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Alexis Tsipras bei einem Vortrag in Athen: Er bekräftigte, dass seine Regierung bei den Wahlversprechen bezüglich der Pensionen und im Arbeitsmarkt eine "rote Linie" ziehe, die Zusagen an die Bevölkerung nicht zurücknehmen werde.

Foto: AP/Giannakouris

Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, hat die griechische Regierung praktisch keine Chance mehr, in den kommenden Wochen mit den Verhandlern von EU, Eurogruppe und Zentralbank eine Lösung für einen ordentlichen Abschluss des zweiten Eurohilfsprogramms zu finden und damit eine Staatspleite zu verhindern. Das geht implizit aus einem Bericht des Internationalen Währungsfonds (IWF) hervor, der am Samstag bekannt wurde. Das als "streng geheim" eingestufte Papier enthält einen Bericht der IWF-Experten an die Führung unter Präsidentin Christine Lagarde und wurde am Donnerstag erstellt.

Es beschreibt im Detail die Lage bei den laufenden Gesprächen zwischen den Experten der "Institutionen", der ehemaligen Troika, mit den Regierungsvertretern in Athen. Es wird bestätigt, dass sich die Atmosphäre der Verhandlungen verbessert habe, seit Premierminister Alexis Tsipras den Prozess an sich gezogen und Finanzminister Yanis Varoufakis zur Seite gedrängt hat. Die Zahlen und Einschätzungen in dem Geheimpapier sind aber vernichtend.

Ernüchterndes Zahlenwerk

So wird nüchtern festgehalten, dass die Zahlen zu den fiskalischen Zielen im Hilfsprogramm, zum Budget 2015 wie auch zu steuerlichen Maßnahmen, nicht mehr einzuhalten sind, hinten und vorne nicht mehr stimmen. Zum einen sei Griechenland im ersten Quartal 2015 in die Rezession zurückgefallen (wie auch die EU-Kommission zuletzt festgestellt hatte).

Viel gefährlicher ist nach Einschätzung der IWF-Experten aber offenbar der Umstand, wie rasch die Griechen ihre Guthaben von den Banken abziehen. Seit Dezember 2014, dem Beginn des Wahlkampfs, der zum Regierungswechsel führte, haben die Sparer und Anleger insgesamt 40 Milliarden Euro von ihren Konten abgehoben – nicht weniger als 20 Prozent der gesamten Einlagen des Landes. Es wird nicht beziffert, wie viel davon ins Ausland geschafft wurde. Der IWF sieht umgekehrt aber eine besorgniserregende Abhängigkeit von der Liquiditätsversorgung durch das Eurobankensystem, die ständig zunehme.

Bei den politischen Verhandlungen sehen sie einige Fortschritte, etwa bei der Mehrwertsteuer (Tsipras will Einnahmen erhöhen) oder bei der Steuerverwaltung. Aber: Bei den großen Brocken der verlangten Reformen, im Pensionssystem ebenso wie bei der Reform der Arbeitsmärkte, gebe es keinen Fortschritt. Dies deckt sich ganz mit den Erklärungen von Tsipras bei einem Vortrag in Athen Freitagabend. Er bekräftigte dabei, dass seine Regierung bei den Wahlversprechen bezüglich der Pensionen und im Arbeitsmarkt eine "rote Linie" ziehe, die Zusagen an die Bevölkerung nicht zurücknehmen werde.

Keine "schnelle, dreckige" Lösung

Der IWF sieht zwar noch immer die Möglichkeit, dass dazu die Dinge in Bewegung geraten. Aber: Im Bericht an Lagarde wird wörtlich festgehalten, dass man die Partner in Europa, die EU-Institutionen wie die griechische Regierung selbst, darauf hingewiesen habe, dass der Fonds "einer schnellen und dreckigen Prüfung" des Programms niemals zustimmen wird. Der IWF sei an seine Regeln gebunden, er könne diese "nicht einfach vernebeln".

Das weist darauf hin, dass der IWF selbst kaum mit einer rechtzeitigen Lösung noch in den kommenden Wochen rechnet. Das vereinbarte Budgetziel für 2015 sei nicht mehr zu erreichen. Neue Ziele festzulegen sei "schwierig", weil dazu "wichtige Informationen" der Regierung in Athen fehlten. Es sei in letzter Zeit auch "zu einem dramatischen Verfall der Zahlungskultur im Land gekommen". Das Hilfsprogramm läuft Ende Juni formell aus. Kommt es zu keiner Einigung, könnten auch sieben Milliarden Euro aus dem Programm nicht ausgezahlt werden, das Land wäre dann pleite, weil es Verbindlichkeiten von fast zehn Milliarden Euro bis September nicht mehr bedienen könnte. (Thomas Mayer, 16.5.2015)