – zum ersten Mal in seiner Karriere ordnet er sich einem Ensemble unter.

Die Welt:

Herr Bisky, Sie sind Maler, Ihre Werke hängen im New Yorker MoMa und in anderen großen Museen. Nun entwerfen Sie zum ersten Mal ein Bühnenbild. Warum?

Norbert Bisky:

Ich hatte schon mehrere Anfragen, die ich immer abgesagt habe. Diesmal hat mich die Kombination gereizt. Da sind das Staatsballett, die Choreografen und die Electro-Musiker, dazu kommen der historischen Ort und der berühmte Club.

Was verbindet Sie mit dem Berghain?

Ganz ehrlich? Ich war in meinem Leben öfter im Ballett als im Berghain. Aber ich bin circa 1000 Meter Luftlinie von hier zur Schule gegangen und habe ein besonderes Verhältnis zu Friedrichshain. Hier ist so viel Geschichte passiert. Die Russen sind hier einmarschiert, es wurde viel zerstört. Und in der DDR wurde dann die monströse Stalinallee (heute Karl-Marx-Allee, d. Red.) gebaut, die von diesem Kraftwerk beheizt werden sollte. Von außen kann man das gut erkennen, die Fassade hat dieselben pseudoklassizistischen Elemente wie die Gebäude in der Stalinallee.

Das Gebäude ist ein Industriedenkmal. Die Halle, in der Ihre Bühne steht, ist 17 Meter hoch. Wie schwer ist es, sich mit seiner Kunst gegen diese monumentale Architektur zu behaupten?

Man kann gegen die Architektur oder mit ihr arbeiten. Ich habe mich für Letzteres entschieden. Außerdem kam ich nicht nur als Maler hierher, denn ich habe in letzter Zeit auch einige Installationen gebaut. Zum Beispiel habe ich in New York Rettungsflöße in die Galerie gequetscht und die Wand zerhauen, alles Dinge, die einen Bezug zu meinem Bühnenbild haben.

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Als Maler ist man Einzelkämpfer, jetzt sind Sie Teil eines Ensembles. Was ist das für ein Gefühl?

Hier ziehen alle an einem Strang, für mich eine schöne Erfahrung, die sich sehr von meinem Alltag unterscheidet. Das wird meine Arbeit sicherlich verändern.

Sie haben also kein Problem damit, als Künstler hier nur einer von vielen zu sein?

Ich arbeite mit fantastischen Leuten zusammen, da wäre ich ja bescheuert, wenn ich eine Egonummer abziehen und riesige Leinwände hier reinstellen würde. Viel lieber stelle ich mich in den Dienst des Abends.

Wie passt die Subkultur, die im Berghain zelebriert wird, zur sogenannten Hochkultur, für die das Ballett steht?

Dieser Gegensatz war schon immer Blödsinn, er existiert nur im Kopf der Leute. Ein Musiker wie Henrik Schwarz versetzt als DJ Tausende Tänzer in Ekstase und spielt parallel dazu CDs mit Orchestermusikern ein. Viele der Beteiligten vereinen in ihrer Person Hoch- und Subkultur.

Wie haben Sie sich dem Raum angenähert?

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Das hier ist eine leere, kalte Industriehalle, es war schnell klar, dass wir die Bühne komplett neu bauen müssen. Daraus habe ich eine Tugend gemacht und die Bühnen so gestaltet, dass sie wie eine zähflüssige Masse aus der Wand herausläuft und in den Raum schwappt.

Was ist die Idee hinter dieser amorphen Form?

Die Idee ist mir an der Copacabana gekommen, wo man diese geschwungenen Formen oft sieht. Der brasilianische Landschaftsarchitekt Roberto Burle Marx hat dort mit seinen organischen Entwürfen die Schwünge der Landschaft aufgenommen. Ich fand: Das funktioniert hier auch, denn warum muss eine Bühne immer eckig sein? Außerdem passt das zum Thema des Projektes. Masse ist nicht in den Griff zu kriegen, und mein Bühnenbild betont diesen unkontrollierbaren Aspekt.

Und was hat es mit dem schrottreifen Bus auf sich, der aus der Bühne emporragt?

In der Romantik hat man Menschen gerne inmitten von Ruinen abgebildet, deswegen die Busruine. Aber es gibt viele Bezüge, der Bus soll auch eine Verbindung zum Alltag herstellen. Ich habe mich viel mit Urbanität beschäftigt, mit Megastädten. Warum entscheiden sich auf einmal so viele Menschen dafür, in riesigen Gemeinschaften zu leben? Historisch gesehen gibt es das noch nicht lange. Berlin ist gegen diese Moloche mit über zehn Millionen Einwohnern eine kleine Gartenstadt.

Wohin führt diese Entwicklung?

Sie hat viele negative Seiten, diese Megastädte sind sehr verwundbar, es gibt dort Katastrophen, Unfälle, Terroranschläge. Dieser Bus ist ein einfaches Zeichen für das alles, er repräsentiert die Stadt als Schicksalsgemeinschaft.

Die Szenerie hat etwas Apokalyptisches.

Diese Halle ist ein Ort voller Narben, mit einer Geschichte. Eine postindustrielle Halle, wie man sie weltweit finden kann.

… die aber zugleich für ein Zeitalter steht, das vorbei ist, nämlich die DDR.

Genau. Doch genauso gut könnte sie in der Ukraine, in Kasachstan, in Detroit oder Baltimore stehen. Ich habe den Bus bewusst so platziert, dass man denken könnte, er war schon immer hier. Er wurde von dieser schwarzen Masse an die Säulen geschwemmt.

Was für ein Kontrast, die filigranen Körper der Tänzer in diesem massiven Bühnenraum.

Es ist phänomenal, mit wie viel Schönheit man beim Ballett konfrontiert wird. Mein Gedanke war: Wie kann ich es erreichen, dass der Tanz noch besser aussieht, ohne Zuckerguss drüberzugießen? Ballett ist ja eine große Feier des Moments. Es ist wunderbar, zu sehen, wie viel Ausdruck des Lebens an sich in den Bewegungen der Tänzer steckt. Das funktioniert gerade auch in einer kaputten Umgebung.

Es geht also um eine Utopie der Unzerstörbarkeit?

Es geht um den Menschen, der sich der Umstände um ihn herum erwehrt und sich behauptet. Und um die Frage nach einem Neuanfang.

„Masse“ wird nur zehn Mal aufgeführt, dann wird die Halle wieder abgeschlossen. Warum der Aufwand?

Es ist falsch, zu glauben, dass die Betreiber und die Belegschaft des Berghain sich nur für Techno interessieren. Man trifft sie oft bei Ballettpremieren. Sie lieben die Kunst, von Anfang an waren Werke bildender Künstler mit im Club. Deswegen stecken sie jetzt auch ihr eigenes Geld in dieses Projekt.

Die Macher des Berghain halten sich im Hintergrund. Was ist ihr Geheimnis?

Ihre Kompromisslosigkeit. Das sieht man auch an der Halle hier. In den meisten Fällen werden Hallen wie diese kaputtsaniert. Hier wird um jede einzelne Fliese gekämpft. Die Betreiber haben eine besondere Liebe zum Detail, deswegen ist das Berghain einzigartig.

Die Kompromisslosigkeit geht so weit, dass die Macher Millionensubventionen des Berliner Senats abgelehnt haben, weil sie um ihre Unabhängigkeit fürchteten.

Ich will mich nicht in die Subventionsdiskussion einmischen, denn ich finde grundsätzlich, dass es immer noch viel zu wenig Kunst gibt. Aber hier wird gezeigt, was mit privatem Engagement und vergleichsweise wenigen Mitteln möglich ist.

Termine: 4., 7., 8., 9., 14., 16., 18., 22., 24. , 25. Mai

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