„Und da wurde mir klar, dass wir hinter McDonalds gefoltert werden“
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Interview: „Und da wurde mir klar, dass wir hinter McDonalds gefoltert werden“

Auf mehr als 6.000 Seiten beschreibt der Bericht des amerikanischen Senats, wie die CIA vor einem Jahrzehnt weltweit Terrorverdächtige folterte. Der gebürtige Bremer Murat Kurnaz war zu dieser Zeit Gefangener in Guantanamo. Bei Jung & Naiv redet er über fünf Jahre im Lager, Folter und Fangfragen des Kanzleramts, dessen Abgesandte ihn in Guantanamo verhörten und zurückließen.

Profilbild von Interview von Tilo Jung

https://www.youtube.com/watch?v=A7Oz4aO6nvA


Murat, ich wollte mit dir über die Karibik sprechen. Ich habe gehört, du warst ein Auswanderer, hast ein paar Jahre in der Karibik gelebt.

Genau, so ungefähr. Ich habe in der Karibik gelebt, aber nicht freiwillig. Ich saß fünf Jahre unschuldig in Guantanamo.

Hotel Guantanamo**?**

Naja, es war kein Fünf-Sterne-Hotel, aber eine Art Folterhotel.

Folterhotel?

Ja, genau.

Was soll das sein?

Das ist eine Art Gefangenenlager, wo Menschen gefoltert werden und du nicht das Recht hast, vor Gericht gehen zu können. Man wird gefoltert und gefoltert, darum geht’s eigentlich.

Aber wer geht denn da freiwillig hin?

Also ich nicht.

Was hast du denn da gemacht? Also wie bist du denn da hingekommen, wenn du nicht freiwillig dagewesen bist?

Ich bin in Pakistan gewesen. Und während meines Aufenthaltes in Pakistan haben die Pakistaner mich inhaftiert und an die Amerikaner gegen ein Kopfgeld von 3.000 Dollar als ein möglicher Terrorist verkauft. Und als die Amerikaner festgestellt haben, dass ich unschuldig bin und nicht der Mann bin, den sie haben wollen…

Wir sprachen mit Murat Kurnaz im "Folterkeller" von Amnesty International in der Berliner Brunnenstraße.

Wir sprachen mit Murat Kurnaz im “Folterkeller” von Amnesty International in der Berliner Brunnenstraße. Alexander Theiler

…haben sie dich freigelassen?

…wollten sie mich freilassen. Aber da hat die deutsche Regierung dann gesagt: Wir wollen den nicht wiederhaben. Und dann durfte ich vier, fünf Jahre weiter in Folterhaft sitzen – nachdem meine Unschuld eigentlich bewiesen worden ist!

Okay, fangen wir mal von vorne an. Bist du Deutscher?

Nein, bin ich nicht. Ich bin türkischer Staatsangehöriger.

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Aber in Deutschland vorher gelebt?

Ich bin in Deutschland geboren und habe immer in Deutschland gelebt, ja.

Und du bist kein Deutscher?

Ich bin kein Deutscher, also kein deutscher Staatsbürger.

Du hättest das doch bestimmt mit 18 oder 19 beantragen können?

Ja, genau. Aber mit 19 saß ich schon in Guantanamo.

Wann war das?

Das war 2001.

Da war doch der 11. September. Hat das damit was zu tun?

Genau. Das hat eigentlich damit zu tun, ja.

Warum?

Naja, da ging es los, dass die Amerikaner oder die ganze Welt Jagd auf Muslime gemacht haben, die möglicherweise Terroristen sein konnten. Und ich war einer unter denen, den sie festgenommen haben als ein möglicher Terrorist. Und als sie festgestellt haben, dass ich keiner bin, wollte mich keiner mehr zurückhaben.

Aber die müssen doch irgendwelche Gründe gehabt haben, dass sie gedacht haben, dass du Terrorist bist?

Nein, hatten sie eben nicht.

Hatten sie gar nicht?

Die haben erstmal Kopfgeld bezahlt und alles Mögliche eingekauft und dann recherchiert, ob ein Terrorist unter denen ist oder nicht. Und die, die keine Terroristen waren, haben sie versucht, wieder loszuwerden.

Kannst du das mit dem Kopfgeld kurz erklären? Wie hat das funktioniert?

Die haben Flyer von Helikoptern aus verteilt – in Gebieten, wo viel Armut herrscht – wo draufstand: Jeder, der einen möglichen Terroristen festnimmt und an die Amerikaner übergibt, wird eine Belohnung von bis zu 3.000 Dollar erhalten.

In Deutschland oder Pakistan?

In Afghanistan und Pakistan wurden diese Flyer ausgeteilt, und in Pakistan gab es dann Jagd besonders auf Ausländer, weil die Familien nicht nach ihnen fragen würden, in Pakistan. Das war leicht gemachtes Geld! Und 3.000 Dollar ist selbst für die Polizei und die Armee in Pakistan sehr viel Geld. Das ist nicht wie 3.000 Dollar hier in Deutschland, sondern damit können die Waren kaufen, dies und das machen. Damit kann man viel machen in Pakistan. Und das hat dann natürlich dazu geführt, dass sie viele Obdachlose und Nicht-Pakistaner an die Amis verkauft haben.

Aber wer kommt denn da auf die Idee zu sagen: ‘Hier, der Murat ist einer!’? Warst du im Urlaub in Pakistan?

Ich habe eine Koranschule besucht. Ich war auf dem Weg zurück nach Hause, ich war kurz vorm Flughafen, ich habe sogar mein Flugticket schon in der Tasche gehabt. Die hatten natürlich auch mein ganzes Gepäck durchsucht nach Waffen. Alles war okay, mein Visum war noch nicht abgelaufen, ich konnte nachweisen, in welchem Hotel ich übernachtet habe und alles… Und trotzdem haben sie mich an die Amerikaner weiter übergegeben.

Die pakistanische Armee oder die Polizisten?

Erst war es die pakistanische Polizei, dann haben sie mich an die pakistanische Armee übergeben und dann an die Amerikaner.

Haben die Pakistaner dich gut behandelt? Wie haben sie dich festgehalten, war das dann auch schon mit Sack über’n Kopf?

Am ersten Tag gab es noch keinen Sack über’n Kopf. Aber am zweiten Tag ging das schon los: Da durfte man nicht mitkriegen, wohin man fährt und solche Geschichten. Da gab’s dann Handschellen, einen Sack über den Kopf, Geheimgefängnisse, irgendwo unterirdisch und so weiter.

Hast du am Anfang noch gedacht: Das ist ein Missverständnis und nun muss ich einen Tag kurz mal bleiben und das wird ja irgendwann zu Ende gehen…?

Ja, genau das war der Fall. Erst dachte ich: Sobald die feststellen, dass die nichts gegen mich in der Hand haben und ich nicht der Typ bin, den die suchen, werden sie mich gehen lassen. Und dann hat sich das länger hingezogen. Und dann dachte ich: Wahrscheinlich ein paar Monate und dann darf ich wieder gehen… Und dann hat sich das bis zu fünf Jahren hingezogen! Und ich durfte innerhalb dieser fünf Jahre keinen Kontakt zur Außenwelt haben. Ich habe nicht mit meiner Familie oder einem Anwalt sprechen können.

Deswegen wusste ich auch nicht, was der Fall war und ob ich je überhaupt wieder freikomme oder nicht. Ich habe natürlich auch Menschen gesehen, also während meiner Haftzeit, die unter Folter gestorben sind. Und deswegen wusste ich nicht, ob ich je wieder freikommen würde oder nicht. Das konnte man nicht wissen, weil wir absolut keinen Kontakt mit der Außenwelt hatten.

Die pakistanische Polizei oder die Amerikaner haben auch nicht bei deiner Familie angerufen und gesagt: Den haben wir, der ist erstmal bei uns…?

Nach meiner Entlassung habe ich festgestellt, dass die deutsche Regierung irgendjemanden zu meinen Eltern geschickt und gesagt hat: Ihr Sohn ist irgendwo in Guantanamo… oder damals in Kandahar. Die wussten, dass ich in amerikanischer Haft bin, aber ich wusste nicht, dass meine Eltern wussten, dass ich in amerikanischer Haft bin.

Hättest ja eine E-Mail schreiben können! Im Hotel Guantanamo…

Ja, ich hatte mein Smartphone zu Hause vergessen gehabt. Damals gab’s sowieso keine Smartphones…

Aber haben die dich direkt aus Pakistan nach Guantanamo geflogen oder ging’s nochmal woanders hin?

Erstmal nach Kandahar. Von Pakistan aus nach Kandahar.

Kandahar?

Eine amerikanische Air Force Base – mitten im Kriegsgebiet war das damals. Die Taliban haben die Amerikaner beschossen, die Amerikaner haben zurückgeschossen, und wir waren da mittendrin auf offenem Gebiet. Es gab nur NATO-Draht um uns herum, und wir waren da halbnackt im offenen Feld. Nach drei, vier… Ich glaube, viereinhalb Monate war ich dort, und dann ging es weiter nach Guantanamo.

Was haben die in Kandahar mit dir gemacht? Haben sie versucht herauszufinden, ob du wirklich ein böser Typ bist? Haben sie mit dir geredet?

Die wollten nicht herausfinden, ob ich ein böser Typ bin oder nicht. Das hat die eigentlich gar nicht interessiert. Die sind davon ausgegangen, dass ich… Naja, die haben mich gezwungen, dass ich Papiere unterschreiben sollte, wo ich zugeben sollte, dass ich mit den Taliban zusammen gekämpft hätte oder dass ich ein Mitglied der El Kaida sei. Das sollte ich unterzeichnen.

Warst du das?

Das war ich nicht, deswegen habe ich es auch nicht unterzeichnet. Deswegen haben die mich auch gefoltert – weil sie der Meinung waren, wenn sie mich foltern, würde ich es auch unterschreiben. Dann haben die festgestellt, dass es mit Foltern nicht klappt. Dann haben die gedacht, unterschiedliche Folterarten würden dazu führen, dass ich es unterzeichnen würde. Dann haben sie halt alles ausprobiert, was denen so einfällt.

Ich habe mal gehört, wenn man gefoltert wird, dann macht man am Ende alles, was der Folterer will. Warum hast du das nicht gemacht?

Da hast du etwas Falsches gehört.

Ja?

Das tut nicht jeder. Also es gibt viele, die dann wahrscheinlich sagen: Okay, wahrscheinlich hören sie auf mit dem Foltern, ich tu’s und dann ist gut. Aber in meinem Fall… Weiß nicht, vielleicht bin ich auch ein Dickkopf und habe es nicht gemacht.

Wie haben sie dich gefoltert?

Mit Elektroschocks, Waterboarding,…

Waterboarding?

Waterboarding, ja. Also in meinem Fall nennt man es eigentlich water treatment

Gibt es einen Unterschied?

Da gibt es einen Unterschied, ja. Waterboarding ist da, wo man auf dem Rücken liegt und gefesselt wird, und da wird Wasser in den Mund gegossen. Das ist Waterboarding. Und water treatment ist: Man hat Handschellen hinterm Rücken, dass die Händen zusammengebunden sind. Da gibt es einen Eimer voller Wasser, da wird der Kopf reingedrückt. In der selben Zeit kriegt man einen Schlag in den Magen, sodass man versucht, einzuatmen. Und in diesem Fall schluckt man natürlich sehr viel Wasser und hat das Gefühl, dass man im Wasser ertrinkt. Man ertrinkt auch in Wirklichkeit schon. Und das soll dazu führen, dass man Sachen gesteht, was sie hören wollen.

Wurde immer dasselbe gefragt oder haben sie das auch irgendwann einmal geändert?

In meinem Fall war es mehr: „Wirst du das jetzt unterschreiben, oder nicht!?“ Und Beschimpfungen „Du Terrorist!“ und solche Geschichten.

In was für einer Sprache, auf Deutsch?

Auf Englisch, aber ich konnte kein Englisch! Ich habe nur vielleicht so zehn Prozent verstanden, was die mir erzählt haben.

Also ihr habt euch eigentlich gar nicht verstanden?

Naja, ich konnte schon verstehen, was sie von mir haben wollen. Denn wenn du einen Stift und Papier vor dir hast, wo du unterschreiben sollst, und du lesen kannst „El Kaida”, „Taliban“, dies und das, da weiß man schon, was Sache ist. So ein bisschen Englisch hatte ich ja auch in der Schule. Ich konnte zwar kein Englisch sprechen, aber so ein kleines bisschen konnte ich schon verstehen, so „Hi, how are you?“ und „yes/no“, „I am sick“ und solche Sachen.

Gab’s auch in Kandahar schon welche, denen es leid getan hat, was sie mit dir da gemacht haben, oder waren das alles kaltblütige Menschen, die dich gefoltert haben?

Naja, die dachten wahrscheinlich, die haben da einen super Terroristen vor sich und können den Großen spielen, können sich rächen für den 11. September oder so… Denen hat das schon Spaß gemacht.

Die haben verschiedene Foltermethoden ausprobiert… Was denn noch?

Also Schläge waren sowieso an der Tagesordnung.

Tagesordnung?

Also Tritte und Schläge ins Gesicht oder allgemein irgendwo hin – das war Standard. Wenn man gewählt worden ist, gab es immer Schläge und Tritte. Das zähle ich schon fast nicht mehr als Folter, sondern als Alltag.

Folter ist zum Alltag geworden?

Folter ist zum Alltag geworden, ja. Und abgesehen davon, musste ich einmal an Ketten hängen. An Ketten, bis die Füße komplett über den Boden sind und du komplett an den Ketten hängst. Da kommt der Arzt zwei-, dreimal am Tag, nimmt dich runter, guckt, ob du das noch mitmachst, hört sich dein Herz an, drückt so ein bisschen auf den Fingernägeln und guckt, ob du das noch durchhältst oder nicht. Es war sehr kalt, es war mitten im Winter. Es war kurz vor oder nach Weihnachten, weil ich gesehen habe, dass die da irgendwie ein bisschen Weihnachten gefeiert haben…

Das heißt, die haben zum Heiligen Fest e****in bisschen gefoltert…

Ja, ich durfte da für mehrere Tage hängen. Und in dieser Position kriegst du natürlich auch nichts zu essen, kannst auch nicht. Allein die Kälte macht dir zu schaffen und die Ketten und so etwas. Ich hing da wahrscheinlich für… Ich weiß nicht, wie viel… Aber nach zwei, drei Tagen.. Ich war immer in Ohnmacht gewesen.

Gab es wenigstens einigermaßen gutes Essen?

Nein. Wenn es überhaupt etwas zu essen gab, dann war das so halb gekochter Reis oder so halb gekochte Kartoffeln oder so etwas.

Nach vier Monaten ging es dann weiter?

Nach vier Monaten… ja, über vier Monate waren das ungefähr. Und dann ging’s weiter…

Hast du noch mitbekommen, wie die Tage vergehen? Hast du noch ein kalendarisches Gedächtnis gehabt, oder hast du irgendwann nichts mehr mitbekommen?

Ich selber nicht, weil ich – wie gesagt – ab und zu in Ohnmacht gewesen bin, da hat man keinen Zeitplan mehr. Man denkt, das waren vielleicht nur zwei, drei Minuten. Man denkt das selber, aber man hört von den anderen, dass es mehrere Tage waren, die man nicht mitbekommen hat. Und da wird einem klar, dass man selber keinen Zeitplan mehr hat. Aber die anderen wissen dann Bescheid, welchen Tag wir haben und Datum und so weiter.

Die „anderen“… Das heißt, du warst mit mehreren in einer Zelle?

Nein, da gab es keine Zelle. Wir waren im Offenen, da gab es kein Dach über uns, keinen Boden. Wir waren im offenen Feld und da war nur NATO-Draht um uns herum.

Wie Vieh oder was? Wie eine Kuhherde…?

Wie wilde Tiere, ja. Nein, bei einer Kuhherde gibt es – glaube ich – die haben ein Dach über dem Kopf. Wie die Tiere, nur NATO-Draht um uns herum. Da gab es dann natürlich Wärter, die uns überwacht haben, da gab es diese Wachen auf den Türmen. Dann haben die uns einmal am Tag etwas zu essen gegeben.

Wie habt ihr geschlafen?

Auf dem Boden.

Ohne Decken?

Ich glaube, vier Wochen später haben die uns Decken gegeben, weil viele… Ich weiß nicht, ob welche daran gestorben sind, aber viele waren halbtot.

Habt ihr Danke gesagt?

Ja klar, ich habe Danke gesagt, ja.

Und konnten andere da Deutsch, die da waren? Wie viele waren denn in diesem Feld? Konntest du dich mit denen unterhalten?

Nein, ich war der Einzige, der Deutsch gesprochen hat. Ich war der Einzige. Da gab es auch keinen, der Türkisch gesprochen hat. Und Englisch konnte ich auch nicht. Also haben wir uns mehr über Handzeichen und auf eigenen Sprachen unterhalten, ein bisschen und dies und das… Letztendlich habe ich dann irgendwann ein paar Sprachen dazu gelernt, damit ich mich mit den anderen unterhalten kann. Das hat sich so ergeben.

Ich habe mal gelernt, wenn man sich für den Islam interessiert, muss man Arabisch lernen…

Muss man nicht, aber man versteht einfach mehr, weil der Koran auf Arabisch ist. Deswegen ist das sinnvoll. Da versteht man, was drinsteht. Deswegen ist das sinnvoll.

Du hast also irgendwann auch Arabisch gelernt und konntest dich mit denen auch unterhalten.

Ich habe Arabisch gelernt, weil 50 Prozent der Inhaftierten waren auch Araber. Die Afghanen, die durften kurz danach wieder nach Hause gehen. Weil die Taliban sie gegen irgendwelche Amerikaner eingetauscht haben, gab es nach zwei, drei Jahren kaum noch Afghanen im Camp. Somit gab es fast nur noch Araber – und mich.

Vom Feld haben sie euch in ein Flugzeug gesteckt und gesagt: Okay, jetzt fliegt ihr in die Karibik?

Nein, die haben nicht gesagt, wir fliegen in die Karibik. Sondern die haben mir einen Sack über den Kopf gezogen und gesagt: „We’re going somewhere to shoot you.“

Mit einem Lächeln im Gesicht?

Klar, die haben sich gefreut. Ich dachte, die machen ernst – und ich habe mich auch ein bisschen gefreut, weil dann wäre Ende mit der Folter. Angst hatte ich nicht, dass sie mich erschießen würden. Ich glaube nicht, dass das Erschießen werden mehr weh tut, als wenn man gefoltert wird. Deswegen war das kein Schock für mich oder so.

Dann seid ihr nach Kuba geflogen?

Ich wusste nicht, wohin! Als sie mir die Augenbinden wieder abgenommen haben, dann war ich irgendwo, wo es richtig heiß ist. Ich wusste nicht, wo ich bin. Ich habe kurz überlegt, ob es die Türkei sein könnte – wegen meiner türkischen Staatsangehörigkeit.

Hast du dich gefreut und gedacht, jetzt wirst du übergeben?

Naja, gefreut habe ich mich nicht so. Aber auf jeden Fall wäre es besser als in Kandahar. Nur ich habe sofort auch feststellen können, dass es zu dieser Jahreszeit nicht so heiß sein könnte in der Türkei. Dann habe ich auch kurz danach diese exotischen Tiere gesehen, die da rumlaufen. Diese Boa-Schlangen und solche Sachen… Leguane, Kolibris, kleine Vögel. Und als ich diese exotischen Tiere gesehen habe, da war mir klar, das kann auf jeden Fall nicht die Türkei sein, das muss irgendetwas Karibisches sein. Aber ich wusste nicht, dass die Amerikaner auf Kuba, auf Guantanamo, einen amerikanischen Militärstützpunkt haben! Das wusste ich nicht.

Ich auch nicht.

Ja, das wussten viele nicht. Selbst heute! Naja, durch Guantanamo wissen es mittlerweile viele, aber es war weltweit nicht sehr bekannt.

Ich habe gehört, dieses Hotel Guantanamo wurde gerade auch erst eröffnet. Du warst dann einer der ersten Gäste. Hast du ein Zimmer mit Meeresblick bekommen?

Meeresblick hatten wir da nicht so ganz, nein. Man konnte es hören, aber nicht sehen, weil die da alles abgedeckt haben. Aber man konnte es hören und riechen, ja doch.

Erklär uns mal: Was hast du dann für ein „Zimmer“ bekommen? Wie sah so etwas aus, war das größer als hier?

Hast du schon einmal einen Hundekäfig gesehen?

Gefangene in Guantanamo

Gefangene in Guantanamo Foto: US Navy

Kommt darauf an, wie groß der Hund war…

Ja, so einen Schäferhund-Käfig hast du schon einmal gesehen?

So 1,5 Meter mal 1,5 Meter?

Das ist schon ein kleiner…

Zu klein?

Ja. So einen, wo die den ganzen Tag aufgehalten werden. Bisschen größer.

Gab es ein Bett?

Nein, ohne Bett.

Fernseher?

Kein Bett, keine Toilette, kein Wasserhahn, gar nichts. Ein leerer Käfig mit Betonboden. Da gab es zwei Eimer. Den einen haben sie mit Wasser gefüllt, wo man Trinkwasser hatte, den anderen haben wir als Toilette benutzt. Und geschlafen haben wir auf dem Boden.

Habt ihr Decken bekommen?

In Wirklichkeit gab es Decken, die man sehen durfte. Man durfte sie kurz in die Hand nehmen und so. Dann kam irgendein Wärter und meinte: Du hast deine Füße bedeckt oder dein Gesicht oder deinen Arm und dann gab es irgendeinen Grund, dass sie die wegnehmen durften – also gab es eigentlich keine Decke.

Hast du diese orangen Dinger getragen?

Todestrakt. Jaja, die haben alle getragen.

Ein Gefangener wird in Guantanamo zu einem anderen Ort gebracht.

Ein Gefangener wird in Guantanamo zu einem anderen Ort gebracht. Foto: US Navy

Wie viele waren dort am Anfang? Du warst ja einer der ersten…

Ich habe gehört, wir sollen so irgendwie um die 850 gewesen sein.

Hast du nicht mal gezählt? Irgendwie auf dem Pausenhof…

Zählen tue ich sowieso nicht selber, dafür ist das Camp zu groß. Da hat man nicht so einen großen Überblick.

Wie groß ist das Gefängnis?

Es gibt mittlerweile auf Guantanamo sieben bis acht Camps.

Verschiedene? Die sind getrennt voneinander?

Ja, verschiedene. Die sind nah beieinander, aber getrennt.

Immer noch?

Camp X-Ray wird nicht mehr benutzt. Dann gibt es Isolationscamps, wo es Isolationshaft gibt, und dann gibt es welche mit Plexiglas-Isolierung und unterschiedliche Arten von Käfigformen und so etwas.

Du hast zum Glück den besten Käfig gehabt, nämlich den Freiluft-Käfig?

Den Freiluft-Käfig. Innerhalb dieser fünf Jahre durfte ich überall Zeit verbringen – besonders viel in Isolationshaft. Ich habe innerhalb dieser fünf Jahre insgesamt über ein Jahr in Isolationshaft gesessen. Einmal waren es 60 Tage, mal 90 Tage. Also weniger als 30 Tage gab es da nicht.

Hast du dich schlecht benommen?

Die haben mich erwischt, als ich die Vögel gefüttert habe. Ich habe ein bisschen von meinem Brot aufgehoben, habe Vögel gefüttert, und dann durfte ich für 30 bis 60 Tage in Isolationshaft. Mal habe ich den Wärtern auf die Fresse gehauen, da gab es 60 bis 90 Tage.

Hast du dich geschlagen mit den Wärtern?

Ja, wenn ich die Möglichkeit hatte: natürlich. Aber da gab es kaum Möglichkeiten, wenn man 24 Stunden im Käfig ist. Aber wenn die mich mal herausgenommen haben – und das war gerade der Wärter, den ich nicht leiden konnte – habe ich dem eine Kopfnuss verpasst, sodass der umgefallen ist. Und dann habe ich mich auf den gestürzt, den mit dem Knie und so ein bisschen verarbeitet, soweit ich konnte, denn ich hatte natürlich Handschellen gehabt, Fußfesseln. Da kann man nicht viel machen. Letztendlich verliert man so oder so. Aber ich habe mich natürlich ein bisschen besser gefühlt, weil ich es ihm zeigen konnte. Aber viel hat das nicht gebracht.

Warum warst du sauer auf ihn?

Weil er mich beschimpft hat oder weil er mir meine Mahlzeit nicht gegeben hat, die ich angeblich bekommen durfte, und solche Sachen. Oder weil er mich nicht schlafen lassen hat. Oder weil er mir die Decke weggenommen hat. Unterschiedliche Gründe. Gab es immer mal.

Haben sie dich wenigstens in Guantanamo nicht mehr gefoltert?

Doch, da ging es weiter. Folter hat bis zu meiner Entlassung nicht aufgehört. Die haben die Folter auf Guantanamo mehr professionalisiert, indem sie darauf geachtet haben, dass Folter keine Spuren hinterlässt, sondern mehr wie…. Ich nenne es mal: Foltern durch Schlafentzug. Das ist für mich eine der schlimmsten Arten, wie man Menschen foltern kann. Das hinterlässt keine Spuren, die man sehen kann.

Außer Augenringe?

Ja. Augenringe gehen weg, wenn du mal wieder geschlafen hast, aber davon kann man schon ziemlich was… Ja, wie soll ich es sagen? Also man kann dabei schon kaputt gehen.

Was habt ihr den ganzen Tag gemacht, wenn du da vier, fünf Jahre da warst… Gab es einen Alltag?

Alltag… ja. Alltag war so etwas, wie beleidigt zu werden, dass man gefoltert wird und dass man hungert. Das war eigentlich der Alltag.

Hast du irgendwas zu lesen gehabt? Konntest du dich da mit deinen Kumpels unterhalten, hast du Kumpels gehabt?

Wenn man Nachbarn hatte, mit denen man dieselbe Sprache spricht, dann konnte man sich mit dem anderen unterhalten. Durfte man nicht, aber natürlich tat man das. Das war schon ab und zu mal der Fall.

Worüber habt ihr euch unterhalten? „Was für ein Arschloch der Wärter hier!“ oder habt ihr euch gefragt, was das hier ist?

Ja, unterschiedlich. Man unterhält sich dann – wie im normalen Leben auch – auch über „normale“ Sachen, klar.

Etwa „Wie wurdest du gerade gefoltert?“

Das unter anderem auch. Man hat natürlich auch Witze darüber gemacht, wie man gefoltert wurde. Der eine – ich hatte einen schwarzen Nachbarn gehabt – aus Saudi-Arabien, aus einem afrikanischen Land ursprünglich… Da hat ein Wärter ihm sehr laute Musik aufgedreht, weil er ihn damit stören wollte. Er hat dann angefangen, mit dem Kopf zu nicken und meinte: „Dreh lauter auf, ich bin Schwarzer! Ich mag so etwas.“ Er hat sich dann aufgeregt, kam wieder, er lachte selber. Es gab schon so Sachen, worüber wir nur lachen konnten, klar.

Gab es auch mal einen Moment, wo beide Seiten darüber lachen konnten, also der Wärter und du? Gab es irgendwann mal eine menschliche Verbindung?

Nein, niemals.

Wirklich nicht? Selbst im Gefängnis gibt es ja immer ein oder zwei gute Wärter – so à la „good cop, bad cop“.

Gibt es nicht. Unter den Wärtern gibt es keine guten oder schlechten, da gibt es nur schlechte. Es gab zwei, die nicht gefoltert haben.

Die waren dagegen? Haben die gesagt: „Murat, ich bin eigentlich dagegen, was die hier gerade mit euch machen“?

Wenn er sich mit einem unterhalten hat und nicht mitgemacht hat, während die anderen foltern oder zuschlagen, und er nur zugesehen hat, dann weiß man schon, dass er keinen Spaß daran hat oder dagegen ist. Und dann spricht man ihn irgendwann darauf an oder er spricht dich an… Da gab es schon solche Fälle.

Wollten die immer noch jeden Tag vier Jahre lang das Gleiche wissen von dir?

Ich habe zwei, drei Jahre später selber aufgehört, Fragen zu beantworten. Ich habe einfach gar nichts mehr gesagt, ich habe meinen Namen nicht mehr gesagt. Wenn die nach meinem Namen gefragt haben, ich habe gar nichts gesagt. Ich habe zwei oder drei Jahre später aufgehört mitzumachen. Ich habe denen einfach nur gesagt: Spult die Bänder zurück, die ihr habt! Da hat sich nichts geändert! Ich war nicht in der Vergangenheit und habe da etwas geändert, sondern ihr könnt die Bänder sehen, die ihr habt und das ist alles, was ich zu sagen habe.

Hat dir das dein Anwalt empfohlen?

Mein Anwalt?

Der kam doch bestimmt irgendwann einmal?

Ich war mein eigener Anwalt! Es gab einen Amerikaner, der sich als Anwalt dargestellt hat, drei, vier Jahre später. Ich wusste nicht, ob er Anwalt ist oder nicht. Er hat mich innerhalb der letzten zwei Jahre zwei- oder dreimal besuchen dürfen. Er war auch Amerikaner. Er meinte, dass er mein Anwalt sei und mir helfen möchte. Ich habe gesagt: Ich akzeptiere dich nur als Anwalt, wenn du mir Kaffee bringst. Dann kam er am nächsten Tag mit zwei großen Bechern von McDonalds. Da habe ich ihn gefragt: Woher hast du die? Er meinte, 300 Meter weiter gibt es ein McDonalds. Und da wurde mir klar, dass wir hinter McDonalds gefoltert werden. Vielleicht muss ich McDonalds auch noch anklagen, weiß ich nicht… Vielleicht kann ich dagegen etwas machen…

Du hättest nur den Kaffee über dein Bein schütten müssen und sagen: Hier, ich will 500 Millionen Dollar.

Nein, dafür war mir der Kaffee zu wertvoll. Das war der erste Kaffee, den ich nach mehreren Jahren überhaupt trinken durfte, das war mir zu wertvoll. Den habe ich ausgetrunken.

Ohne Scheiß: Gab es irgendwann mal einen Anwalt?

Das war echt so, das ist kein Witz. So war das.

Aber ist irgendwann mal Familie oder dein wirklicher Anwalt aus Deutschland gekommen?

Nein.

Durftest du Briefe schreiben?

Ich habe einmal versucht, Briefe zu schreiben, aber da gab es am selben Abend noch die Befragung: Warum hast du dies geschrieben, warum hast du das gemacht? Da wurde man bestraft. Es macht einfach keinen Sinn. In den ersten Jahren habe ich es versucht, Briefe zu schreiben.

Da hättest du Postkarten schreiben können, „Hey Mama,…“

Das waren sowieso nur Postkarten. Also mit Briefen meinte ich Postkarten. Zwei, drei Sätze nur. Von Red Cross, das Rote Kreuz hier. „Ich bin am Leben, mir geht es gut“ und so.

Macht euch keine Sorgen.

Genau.

Hast du dir irgendwann Sorgen gemacht, dass du nicht mehr hinauskommst?

Ich habe schon damit gerechnet, dass ich auch einer der nächsten sein kann, der bald drauf geht. Ich meine, unter Folter sind viele Menschen gestorben und ich könnte jederzeit auch der nächste sein, der mit drauf geht. Damit habe ich schon gerechnet, ja.

Warum bist du nicht gestorben?

Warum bin ich nicht gestorben? Weil meine Zeit noch nicht gekommen war.

Die der anderen dagegen schon?

Jeder hat so seine Zeit. Den einen erwischt ein Wagen, der andere kriegt einen Herzinfarkt, der andere trinkt zu viel oder was weiß ich. Oder schluckt Drogen. Und dann gibt’s welche, die unter Folter ihr Leben lassen. Und meine Zeit war noch nicht gekommen. Ich weiß nicht, woran ich sterben werde – aber nicht wegen Folter.

Kamen irgendwann einmal deutsche Behörden zu dir an? Hast du irgendwann mal mit Deutschen geredet?

Als [der damalige Kanzleramtschef und heutige deutsche Außenminister] Frank-Walter Steinmeier das Angebot hatte, mich da rausholen zu können…

Der hatte ein Angebot bekommen?

Ja, vom Geheimdienst aus. Er hat das Angebot gehabt und hat gesagt: Nein, will ich nicht. Aber zur selben Zeit hat er ein Expertenteam rübergeschickt nach Guantanamo, was er nicht hätte machen dürfen, weil man in einem Foltercamp Menschen nicht verhören darf. Aber hat er gemacht. Hat er geheim gehalten vor der Öffentlichkeit und auch vor meiner Familie. Und die haben mich verhört, drei Tage lang. Die haben sogar Fangfragen gestellt, wo ich nur „ja“ und „nein“ sagen durfte und nicht überlegen durfte, einfach sofort antworten, indem sie gefragt haben: Mögen sie Milch? Sind sie ein Terrorist? Mögen sie El Kaida? Haben sie weiße Schuhe/ schwarze Schuhe gehabt? Ein Kinderspiel, aber was ziemlich ernst ist. Und selbst das hat nicht geklappt. Sie sind zu dem Schluss gekommen, dass ich unschuldig sei und keine Gefahr für Deutschland und weder für Israel. Das haben die auch so weitergeleitet…

Und haben dich mitgenommen!

Nein, die haben das so weitergeleitet. Nach diesem Bericht an Frank-Walter Steinmeier hat das trotzdem nichts gebracht. Jeder meinte, der soll weiter dort bleiben. Ganz nach dem Motto: Wir haben sowie genug Türken in Deutschland, der kann dort bleiben. So in der Art.

Meinst du, er hat persönlich etwas gegen dich?

Ich weiß nicht, ob er etwas gegen Ausländer hat, das weiß ich nicht. Oder ob er was persönlich gegen mich hat, keine Ahnung!

Hast du ihn mal gefragt?

Nein, würde ich auch nicht machen.

Wer hat gesagt: Du kommst jetzt mal zurück aus der Karibik?

Mein Anwalt, von dem ich nie gewusst habe, Bernhard Docke, in Deutschland, den ich auch erst nach meiner Entlassung kennengelernt habe… Meine Mutter hat ihn kontaktiert, er hat einen Brief an Angela Merkel geschrieben. Und Angela Merkel hat sich dann mit George Bush getroffen, und die waren der Meinung, dass man das öffentlich machen sollte. Die waren ja eh der Meinung, dass sie das gut ausnutzen könnten, wäre ja wahrscheinlich gut, positiv für irgendwelche Wahlen und so… Dann hat sie das öffentlich gemacht: „Ich möchte Murat Kurnaz zurück nach Deutschland“, da hat er gesagt, okay, das machen wir. Und dann durfte ich irgendwann wieder zurück nach Hause.

Hast du irgendwann Angie getroffen?

Nein, habe ich nicht. Nein. Ich habe ihr einen Dank zugeschickt. Mein Anwalt hat sie persönlich getroffen, wo er mal da war. Ich war nicht dabei.

Hast du in Guantanamo Freundschaften geschlossen? Sind da immer noch Freunde von dir? Das Camp ist ja immer noch offen.

Ja.

Seit wie vielen Jahren bist du draußen?

Über acht Jahre.

Das Gefängnis gibt es immer noch, da sind immer noch 136 Menschen da.

Ja, mindestens. Offiziell, ja.

Kommen die irgendwann heraus?

Ich hoffe, ja. Aber wie es aussieht, nicht. Barack Obama hatte es ja vor den Wahlen versprochen, dass er das Camp schließen wird. Das erste, was er machen wird: dass er dieses Camp schließen wird! Nach den Wahlen hat er sich nicht dafür interessiert und sein Wort nicht gehalten. Und selbst als er das zweite Mal gewählt worden ist, hat er das Camp immer noch nicht geschlossen. Jetzt hat er das auch nicht mehr vor. Wenn überhaupt, würde er es wahrscheinlich nach USA irgendwie verlegen, aber es ist nicht mehr der Fall, dass davon gesprochen wird, das Guantanamo geschlossen wird.

Nun kam diese Woche dieser CIA-Folterbericht heraus. Hast du das mitbekommen?

Genau.

Hat es dich überrascht, was da rausgekommen ist?

Ich bin gar nicht überrascht.

Alle Menschen schienen überrascht…

Die Menschen tun meistens überrascht, aber irgendwie wissen die schon, was alles da so läuft. Es ist nicht neu, dass Geheimdienstleute merken, dass es ernst wird, und um sich den eigenen Hintern retten zu können, lassen sie irgendwelche kleinen Geheimdienstler aufspringen, indem sie sich selber retten können. Das ist schon immer der Fall gewesen im Geheimdienstbereich, das ist eigentlich auch nichts Neues. Und diese Berichte, die veröffentlicht worden sind… Ich glaube nicht, dass sich da sehr viel etwas ändern wird, oder dass die Amerikaner sagen: “Hey, es ist soweit gekommen, dass wir dieses Camp schließen müssen“, das glaube ich absolut nicht. Selbst Barack Obama wäre der Einzige, der sich Gedanken darüber machen müsste und dieses Camp schließen sollte, wenigstens nach diesen Veröffentlichungen. Ich glaube nicht, dass er sich darum kümmern wird.

Sollten die Menschen, die gefoltert haben, die dich gefoltert haben, angeklagt werden und ins Gefängnis gesteckt werden?

Ja, zumindest das. Ja.

Wir haben die Bundesregierung gefragt, ob die Bundesregierung das von den Amerikanern fordert. Die sagt so: Pühhh, die Amis werden das schon selbst wissen.

Ja, denen ist das egal. Ich meine, zumindest bis jetzt hat ja keiner da irgendwie etwas Großartiges machen wollen oder auch gemacht. Denen ist das eigentlich nicht so wichtig, dass diese Leute zur Rechenschaft gezogen werden.

Könntest du dem Generalbundesanwalt irgendwie sagen: Hier, ich erinnere mich an das und das Gesicht, die haben mich gefoltert – damit da ermittelt werden kann?

Ich kenne sogar Wärter mit Vor- und Nachnamen, deren Gesichter und alles.

Geh doch mal hin zum Generalbundesanwalt und sag ihm: “Du bist verantwortlich, dass da ermittelt wird, ich helfe da gerne mit.“

Nein, die sind ja gesetzlich nicht dafür verantwortlich, was sie getan haben… Angeblich! Erstens, man kann sie nicht anklagen, zweitens gibt es kein Gesetz, dass man sie anklagen kann, und drittens, man kommt nie so weit.

Du bist wieder zurück. Hat sich irgendetwas getan? Wurdest du entschädigt?

Nein. Eine Entschädigung gibt es erst, wenn es eine Entschuldigung geben würde und wenn man vor Gericht gehen würde und solche Geschichten. Nach meiner Entlassung sind angeblich bei der deutschen Regierung im Geheimdienstbereich zwanzig PCs abgestürzt, wo all meine Sachen dokumentiert worden sind…

So ein Pech.

Ja. Und meine Anwälte, was die bräuchten für eine Anklage: dass die alle vernommen werden sollen. Das ist Demokratie in Deutschland.

Gehst du noch wählen? Du hast ja hier kein Wahlrecht.

Nein, ich darf aber in der Türkei und auch in Deutschland für die türkischen Politiker. Aber tue ich auch nicht.

Warum nicht?

Ich halte nichts von der Politik. Das ist leider eine Sache, die es geben muss. Aber ich halte nichts von der Politik. Und deswegen gehe ich auch nicht wählen.

Findest du, dass Amerika ein Unrechtsstaat ist?

Also Bush und seine Strategie, was er da durchgezogen hat, das ist natürlich eine Katastrophe gewesen. Wenn man das so heute betrachtet, dass er diese ganzen Kriege angefangen hat – mit den angeblichen chemischen Bomben und dies und das, in Irak, was es nie gab und was alles er gefälscht hat,… Ich meine, es gibt selbst viele Politiker in den USA, die selbst von den Amerikanern gehasst werden und nach deren Meinung die nicht das Recht haben, in der Regierung sich zeigen zu dürfen. Da brauche ich selber nichts zu sagen.

Es waren ja Hunderte in Guantanamo. Es sind auch schon Hunderte freigekommen, nicht nur du. Sind die alle wieder voll integriert in die Gesellschaft, oder kennst du vielleicht irgendwelche Häftlinge, die gesagt haben: Was die mir antun, das werde ich denen auch antun. Häftlinge, die sich dafür rächen wollen, was Amerika, was die CIA mit denen gemacht haben…

Gibt es einige! Die sind entlassen worden und haben einen Lkw mit Sprengstoff geladen und sich irgendwo reingeknallt, alles in die Luft gejagt. Selbst in ISIS gibt es unter den Führern welche aus Guantanamo, die da vieles in die Luft jagen und Leute zerfetzen.

Auch bei ISIS gibt es Leute, die in Guantanamo waren?

Ja, na klar. Natürlich. Unter den Terroristen werden Leute geschätzt, die für ihren Glauben etwas durchgemacht haben und dies und das. Die werden respektiert und geschätzt und die haben dann natürlich eine besondere Stellung unter den Terroristen. Ich meine, wenn die der Meinung sind, ich bin gefoltert worden und muss jetzt auch foltern, wahrscheinlich sind sie soweit gestört, dass sie Spaß daran haben – und da ist nichts zu machen.

ISIS ist seit einem halben Jahr Thema. Hast du Angst vor denen?

Angst vor ISIS? Nein. Wenn man Angst haben sollte vor irgendjemanden, dann vor den Amerikanern. Also ich habe keine Angst vor den Amerikanern, aber wenn man Angst haben sollte, dann lieber vor denen.

Warum?

Weil sie die ersten sind, die die Kriege überall anfangen. Ich meine, guck doch mal, wer den Krieg im Irak angefangen hat, hier und da… ISIS würde es heute gar nicht geben, wenn Bush den Krieg in Irak nicht angefangen hätte. Wenn Saddam da noch leben würde, würde es ISIS nicht geben.

Update (1): Die Bundesregierung sieht in Sachen Kurnaz & deutsche Verstrickungen in CIA-Folter keinen Handlungsbedarf… Aus der Bundespressekonferenz vom Montag (15.12.)

JUNG: Herr Schäfer, ich habe am Wochenende mit Herrn Kurnaz gesprochen, und der hat davon berichtet, dass er von US-Streitkräften in Afghanistan und in Guantanamo gefoltert wurde. Könnten Sie noch einmal sagen, warum der jetzige Außenminister und damalige Kanzleramtschef ihn nicht heimgeholt hat?

DR. SCHÄFER (Außenministerium): Das sind Dinge, die liegen jetzt wie viele Jahre zurück ich weiß nicht, vielleicht zehn oder mehr Jahre?

JUNG: Zwischen 2002 und 2006 hatte er die Chance gehabt.

DR. SCHÄFER: Jetzt einmal im Ernst, Herr Jung: Ich bin hier jetzt auf Ihren kurzen Zuruf hin weder in der Lage noch bereit, irgendetwas dazu zu sagen. Dazu hat es einen Untersuchungsausschuss gegeben. Da ist zu diesem Thema wirklich in aller Länge und aller Breite Stellung genommen worden, einschließlich von Herrn Steinmeier. Da habe ich hier jetzt absolut nichts hinzuzufügen.

JUNG. Die Frage bezog sich aber auf den aktuellen CIA-Folterbericht. Hat die Bundesregierung, hat Herr Steinmeier daraus jetzt etwas gelernt? Würde er gerade mit Blick auf den Fall des Unschuldigen Kurnaz noch einmal so handeln?

DR. SCHÄFER: Das Einzige, was ich dazu sagen möchte, ist, dass ich nach allem, was ich weiß, zwischen dem jetzt vom amerikanischen Senat veröffentlichten Bericht einerseits und den Ergebnissen des Untersuchungsausschusses andererseits, in dem auch der Fall Kurnaz zur Sprache gekommen ist, keine Widersprüche erkennen kann.

Update (2): Aus der Bundespressekonferenz vom Mittwoch (17.12.)

JUNG: Herr Seibert, nach dem NSA-Skandal gab es einen NSA-Untersuchungsausschuss im Bundestag. Wird sich die Bundesregierung für einen Folter-Untersuchungsausschuss im Bundestag einsetzen? Um dies zu konkretisieren: Bietet die Bundesregierung totale Transparenz bei solch gruseligen Taten an, die, wie die Bundesregierung ja selbst betont, nie und durch nichts zu rechtfertigen sind?

STS SEIBERT: Der parlamentarische Untersuchungsausschuss ist eine scharfe Waffe des Parlaments. Ob einer eingerichtet wird oder nicht, ist grundsätzlich allein Entscheidung des Bundestags und der Abgeordneten. Wenn es Untersuchungsausschüsse gegeben hat, hat die Bundesregierung stets transparent und konstruktiv mit ihnen zusammengearbeitet.

JUNG: Ist die damalige Beteiligung von Herrn Steinmeier in Sachen Guantanamo und Folter für die Kanzlerin bei ihrer Erschütterung über den Folterbericht ein Thema?

STS SEIBERT: All diese Fragen wir hatten das auch in den vergangenen Regierungspressekonferenzen behandelt sind in einem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages in der vorletzten Legislaturperiode untersucht worden. Dem Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses habe ich hier nichts hinzuzufügen.

JUNG: Aber seitdem gibt es neue Erkenntnisse; seitdem ist der Senatsbericht herausgekommen. Dazu gab es weder in Amerika noch hier Untersuchungen.

STS SEIBERT: Zu diesem Senatsbericht habe ich mich in den vergangenen Regierungspressekonferenzen wirklich ausführlich geäußert. Ich habe heute keinen neuen Sachstand dazu zu berichten.


Gespräch: Tilo Jung; Produktion: Alexander Theiler; Transkript: Anne Juliane Wirth