Ist Girkin ein Agent Moskaus?

Was die Süddeutsche Zeitung suggeriert, scheint eher der eigenen Voreingenommenheit geschuldet zu sein, Girkin hat vergeblich versucht, Russland zur militärischen Intervention zu provozieren

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Auf der Startseite der Süddeutschen Zeitung sah man ein Foto des Russen Igor Girkin, der im Laufe des Ukraine-Konflikts berüchtigt und bekannt wurde. Der Artikel will, koste es, was es wolle, eine Verbindung zwischen "Russland" zum Aufstand der Separatisten herstellen. Allmählich muss man sich fragen, was die für die Außenpolitik zuständige Redaktion der SZ, stellvertretend für manche andere Zeitungen, reitet, wenn man sich die Quellen einmal näher anschaut.

Der auch unter dem Namen "Strelkov" auftretende 47-Jährige soll lange Jahre Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes FSB oder des russischen Militärgeheimdienstes GRU gewesen sein und bereits in Tschetschenien, Moldawien und Bosnien gekämpft haben, bevor er - nach angeblicher Mitwirkung auf der Krim - Anfang April mit einer Gruppe von schwer bewaffneten Militanten vor allem von der Krim bei den Separatisten in Slawjansk und Karamtorsk auftauchte und einige Behörden besetzten. Ab Ende April war er "Verteidigungsminister" in der "Volksrepublik Donezk".

Bis zur Einnahme von Slowjansk durch die ukrainischen Streitkräfte bzw. dem Abzug der separatistischen Milizen pflegte Girkin seinen Ruf als harter Kämpfer. Es wurden Todesurteile verhängt, Menschen verschleppt und die OSZE-Militärbeobachter in Geiselhaft genommen. Girkin hat zweifellos versucht, den Konflikt mit Kiew zuzuspitzen, beim Kampf um Slawjansk hatte er Moskau aufgefordert, "Neurussland" zur Hilfe zu kommen, was nicht geschehen ist. Man kann davon ausgehen, dass Girkin sein eigenes Spiel spielte und wahrscheinlich auch auf Druck von Moskau im August seinen Posten in Donzek räumen musste. Zuvor war es zu Konflikten mit anderen Milizenführern gekommen, kritisiert wurde er auch in Russland als Verräter, weil er Slowjansk aufgegeben hatte. Als dann Behauptungen zirkulierten, er habe auf seinem Vkontakte-Account etwa zu der Zeit, als MH17 abstürzte, gepostet, dass ein ukrainisches Kampfflugzeug abgeschossen worden sei, geriet er zudem unter Verdacht, dafür mit verantwortlich zu sein. Das Posting war schnell verschwunden, Anfang August verschwand auch er aus der Ukraine und galt in manchen Kreisen in Russland weiterhin als großer Held. Girkin soll auch der Urheber der reichlich abstrusen Verschwörungstheorie gewesen sein, dass MH17 schon in Amsterdam mit Leichen beladen worden war, um dann die Separatisten verantwortlich zu machen.

Girkin, der eine Art Hitler-Bärtchen trägt, gefällt mediale Aufmerksamkeit und er gibt und gab gerne seine nationalistischen Ansichten weiter. Kürzlich erst hatte er dem russischen Magazin "Russisches Haus" ein Interview gegeben, in dem er erklärte, dass Ukraine und Russland zusammen gehören und eine "einzige Nation" seien. Der Westen will die Nation teilen, um Russland zu zerstören und auszuplündern, verkündet er, auch dass es nötig sei, Krieg zu führen, in dem es um Sieg und Niederlage gehe. Grund für den Angriff aus dem Westen sei, dass Russland noch die einzig verbliebene Macht sei, die gegen die Welt, die die EU und die USA errichten wollen, Widerstand leisten könne. Angestrebt werde eine atheistische, seelenlose, völlig materialistische Welt, die Gott ganz vergessen hat. Russland sei hingegen die einzige christliche Nation, die das Christentum. Der Westen hasse Russland, weil es sich der neuen Weltordnung nicht völlig unterwirft. Er träumt von einem Großrussland, in dem Russland, die Ukraine und Weißrussland wieder vereint sind. Und er glaubt oder will glauben machen, dass es um einen religiösen Konflikt geht. Es ist ein seltsames Gespräch, geradezu irreal.

Bild von Girkin, das Sawtra zum Intervie veröffentlichte.

Nun also hat Girkin mit der obskuren Zeitschrift Sawtra ein Gespräch geführt. Die Zeitschrift, die es seit den 1990er Jahren gibt und die lange Zeit eher regierungskritisch war, aber stärker der nationalistischen Rechten angehörte, die etwas Gorbatschow oder Jelzin als Verräter bezeichneten. Alexander Prochanow, der Sawtra herausgibt, ist ein alter Stalinist, seine Zeitschrift befürwortet eine russische Invasion, ist aber weiterhin kein russisches Mainstreammedium. Girkin scheint sich gerne anzupassen und zu sagen, was in der jeweiligen Nische gut ankommt, um sich gleichzeitig bedeutsam zu machen. So erläuterte er nun in Sawtra, gefragt von Prochanow, seine angeblichen Aktivitäten in der Ostukraine und legitimierte, warum er aus Slawjansk abgezogen ist - vor allem, so sagte er, weil nicht genügend schwere Waffen vorhanden gewesen seien, was eher nach Anklage von Moskau klingt.

Die Süddeutsche schreibt, wohl eher sich auf ukrainische Medien als auf das Interview stützend:

Im Interview erklärt Girkin freimütig, dass der Krieg keineswegs direkt aus dem Aufstand russischsprachiger Donbass-Bewohner hervorgegangen, sondern aus Russland geschürt worden sei: "Den Auslöser zum Krieg habe ich gedrückt. Wenn unsere Einheit nicht über die Grenze gekommen wäre, wäre alles so ausgegangen wie in Charkiw und in Odessa."

Im Interview spricht er allerdings davon, dass er mit 50 Freiwilligen aus der Krim gekommen sei und einen mittleren Ort gesucht habe. Ziel sei es gewesen, einen Aufstand anzuzetteln, um Russland zum Einmarsch zu provozieren. In Slawjansk habe man sich mit 150-200 Männern zusammengeschlossen und dann bei der Besetzung von Gebäuden der Sicherheitskräfte Waffen erbeutet. Wenn man mehr Waffen gehabt hätte, hätte sich alles anders entwickelt. Es habe in Slowjansk 9000 Freiwillige gegeben, Kämpfer seien es 5000 gewesen. Seinen Einfluss habe er aus Slawjansk und Kramatorsk nach und nach aufgebaut, bevor er "Verteidigungsminister" wurde. Er erklärt auch, dass zu Beginn niemand für die "Volksrepubliken" eintreten wollten, alle hätten nach Russland gewollt. Überall seien russische Fahnen gewesen, das Referendum sei pro Russland ausgegangen. Es sei dann wie ein "Schock" gewesen, dass Russland nicht reagierte. Die Kämpfer, die sich gegen die Angriffe auf Slawjansk gewehrt hätten, wären zu 90 Prozent aus der Gegend gekommen.

Wenn die Süddeutsche titelt "Den Auslöser zum Krieg habe ich gedrückt" und anfügt "Moskau habe den Krieg geschürt, sagt er freimütig - mit seiner Hilfe", dann scheint man doch gerne wieder das Interview verkürzt dazu benutzen zu wollen, über Girkin Moskau zu belasten. Der Mann ist allerdings vor allem von sich selbst eingenommen. Er sieht Donezk als neues Stalingrad, während man über Gaslieferungen verhandelt. Er würde gerne wiederkommen und habe damals seinen Job gemacht, die Republik zu schützen, nicht die Macht zu ergreifen, was viele von ihm erwartet hätten. Girkin sagt denn auch, er sei für alles verantwortlich - nicht Moskau. Tatsächlich sagte er, seine angebliche Bedeutung eitel herausstreichend, dass er mit seinen Leuten von Anfang an gekämpft hatte. Zuerst hätten allerdings beide Seiten versucht, den Konflikt zu lösen, erst Aktionen des Rechten Sektors hätten erste Feuergefechte erzwungen. Die ukrainische Seite sei massiver vorgegangen, als man erkannte, dass Russland nicht reagiert. Wenn er mit seinen Mannen nicht die Grenze von der Krim aus überschritten hätte, wäre alles schnell wie in Charkiw oder Odessa zum Ende gekommen. Man hätte Separatisten verhaftet oder verbrannt. Das wäre es gewesen.

Er bekennt auch, den Krieg zu lieben. Wenn die Politik beginnt, wird es "schmierig" und für ihn langweilig. Er sei am besten geeignet, einen Anfang zu machen, einen Durchbruch. Er könne sich auch nicht verbiegen wie die Politiker, im heutigen politischen System sei kein Platz für ihn. Girkin scheint ein Abenteurer zu sein, den der Krieg anzieht. Er sieht sich gerne in Entscheidungsschlachten und ist wohl in seinen heiligen Kriegen ziemlich skrupellos. Ob er aber, zumindest in der Ukraine, direkt von Moskau gesteuert wird, ist mehr als zweifelhaft, zumal er selbst Moskau wegen der militärischen Passivität kritisiert.