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Liberalisierter Fernreisemarkt Ludwig Erhard würde Bus fahren

Bequemes Reisen auch für den kleinen Geldbeutel: Die Liberalisierung des Fernbusmarktes ist ein Lehrstück, wie sozial Marktwirtschaft sein kann. Doch selbst die FDP wagt sich viel zu selten an die teuren Schutzzäune für Apotheker oder Großkonzerne. Die Rechnung zahlen die Verbraucher.
Busunternehmen City2City: Viele Menschen mit schmalem Geldbeutel reisen im Bus

Busunternehmen City2City: Viele Menschen mit schmalem Geldbeutel reisen im Bus

Foto: city2city

Hamburg - Noch eineinhalb Stunden bis Freiburg, doch Nicolas Reiter rutscht schon ungeduldig auf seinem Sitz herum. "Hundert Stunden seit Montag früh", sagt der Student mit dem Wuschellockenkopf und trommelt mit den Zeigefingern auf den Plastiktisch vor ihm. Hundert Stunden können eine Menge Zeit sein, wenn man verliebt ist.

Seit Nicolas im Oktober für sein Studium nach Hamburg gezogen ist, trifft der 20-Jährige seine Freundin nur noch am Wochenende, etwa alle hundert Stunden. Für Nicolas ist schon das ein Fortschritt: "Seitdem der Bus fährt, sehen wir uns wenigstens jede Woche", sagt er.

Seit Anfang dieses Jahres dürfen Linienbusse zwischen allen deutschen Städten fahren, das kam für das Paar gerade rechtzeitig: Vorbei die Zeiten, in denen spontane Trips kaum möglich waren: "200 Euro für ein Wochenende sind einfach zu viel", sagt Nicolas und rollt mit den Augen. So viel kosteten Nicolas früher Hin- und Rückfahrt in der Bahn. Im Bus zahlt der Student 56 Euro, ohne BahnCard und Sparpreis.

Vor allem sozial Schwache nehmen den Bus

Die Entfesselung des Busmarktes ist ein Lehrstück dafür, wie konsumentenfreundlich freier Wettbewerb, wie sozial Marktwirtschaft sein kann. Unter den Passagieren der bunten Busse sind vor allem Studenten wie Nicolas Reiter, deren Fernbeziehungen plötzlich nicht mehr ganz so große Löcher in ihre schmalen Geldbeutel reißen. Oder junge Familien, die sich endlich eine Städtereise mit den Kindern leisten können.

Über Jahrzehnte gab es für die, die sich kein Auto leisten konnten, nur eine Option: den Staatsmonopolisten Bahn. Nun muss die Bahn ihre Kunden überzeugen, dass ihre gegenüber den Bussen meist kürzeren Fahrtzeiten das Geld wert sind.

Der Kampf gegen Monopole im Dienste der sozialen Gerechtigkeit ist kein neoliberales Ablenkungsmanöver. Selbst der linke Vordenker Colin Crouch erinnert seine Gesinnungsfreunde gerne daran, dass sie ihren Kampf gegen offene Märkte oft an der Seite von Großkonzernen führen - obwohl sie doch eigentlich die Interessen normaler Bürger im Auge haben sollten. Ludwig Erhard nannte es "den sozialen Sinn der Marktwirtschaft, dass jeder wirtschaftliche Erfolg dem Wohle des ganzen Volkes nutzbar gemacht wird".

Am Telefon sparen die Deutschen heute Milliarden

Freiwillig geben die Platzhirsche ihre Monopole nämlich niemals preis: Als der Markt für Festnetzgespräche 1998 geöffnet wurde, verlangte die Telekom für ein zehnminütiges Telefonat in die Nachbarstadt noch 6,20 Mark. Heute unvorstellbar. Wie beim Fernbus ist auch hier der niedrige Preis nur ein Teil des Erfolges, die Wahlfreiheit der andere. Falls die Telekom ab Mai tatsächlich die DSL-Flatrate abschafft, können Kunden den Anbieter wechseln. Wäre die Telekom noch die Mammutbehörde von einst, gäbe es kein Entkommen.

Dennoch spielte der Verbraucherschutz durch mehr Wettbewerb unter Schwarz-Gelb kaum eine Rolle. Außer der Deregulierung des Fernbusmarktes und einer zaghaften Lockerung des Schornsteinfegermonopols traute sich auch die liberale Regierungspartei kaum an die teuren Schutzzäune für mächtige Interessengruppen. "Für den Wettbewerb hat sich diese Bundesregierung kaum eingesetzt", resümiert der ehemalige Vorsitzende der Monopolkommission, Justus Haucap. Bessere Regulierung der Marktmacht von Energiekonzernen, Post und Bahn sei Schwarz-Gelb schuldig geblieben.

Mehr Wettbewerb wünscht sich der Düsseldorfer Ökonom auch unter Apothekern. Schon moderate Schritte könnten Kassenversicherten viel Geld sparen: Haucap schlägt vor, dass in Apotheken statt festen Zuzahlungen künftig eine Beratungsgebühr von maximal 10 Euro anfällt, die die Apotheker selbst festlegen. Die Krankenkassen könnten um bis zu 450 Millionen Euro pro Jahr entlastet werden - auf Kosten der Apotheker, deren Umsätze seit Jahren ungeachtet jeder Reform munter wachsen.

Auch Staatsmonopolisten zahlen Billiglöhne

Doch statt mehr Wettbewerb in das Festpreissystem zu bringen, zurrte die Bundesregierung es noch fester: Im vergangenen Juni beschloss der Bundestag auf Initiative des FDP-geführte Gesundheitsministeriums ein fast vollständiges Rabattverbot für Versandapotheken. Natürlich im Dienste der Kranken, versicherte die Apothekerlobby: Die würden ja womöglich die Einnahme von wichtigen Medikamenten hinauszögern, um Rabatte von ein paar Euro zu erhaschen.

Der ach so unmündige Verbraucher, den es vor den Verführungen der Wahlfreiheit zu schützen gilt: Er zählt zu den billigsten Argumenten, mit denen sich Interessengruppen gegen freie Märkte wehren. Stichhaltiger ist da schon die Befürchtung, dass verschärfter Wettbewerb und Kostendruck zu schlechten Arbeitsbedingungen führen.

Wo das zutrifft, sind aber Tarifverhandlungen, Mindestlöhne und Arbeitsschutzbestimmungen effektivere Instrumente als Schutzwälle für Kartelle und Großunternehmen. Auch Staatskonzerne sind schließlich längst kein Hort der Arbeitnehmergerechtigkeit mehr.

Bestes Beispiel dafür ist die Deutsche Bahn. Der Einstiegslohn bei der konzerneigenen DB-Zeitarbeit wurde seit 2011 nicht erhöht - er liegt bei 8,50 Euro pro Stunde. Verglichen damit bezahlen viele der kleinen Fernbus-Start-ups ihre Fahrer recht ordentlich: Der Busfahrer, der Nicolas nach Freiburg gefahren hat, verdient in der Stunde fast 15 Euro.