Warum klappt im politischen Denken nicht, was in Nachbarschaften längst alltäglich ist?
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Eine Sache des Glaubens

Tilo Jung hat in Israel naiv nach dem Frieden gefragt und keine Antworten bekommen. Die Sinnlosigkeit des Kriegs konnte ihm dagegen jeder erklären. Warum klappt im politischen Denken nicht, was in Nachbarschaften längst alltäglich ist?

Profilbild von Stefan Schulz

Nach Israel fahren und dort mehr als ein Dutzend Menschen fragen, wann der Frieden kommt? Wie naiv! Aber der Fragende ist jung. Benny Ziffer, einer der Antwortenden und Literaturchef von Israels ältester Tageszeitung, „Haaretz“, legt sich nur ungefähr fest und hofft, wenigstens im Alter von 100 Jahren einen ruhigen Nahen Osten zu erleben. Heute ist er 60 Jahre alt. Dan Schueftan, ähnliche Altersklasse, Leiter des National Security Studies Center der Universität Haifa, gibt eine ebenso eigenwillige Antwort: Nämlich gar keine. Er sei schließlich kein Idiot. Wenn nun die intellektuelle und akademische Elite in Israel vom Frieden nur als Unmöglichkeit spricht, worüber lässt sich dann überhaupt reden? Na, zumindest darüber, was diese „unendliche Geschichte, in der jeder jeden anderen töten will“ (Benny Ziffer) ausmacht.

Es gibt für das, was in diesem Text über die Interviews von „Jung & Naiv in Israel und Palästina“ steht und was während der derzeit zehneinhalb Stunden veröffentlichter Gespräche wörtlich gesagt wird, eine Gegenprobe: Was denkt ein israelischer Sicherheitsforscher, persönlicher Freund von Regierungschef Benjamin Netanjahu und weltweit gefragter Vortragsredner wie Dan Schueftan eigentlich von Europa? „Es ist ein Freizeitpark“, sagt er, „ein La-La-Land“, in dem Menschen merkwürdige politische Vorstellungen hätten und sie mit “dummem Optimismus” in den Nahen Osten zu bringen versuchten. Man braucht sich daher wenig Mühen damit machen, herausfinden zu wollen, was wirklich wahr und wer wirklich schuld ist: Der Konflikt wird nicht weniger mit Worten als mit Waffen ausgetragen.

Dan Schueftan im Gespräch vor einer kahlen, weißen Wand, während die Dunkelheit einbricht.

Dan Schueftan im Gespräch vor einer kahlen, weißen Wand, während die Dunkelheit einbricht. Alex Theiler

Deshalb von vorn, zweieinhalb Absätze zur Geschichte: Literaturjournalist Ziffer erinnert an die Briten, als die Urheber der zionistischen Idee, abseits religiöser Lehren und des Wartens auf Messias und Erlösung einen Staat für Juden zu gründen. Und er verweist auf die dazugehörige Literatur. In George Eliots „Daniel Deronda“ von 1876 werde es formuliert, sagt Ziffer: Eine jüdische Heimat in Palästina, zur „Wiederbelebung der westlichen Kultur“ und „Erhellung der Region“. Nur geriet die politische Planung durcheinander. Thomas Edward Lawrence (später berühmt als „Lawrence of Arabia“) versprach den Arabern alle Ländereien für ihren Einsatz an Britanniens Seite gegen das Osmanische Reich. Lord Arthur Balfour nahm ihnen dann per Deklaration ein Stück für Israel wieder weg. Es folgte der erste arabische Aufstand gegen jüdische Siedlungen in Palästina. All das geschah zwischen 1916 und 1921.

Ziffer nennt die dann folgenden historischen Jahreszahlen: Das arabische Massaker an Juden in Hebron 1929. Der große arabische Aufstand gegen Briten und Juden 1946, der auf der Gegenseite zur Gründung der Haganah führte, bis heute Kern der israelischen Streitkräfte. Der Unabhängigkeitskrieg 1948. Der Sinai-Krieg 1956. Der Sechstagekrieg 1967. Der Jom-Kippur-Krieg 1973. „Und so weiter, und so weiter, und so weiter, und so weiter.“ Aber warum? Theodor Herzl, Autor von „Der Judenstaat - Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage“ (1896), ersann die konkrete Idee, eine Heimat für Juden zu schaffen, um so die Diaspora, und mit ihr Vertreibung und Antisemitismus zu beenden – allerdings in Uganda. Beim Zionistenkongress in Basel stieß er 1903 auf taube Ohren. Im Jahr darauf erlag er einem Herzleiden.