Die aufgestaute Wut entlädt sich in Mexiko

Die mutmassliche Ermordung von 43 Studenten hat in Mexiko erneut zu heftigen Protesten geführt. Die Wut richtet sich immer stärker gegen die Regierung von Präsident Peña Nieto.

Tjerk Brühwiler, São Paulo
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Zehntausende von Mexikanern demonstrieren in Mexico City gegen die Regierung. (Bild: Mario Guzman / EPA)

Zehntausende von Mexikanern demonstrieren in Mexico City gegen die Regierung. (Bild: Mario Guzman / EPA)

Ein Protestmarsch mit rund 30 000 Teilnehmern in Mexiko-Stadt hat am Donnerstagabend in heftigen Zusammenstössen zwischen Demonstranten und der Polizei geendet. Mit Stöcken und Molotowcocktails griff eine Gruppe von Demonstranten den Regierungspalast auf dem Zócalo an, dem zentralen Platz der Hauptstadt. Die Polizei reagierte mit Gummischrot und Tränengas. Zuvor hatten Demonstranten die Zufahrtsstrasse zum Flughafen blockiert. Auch dort war es zum Zusammenstoss mit Polizeikräften gekommen. Etliche Personen wurden festgenommen.

Eltern führen Proteste an

Die Ausschreitungen markierten das Ende eines langen Protesttages. Die Demonstrationen in Mexiko-Stadt und anderen Städten des Landes richteten sich gegen die Regierung von Präsident Peña Nieto. Sie wird für das Verschwinden der 43 Studenten verantwortlich gemacht, die Ende September in der Stadt Iguala im Gliedstaat Guerrero von korrupten Polizisten verschleppt und Mitgliedern einer Drogenbande übergeben wurden. Hinter der Aktion steckte der Bürgermeister von Iguala und dessen Ehefrau. Die beiden wurden inzwischen gefasst. Die mexikanischen Untersuchungsbehörden gehen davon aus, dass die Studenten umgebracht wurden. Grund für die Annahme gibt das Geständnis eines festgenommenen Bandenmitglieds, das sagte, sie hätten die Studenten erschossen und anschliessend deren Leichen verbrannt.

Die Eltern der 43 Studenten, welche die Protestmärsche anführten, glauben jedoch weiterhin, dass ihre Kinder am Leben sind, und fordern die Behörden auf, die Suche nicht abzubrechen. Man werde nicht ruhen, bis sie gefunden würden, sagte der Vater eines Vermissten vor der Menge auf dem Zócalo. In Solidarität mit den Eltern und als Zeichen der Trauer trugen zahlreiche Demonstranten geschwärzte Fahnen und Bilder der 43 Studenten mit sich. Die Demonstration, die mit dem Jahrestag der mexikanischen Revolution von 1910 zusammenfiel, war bereits die dritte grosse Kundgebung aus Protest über das Verschwinden der Studenten.

Vertrauenskrise

Der Fall der 43 Studenten, der weltweit für Schlagzeilen sorgt, hat eine Welle der Empörung in ganz Mexiko ausgelöst. Die anfängliche Hoffnung, die Studenten lebend wiederzufinden, schlägt nun in Wut um. Und diese richtet sich zusehends gegen die Regierung und den Präsidenten. Die Demonstranten skandierten Parolen gegen Peña Nieto und forderten ihn zum Rücktritt auf. Auf dem Zócalo zündeten sie eine Puppe in der Gestalt des Präsidenten an.

Dass sich die Wut nun gegen den Präsidenten richtet, ist ein Zeichen für das mangelhafte Krisenmanagement der Regierung in Sicherheitsfragen. Zu lange hatte Peña Nieto sich als Förderer von wirtschaftlichen Strukturreformen feiern lassen. Dass sich Mexiko weiterhin in einem blutigen Drogenkriege befindet, dass in den vergangenen Jahren Zehntausende umgebracht wurden und spurlos verschwanden, schien für den Präsidenten keine Priorität zu haben. Peña Nieto zog es vor, das schwerwiegendste Problem des Landes totzuschweigen. Der Fall der 43 Studenten hat Mexiko aufgeweckt und eine aufgestaute Wut an die Oberfläche gebracht. Im Rahmen der Feierlichkeiten für den Jahrestag der Revolution – die traditionelle Militärparade war abgesagt worden – rief Peña Nieto zur Ruhe auf. Friede und Gerechtigkeit seien der einzige Weg, um den Schmerz zu lindern, sagte der Präsident.

Doch von Frieden und Gerechtigkeit ist Mexiko weit entfernt. Das Verschwinden der Studenten mag zwar der Inhalt des derzeitigen Protests sein. Es ist jedoch lediglich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. In Tat und Wahrheit steckt Mexiko in einer tiefen Vertrauenskrise. Die Proteste sind der Ausdruck der Wut und der Verzweiflung einer Bevölkerung, welche das Vertrauen in ihre Institutionen verloren hat. Die Korruption, die Straflosigkeit, die Komplizenschaft der Autoritäten und die Ineffizienz der Sicherheitskräfte haben sich über Jahre hinweg in Mexiko festgesetzt und spiegeln sich nun im Fall der 43 Studenten wider. Die Proteste zeigen deutlich, dass vieles nicht stimmt im Aztekenland. Sie werden sich mit grosser Wahrscheinlichkeit fortsetzen.

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