"Europa muss wieder christlicher werden"

Die Presse
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Ungarns Außenminister Szijjárto verteidigt Orbáns Bekenntnis zum illiberalen Staat, will sich China zum Vorbild nehmen, hält Sanktionen gegen Moskau für nutzlos und die Bodengesetze für EU-konform.

Die Presse: Glauben Sie, es verheißt Gutes, wenn sich Ungarn von einer liberalen Demokratie westlichen Stils abwendet, wie das Premier Orbán im Sommer in einer Rede in Baile Tusnad angekündigt hat?
Peter Szijjártó: Um diese Rede zu verstehen, sollten Sie sie vom Anfang bis zum Ende lesen.

Ich habe die Rede gelesen. Orbán sagte darin: „Der neue Staat, den wir aufbauen ist ein illiberaler, ein non-liberaler Staat.“
Die Welt verändert sich schnell und grundlegend. In diesem Umfeld kann nur erfolgreich sein, wer statt eines Wohlfahrtsstaats einen Arbeitsstaat (Workfare-State) errichtet.

Was bitte ist ein Workfare-Staat?
Ein Staat, wo man durch Verdienste in der Arbeit und nicht dank Sonderrechte vorwärts kommen kann. Deshalb änderten wir das Steuersystem, um jene zu unterstützen, die mehr arbeiten und mehr Leute anstellen wollen. Deshalb erhöhten wir radikal die Anzahl der Stipendien für Techniker und führten die duale Ausbildung nach deutschem Vorbild ein.

Welche liberalen Werte lehnen Sie ab?
Wir lehnen keine liberalen Werte ab. Aber wir sagen: Unser Demokratie ist christlich, Europa ist ein christlicher Kontinent. Je weiter wir uns von unseren christlichen Wurzeln entfernen, desto schlimmer wird unsere Lage. Europa muss wieder christlicher werden, um seine Wettbewerbsfähigkeit zurückzuerlangen. Wir respektieren die Rechte des Individuums, aber auch der Gemeinschaft. Und wir müssen als Gemeinschaft erfolgreich sein, als Ungarn. Vielleicht haben Wörter andere Bedeutungen in verschiedenen Sprachen – wie zum Beispiel „illiberal“

Ich glaube nicht, die Rede falsch verstanden zu haben. Denn Orbán pries darin ja auch den Erfolg von autoritär regierten Ländern wie China oder Russland.
Die Länder im Osten haben sehr wettbewerbsfähige Wirtschaftssysteme. Wir sollten von ihnen lernen.

Was können wir lernen?
Den Respekt für die Arbeit. Wenn heute eine europäischer Führer vorschlägt, die Arbeitszeit zu reduzieren, stellt er sich total gegen den Strom der Zeit. Wenn Europa nicht mit den den dynamisch wachsenden Ländern des Ostens zusammenarbeitet, wird es nicht erfolgreich sein.

Niemand lehnt eine Kooperation mit diesen Ländern ab.
Es gibt eine regionale Kooperation zwischen China und 16 zentraleuropäischen Staaten. Institutionen der EU machen uns regelmäßig und deutlich aufmerksam, keine Abkommen auf dieser Ebene zu schließen.

Und welches Problem hat Ihre Regierung nun mit liberaler Marktwirtschaft?
Überhaupt keines. Wir sagen bloß: Das Konzept des Wohlfahrtsstaats ist überholt.

Woran erkennen Sie, dass christliche Werte in Europa nicht genug betont werden?
In Europa wird der Familie immer weniger Respekt entgegengebracht. Und wer eine patriotische Wirtschaftspolitik verfolgt, wird gleich als Nationalist abgestempelt.

Für ein Mitglied der EU hat nationale Politik natürlich weniger Relevanz als vor dem Beitritt.
Um eine starke EU zu haben, was in unserem Interesse liegt, braucht man starke Mitgliedstaaten.

Werden Sie in der Runde der EU-Außenminister eine Aufhebung der Sanktionen gegen Russland vorschlagen?
Wir haben eine gemeinsame Entscheidung getroffen. Wollen wir diese ändern, sollen wir wieder eine gemeinsame Entscheidung treffen.

Ihr Premier sagte, die Europäer schießen sich mit den Sanktionen selbst ins Knie.
Das stimmt. Die Sanktionen der EU haben nicht die erwarteten Resultate gebracht. Die Lage hat sich nicht gebessert, eine Deeskalation ist nicht in Sicht, die europäische Wirtschaft leidet unter den Sanktionen, besonders Ungarn. Ukraine ist unser Nachbarland, fast 200.000 Ungarn leben dort, für sie fühlen wir uns verantwortlich. Die andere Konfliktpartei, Russland, ist unser drittwichtigster Handelspartner, der 85 Prozent unseres Gas- und 100 Prozent unseres Öl-Bedarfs abdeckt. Wenn es ein Land auf der Welt gibt, das an einer schnellen diplomatischen Lösung der Krise interessiert ist, dann ist es Ungarn.

Ich verstehe Ungarns Position nicht. Einerseits stimmte es den Sanktionen zu, andererseits übt der der Premier Kritik daran.
Ja, aber wir haben schon vor dieser einstimmigen Entscheidung unsere Position dargelegt. Sanktionen bringen uns einer Lösung nicht näher. Nur Verhandlungen bringen uns weiter. Der jetzige Umgang mit Russland widerspricht den strategischen Interessen Europas.

Warum?
Um Wettbewerbsfähigkeit zurückzugewinnen, sollte die EU eine strategische Kooperation mit Russland eingehen: Die Russen haben die Ressourcen, wir die Technologie – dies sollte man vereinen.

Ungarn hat ein paar offene bilaterale Fragen mit Österreich.
Es gibt mehr erledigte.

Mich interessieren die offenen. Die Banker in Österreich haben die Nase voll von der ungarischen Politik, die ihnen zuletzt Hunderte Millionen gekostet hat.
Seit 2010 haben wir ein neues Steuersystem, das auf der Basis der wahren Lastenverteilung steht. Dazu gehören die Bankenabgabe und die Finanztransaktionssteuer. Das ist vorhersehbar und stabil.

Die Bankenabgabe kam schon eher überraschend.
2010 vielleicht, aber jetzt schreiben wir 2014. Dazu kommt: Das Oberste Gericht fällte eine ganz klare Entscheidung: Banken, die bei Fremdwährungskrediten Konditionen unfair änderten, haben ihre Kunden zu entschädigen. Wir müssen Gesetze verabschieden, um dem Urteil zu entsprechen. Es ist wichtig, dass ungarische Bürger aus der Fremdwährungskreditfalle herauskommen.

So vertreibt man internationale Banken. Was ist die langfristige Strategie dahinter? Will der ungarische Staat mehr Banken übernehmen?
Davon weiß ich nichts. Als Minister für Auswärtiges und Außenhandel gehört es nicht zu meiner Kompetenz.

Hohe Wellen schlägt auch die Enteignung von österreichischen Grundbesitzern in Ungarn.
Drei Komplexe sind betroffen, erstens widerrechtliche Privatisierung in einem Naturschutzgebiet nahe Österreich vor 1994. Wir entsprechen jetzt nur einem Urteil des Verfassungsgerichtshofs. Zweitens verstoßen Taschenverträge total gegen das Recht; wir müssen diese illegale Situation beenden. Und drittens ist das sogenannte Nießbrauchsrecht nur für enge Verwandte vorgesehen. Alles in allem sind die Auswirkungen auf ungarische Bauern natürlich viel größer als auf österreichische.

Ungarn lässt dadurch den Eindruck entstehen, dass keine Rechtssicherheit gilt.
Genau im Gegenteil. Wir wollen die illegale Situationen beenden.

Die EU-Kommission hat ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn eröffnet, weil sie Rechte ausländischer Investoren eingeschränkt sieht. Ist Ungarn bereit, die Bodengesetze zu revidieren?
Wir kooperieren mit der Kommission und werden unsere Argumente darlegen. Das ungarische Bodengesetz steht auf der Basis der europäischen Normen, verstößt nicht gegen die Grundsätze der Union und wendet die Praxis zahlreicher europäischer Länder an.

Premier Orbán hat NGOs attackiert, weil sie von Ausländer finanziert seien. Jüngst fand eine Razzia gegen „Norwegenfonds“ statt. Das erinnert an Putins Methoden.
In Ungarn gibt es mehr als 80.000 Nichtregierungsorganisationen. Gegen manche wird nun ermittelt, weil der Verdacht besteht, dass sie öffentliche Gelder nicht legal verwendet haben.

Zur Person

Péter Szijjártó (geb. 30.10. 1978 in Komárom) ist seit September 2014 Ungarns Außen- und Außenhandelsminister. 2002 wurde der Ökonom Abgeordneter. Zwischen 2006 und 2010 war er Pressesprecher der Fidesz-Partei, bis 2012 Pressesprecher des Ministerpräsidenten und danach Staatssekretär im Ministerpräsidentenamt.

Diese Ermittlungen sind offenbar politisch motiviert. US-Präsident Barack Obama rügte Ungarn öffentlich, NGOs einzuschüchtern.
Ich weise den Vorwurf der politischen Motivation zurück. Schon an meinem ersten Arbeitstag habe ich gesagt, dass die Bemerkung des US-Präsidenten, wonach Ungarn NGOs unterdrücke, jeglicher Wahrheitsgrundlage entbehrt. Wer immer dem US-Präsident diesbezüglich informierte, führte ihn hinters Licht.

In Ungarn ist ein Experiment in Gang. Wie sehr ist dieser Systemwechsel von einer Person abhängig: von Viktor Orbán?
Das Land hat dem Ministerpräsidenten in fünf Wahlen hintereinander Autorität zur vollständigen Erneuerung des Landes gegeben. Als wir 2010 die Regierungsgeschäfte übernahmen, war Ungarn am Rande des Abgrunds. Wir standen vor der Alternative, die Austeritätspolitik unserer Vorgänger fortzusetzen und uns von internationalen Finanzinstitutionen abhängig zu machen, oder durch unorthodox genannte Maßnahmen erfolgreich zu werden.

Aber irgendwann einmal wird die Amtszeit Orbáns vorbei sein, und dann wird Ihre Partei Probleme haben.
Ich hoffe wirklich, dass Viktor Orbán für eine sehr lange Zeit Premierminister Ungarns bleibt. Wenn er 2010 nicht gewählt worden wäre, wäre unser Land im Nirgendwo.

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