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Panorama Missbrauchsvorwürfe

Die letzte gute Nachricht über „Erlöser“ Bill Cosby

Entertainer Bill Cosby schweigt bislang zu den schweren Vergewaltigungsvorwürfen Entertainer Bill Cosby schweigt bislang zu den schweren Vergewaltigungsvorwürfen
Entertainer Bill Cosby schweigt bislang zu den schweren Vergewaltigungsvorwürfen
Quelle: AP
Fast kein Tag ohne neue Vorwürfe gegen Bill Cosby, Fernsehsender nehmen den Serien-Star aus dem Programm: Amerika hat lange an dem Idol festgehalten, doch jetzt lässt es ihn fallen. Mit gutem Grund.

Der Journalist Mark Ebner war einer der Ersten. Es war im Jahr 2007, als er unter dem aufschlussreichen Titel „Ich habe euch gewarnt“ die Geschichten der inzwischen 16 Frauen erzählte, die Cosby öffentlich beschuldigen, in den 80er-Jahren zudringlich geworden zu sein. Es sei immer nach demselben Schema verlaufen, so Ebner. Alle seien jung, ehrgeizig, leicht zu beeindrucken gewesen. Cosby habe ihnen seine Bewunderung und Unterstützung versichert und sie unter Alkohol oder andere Drogen gesetzt und sie dann vergewaltigt oder zumindest belästigt. Zu einer von ihnen habe er sich beim Verlassen ihrer Garderobe umgedreht: „Du willst doch mich und deine Zukunft jetzt nicht zerstören, richtig?“

Bewiesen ist das alles noch immer nicht, aber sicher zumindest eine Geschichte. Doch Mark Ebner machte die Erfahrung, dass sich niemand für seine Story interessierte: „Ein Agenturjournalist meinte zu mir ,Bill Cosby wollen wir nicht verleumden‘“. „People“ berichtete zwar über eine außergerichtliche (und teure) Einigung, die Cosbys Anwälte mit drei Frauen aushandelten – verfolgte die Geschichte aber nie weiter. „Genauso gut hätte ich eine Story über Affären von Martin Luther King Jr. mit weißen Frauen anbieten können.“

Bis die Bombe platzt

Die Vergewaltigungsvorwürfe, die den Star der Sitcom „The Cosby Show“ jetzt beschmutzen, hätten dies durchaus auch früher schon tun können. Doch erst jetzt scheint für Amerika die Zeit gekommen zu sein, Bill Cosby vom Sockel zu reißen. Nachdem der – schwarze – Comedian Hannibal Buress Cosby Ende Oktober während eines Auftritts in Cosbys Heimatstadt Philadelphia erneut einen Vergewaltiger genannt hatte, verbreitete sich die Aufnahme des Auftritts erst im Internet und erreichte bald sämtliche Medien von der „New York Times“ bis zu dem Online-Klatschmagazin TMZ. Eine Frau nach der anderen machte ihre Anschuldigungen öffentlich.

Bill Cosby 1987 auf dem Höhepunkt seiner Serien-Karriere
Bill Cosby 1987 auf dem Höhepunkt seiner Serien-Karriere
Quelle: picture-alliance / dpa

Der Online-Streamingdienst Netflix sagte das bereits aufgezeichnete Stand-up-Comedyspecial „Cosby 77“ ab. Kurz darauf meldete der Fernsehsender NBC, dem die „Cosby Show“ einst aus den roten Zahlen verhalf, seine Pläne für eine neue Sitcom mit seinem Star auf Eis zu legen. Der Sender TV Land stoppte seine Wiederholungen der „Cosby Show“. Eine fast ausverkaufte Comedy-Tour, auf der sich der 77-Jährige gerade befindet, verlief wie geplant und ungestört – bis ein Hotel in Las Vegas und ein Theater in Champaign, Illinois, die nächsten Auftritte absagten. Am Freitag soll es auf einer Bühne noch Standing Ovations für Cosby gegeben haben. Noch.

Cosby selbst schweigt

Mark Whitaker, Autor einer im September erschienenen 500-Seiten-Biografie Cosbys („His Life and Times“), die Cosby als makellosen Helden präsentiert, windet sich im Interview: Er habe das Thema ausgelassen, weil es sich immer um Anschuldigungen gehandelt habe, die sich nicht beweisen ließen. „In künftigen Auflagen werde ich darauf eingehen müssen.“

Cosby selbst schweigt, das aber laut. Er würde so alte wie unhaltbare Vorwürfe keiner Antwort würdigen, ließ Cosby über seine Anwälte wissen, die Frauen wollten nur an sein Geld. In einem Videointerview mit der Nachrichtenagentur AP sagte er mehrmals, er äußere sich, wie zuvor angekündigt, nicht zu dem Thema. In einem mittlerweile berühmten Gespräch mit dem Radiosender NPR schwieg er eine Radioewigkeit von insgesamt zehn Sekunden lang. In beiden Interviews sollte es ursprünglich um die Kunstsammlung des Ehepaars Cosby gehen, die das Washingtoner Smithsonian Museum of African Art derzeit zeigt, und beide Male baten die Journalisten um Verständnis, die unangenehme Frage stellen zu müssen.

Ein Auftritt in David Lettermans Late-Night-Show wurde vorsichtshalber gleich ganz abgesagt, und das angesehene Magazin „The Atlantic“ forderte, die Kunstausstellung zu schließen – so wie die feministische Bestsellerautorin Hanna Rosin zuvor im Online-Magazin Slate NBC und Netflix aufgefordert hatte, Cosby vom Bildschirm zu verbannen.

Goldberg glaubt an Unschuld

Was die Schauspielprominenz angeht, hat sich bislang nur Cosbys Kollegin Whoopi Goldberg zu Wort gemeldet. Als Moderatorin der Frauen-Talkrunde „The View“ äußerte sie Zweifel an den Beschuldigungen. Zum einen, weil es ihr seltsam scheine, dass die Opfer sich nicht früher zu Wort gemeldet und nach der angeblichen Tat nicht dafür gesorgt hätten, dass Beweisspuren sichergestellt werden konnten.

Und zum anderen, weil man bei „so etwas immer sehr vorsichtig“ sein müsse. Sie kennen zu viele Berühmtheiten, die sich mit falschen Anschuldigungen auseinandersetzen müssten: „Irgendwas bleibt immer kleben.“

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Comedy-Star Sarah Silverman, Expertin für Witze an der Geschmacksgrenze, holte sich dagegen Schelte für einen Tweet, der mit dem Image als Saubermann spielt (und Vergewaltigungen verharmlose): „Bill Cosby hat mir eine Standpauke gehalten, ich war bewusstlos und er redete über mein A-loch.“

Cosby vergab Amerika

Um zu verstehen, warum Bill Cosby erst jetzt abserviert wird, muss man verstehen, was er für die amerikanische Öffentlichkeit bedeutet hat.

Denn für sie war er viel mehr als der lustige Dr. Huxtable aus dem Fernsehen, als der ihn der Rest der Welt lieben lernte: Bevor er der erste Schwarze wurde, der es von Stand-up-Comedybühnen auf die Bildschirme von bis zu 30 Millionen amerikanischen Zuschauern gebracht hat, war er der Komiker, mit dessen Schallplatten eine ganze Generation aufwuchs:

Die Geschichte um das Familienleben der Familie Huxtable wurde die erfolgreichste Fernsehserie aller Zeiten
Die Geschichte um das Familienleben der Familie Huxtable wurde die erfolgreichste Fernsehserie aller Zeiten
Quelle: picture-alliance / dpa

In praktisch jedem Haushalt, in dem Platten gehört wurden, lauschten die Kinder, die heute als Erwachsene über ihn richten müssen, den Aufnahmen seiner Bühnenshows.

Auftritte, in denen es nicht um Rassismus ging, sondern um spaßige Anekdoten aus seiner Kindheit, mit denen sich jeder vor dem Plattenspieler identifizieren konnte. Da gab es keine Hautfarben zu sehen, nur Witze zu hören.

Als Cliff Huxtable in der „Cosby Show“ setzte er ab 1984 diese Mission fort: Er war nicht nur der liebende, lustige Vater von fünf wohlgeratenen Kindern, er war außerdem Arzt und Ehemann einer Anwältin. Das Paar lebte in einem schicken Townhouse in Brooklyn, New York, und in den Episoden ging es nicht um die Benachteiligung von und die Vorurteile gegenüber Schwarzen. Es ging um schlechte Schulnoten, die Auswahl der richtigen Colleges und Freunde, Feiertags- und Vatertagstress, um lauter „weiße“ Probleme.

Bill Cosby ebnete nicht nur den Weg für Komiker wie Eddie Murphy, sondern auch für schwarze Superstars, bei denen die Farbe nur noch eine untergeordnete Rolle spielt wie Will Smith. Er wurde qua Fernsehrolle nicht nur zu einem Bürgerrechtler und Versöhner, sondern auch zu Amerikas väterlicher Instanz, der aufmunternde Bestseller schrieb. „Fatherhood“, Vaterschaft, hieß 1986 der erste – der Pädagogikstudent Cosby hatte übrigens 1976 mit einer Arbeit über die Verwendung seiner eigenen Kinderserie „Fat Albert and the Cosby Kids“ als Lehrmittel im Grundschulunterricht promoviert.

Werbefachmann gegen rassistische Stereotype

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Cosby wurde für das weiße Amerika zu einem Erlöser, jemandem, der ihnen die Hoffnung gab, sich von der Rassentrennung, dem dunklen Fleck in der amerikanischen Geschichte, reinwaschen zu können. Und deshalb klammerte sich besonders das liberale Amerika an ihn, deshalb durfte gerade Bill Cosby sich nicht als Teufel entpuppen.

Aber das Land hat sich weiterentwickelt, und eine der meistdiskutierten neuen Fernsehserien dieses Herbstes ist „Black-ish“ – wieder eine Familienserie um einen schwarzen Familienvater. Der hat vier Kinder und eine Anästhesistin als Ehefrau, aber während er sich in seiner Rolle als Werbefachmann gegen rassistische Stereotype verwehrt, fürchtet er als Vater, dass seine Kinder ihre afro-amerikanischen Wurzeln vergessen.

Und vergessen wir das Fernsehen: Amerika hat schließlich nicht nur einen schwarzen Präsidenten, es ist unzufrieden mit ihm – und diese Unzufriedenheit hat mit seiner Hautfarbe wenig zu tun. Es scheint, als benötige das Land Bill Cosby nicht mehr. Das ist vielleicht auch eine gute Nachricht.

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