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Jakob Augstein

S.P.O.N. - Im Zweifel links Danke, Herr Weselsky!

Die Lokführer streiken für uns alle. Deutschland sollte Claus Weselsky dankbar sein. Aber Politik und Öffentlichkeit sind gegen ihn. Was wir vergessen: Seine Niederlage wäre unsere Niederlage.
GDL-Chef Weselsky: Relikt einer vergangenen Zeit

GDL-Chef Weselsky: Relikt einer vergangenen Zeit

Foto: Oliver Berg/ dpa

Da ist er wieder: Claus Weselsky, Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und meistgehasster Mann Deutschlands. Der Tarifkonflikt zwischen der Bahn und den Lokomotivführern dauert jetzt zehn Monate. Es gab 16 Verhandlungsrunden. Zum achten Mal wird nun gestreikt. CDU-Wirtschaftspolitiker Michael Fuchs spricht für die Mehrheit in Politik und veröffentlichter Meinung: "Diese Machtspiele eines einzelnen Gewerkschafters sind einfach unerträglich."

So einfach kann man sich das machen: Der Kampf der Lokführer wird zur Personalie degradiert, zur Eitelkeit eines Einzelnen. Dabei geht es hier um nichts weniger als das Recht auf Streik. Das sollte uns ein paar Unbequemlichkeiten wert sein. Unsere Gleichgültigkeit ist sonst unser eigener Schaden.

Weselsky und seine Lokführer machen von ihrem Streikrecht Gebrauch. Bislang hat kein Arbeitsgericht sie aufgehalten. Wann wurde zuletzt jemand, der von seinem Recht Gebrauch macht, zum Gegenstand so einhelliger Verachtung wie dieser Mann? Nicht mal die SPD will Solidarität mit den streikenden Lokführern üben: "Statt Deutschland lahmzulegen, brauchen wir ernsthafte Verhandlungen", schimpft Sigmar Gabriel.

Gabriel weiß die Medien hinter sich. Wenn es um Weselkys Lokführer geht, läuft die Metaphermaschine rund: Beim "Handelsblatt" fährt der "Zug nach Nirgendwo" und beim "Tagesspiegel" der "Nachtzug". Und bei der "Berliner Morgenpost" ist die GDL, klar, "auf dem falschen Gleis". Wer hat noch Verständnis für die Lokführer?

Der Klassenkampf ist eine pathetische Angelegenheit

Ein schnodderiger Zynismus hat sich ausgebreitet, der jeder Sympathie für die Lokführer mit den Mitteln des Klassenkampfs von oben begegnet. "Links sein muss man sich leisten können", hat Jan Fleischhauer hier geschrieben, als wäre Solidarität eine Frage des Geldbeutels. Aber das Gegenteil ist der Fall. "Der Klassenkampf ist keine Utopie, wenn der eine ein Haus besitzt, der andere hingegen nur die Tuberkulose", hat Maxim Gorki in seinem "Klim Samgin" geschrieben. Pathos? Ja, warum nicht. Der Klassenkampf ist eine pathetische Angelegenheit.

Sigmar Gabriel und seine SPD wollen davon nichts wissen. Aber sie stehen inzwischen ja auch rechts von der OECD. Das ist die Internationale Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, deren Chef im vergangenen Dezember gesagt hat: "Der Kampf gegen Ungleichheit muss in das Zentrum der politischen Debatte rücken." Da ging es nicht um Bangladesch, sondern um einen Industriestaat wie die Bundesrepublik Deutschland. Hier verdienen nämlich die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung inzwischen siebenmal so viel wie die zehn ärmsten Prozent. Mitte der Achtzigerjahre waren es fünfmal so viel.

Die Sozialdemokraten haben gegen die wachsende Ungleichheit nichts unternommen. Und die Gewerkschaften auch nicht. Im Gegenteil: Viel zu viele Sozialdemokraten und Gewerkschafter haben sich in der Vergangenheit auf die Seite der Lohndrücker geschlagen.

Was war die Folge? Wo sich die großen Gewerkschaften dem Druck der Arbeitgeber, der Politik und der öffentlichen Meinung gebeugt haben, sind die kleinen in die Bresche gesprungen. Wie die GDL. Warum machen die kleinen Gewerkschaften so viel von sich reden? Weil die großen lange Zeit so wenig von sich reden gemacht haben. Warum sind die Kleinen so erfolgreich? Weil die Großen ihnen in all ihrer Erfolglosigkeit gar keine andere Wahl ließen.

Ausgerechnet die Sozialdemokraten wollen Weselsky und der Handvoll anderer schlagkräftiger kleiner Gewerkschaften den Garaus machen. Andrea Nahles, Arbeitsministerin der SPD, hat das "Tarifeinheitsgesetz" vorbereitet, das in letzter Konsequenz nur noch der größten Gewerkschaft in einem Betrieb den Streik erlaubt. Weselsky hat recht: "Allein die Initiative dazu, dieses Gesetz zu schaffen, hat dazu geführt, dass die Arbeitgeber keine Lust mehr haben, mit Berufsgewerkschaften Tarifverträge abzuschließen. Und hier an der GDL wird ein Pilotprojekt gefahren..."

Die Bahn ist kein Unternehmen wie jedes andere

Wenn der Staat mit dem Gesetz zur Tarifeinheit die GDL entmachtet, ist das, als würde Daimler sich seine eigenen Gesetze für den Umgang mit der Belegschaft machen. Denn die Bahn gehört dem Staat. Er ist hier Unternehmer und Gesetzgeber in eigener Sache zugleich. Eine unmögliche Interessenkollision.

Die Bahn ist kein Unternehmen wie jedes andere. Sie ist es weder, was ihre Bedeutung für die Gesellschaft angeht, noch was ihre Eigentümer betrifft. Der Staat schützt seine Profite mit seiner Politik. Er will Gewinn machen und hilft mit Gesetzen nach.

Vor Jahren haben die meisten Lokführer ihren Beamtenstatus verloren. Nun sollen sie - de facto - ihres Streikrechts beraubt werden. Das ist die höchste Vollendung der Privatisierung.

Es geht dabei nicht nur um die Lokführer. Der Wirtschaftsflügel der CDU möchte die Gelegenheit nutzen, das Streikrecht grundsätzlich einzuschränken. Im Bereich der "Daseinsvorsorge" sollen strengere Regeln gelten. Das kann man weit fassen: Verkehr in der Luft und auf dem Land, Erziehung, was noch? Heute trifft es die Lokomotivführer. Morgen Lehrer und Erzieher. Und übermorgen?

Claus Weselsky ist Relikt einer vergangenen Zeit. Als die Arbeitnehmer noch den Mut hatten, für ihre Interessen zu kämpfen. Im Museum der Arbeit in Hamburg sollte es einen Weselsky-Raum geben. Der unbeugsame Gewerkschafter. Eine aussterbende Art.

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Foto: SPIEGEL ONLINE