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Martina Gedeck: Echte Wahlfrau, Falsche Twitterin

Foto: ddp

"Titanic"-Gag Falsche Martina Gedeck narrt Medien mit Twitterei

Unter dem Namen @martinagedeck wird auf Twitter live über die Präsidentenwahl berichtet - auch Indiskretes und falsche Vorab-Ergebnisse. Martina Gedeck ist tatsächlich Wahlfrau in der Bundesversammlung. Doch die "Titanic" treibt ein böses Spiel mit ihrem Namen.

Hamburg - Strikte Disziplin hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert verordnet. Das Abstimmungsergebnis bei der Bundespräsidentenwahl sollte nicht vor der offiziellen Verkündung ins Internet durchsickern. Bei der Wahl von Horst Köhler war genau das passiert - zwei Abgeordnete konnten nicht an sich halten und bliesen es in alle Welt hinaus. Dieses Mal wurde der Zählkommission eine elektronische Nachrichtensperre auferlegt.

Eine Viertelstunde, bevor das Ergebnis des ersten Wahlgangs offiziell feststand, kursierte trotzdem eine Nachricht im Netz:

"ok busemann (cdu) hat ne sms bekommen leute :) also kein zweiter wahlgang #bundesversammlung #bpw"

Martina Gedeck

Geschrieben hat es @martinagedeck auf Twitter. Auf den ersten Blick handelt es sich um die Schauspielerin ("Das Leben der Anderen"), die als Wahlfrau der Grünen in der Bundesversammlung sitzt. Das wäre zu schön, um wirklich wahr zu sein.

Schaut man genauer hin, zeigen sich gleich Ungereimtheiten: So wird der vermeintlich Martina Gedeck gehörende Twitter-Account erst seit einem Tag befüllt - vor allem mit Belanglosigkeiten aus Wikipedia. "Sam Stephenson war ein irischer Architekt, dessen Gebäude meist große Kontroversen in der Öffentlichkeit hervorriefen. Also, bei mir nicht!", schreibt @martinagedeck. Bis auf den kurzen Kommentar am Ende ist der Text so in dem Online-Nachschlagewerk zu finden.

Außerdem tragen die Nachrichten den Absendeort "Web", was darauf hindeutet, dass die Einträge von einem Computer oder Laptop über die Twitter-Website abgeschickt werden - und nicht von einem Mobiltelefon, wie es bei Mitgliedern der Bundesversammlung wahrscheinlicher ist. Im Fernsehen ist nichts davon zu sehen, dass Gedeck mit einem Rechner unterm Arm durch den Reichstag laufen würde.

Mutmaßlicher Fake, auf den ersten Blick geschickt gemacht

So ist es tatsächlich: Die Schauspielerin, die zunächst am Mittwochnachmittag wegen der laufenden Wahlgänge nicht erreichbar war, meldete sich auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE bei ihrem Management: Sie habe gar keinen Twitter-Account, wisse gar nicht, wie das gehe. Der Pressesprecher der Grünen-Fraktion erklärte gegenüber SPIEGEL ONLINE, dass Gedeck sich sich in aller Form gegen den Missbrauch ihres Namens verwahre und bereits einen Anwalt eingeschaltet habe.

Gegen 18 Uhr meldete sich dann der Chefredakteur der Satirezeitschrift "Titanic", Leo Fischer, bei SPIEGEL ONLINE und gab die Fälschung des Twitter-Accounts zu. Auf Nachfrage gab er an, mit der Spaßaktion habe man dem "weichen Knödel Wulff" ein bisschen "scharfe Soße" beigeben wollen. Vor allem freue ihn das breite Medienecho auf die gefälschten Twitter-Nachrichten. Dass Martina Gedeck die Nutzung ihres Namens womöglich alles andere als lustig findet, stört ihn offenbar nicht weiter: "Sobald wir Nachricht von ihr haben, hören wir damit auf."

Der Fake ist nur auf den ersten Blick geschickt gemacht. "phoenix hat mich grad interviewt", steht auf Twitter wenige Minuten nach einem Phoenix-Interview mit der echten Gedeck. Und die letzten Einträge vor der Versammlung sind nicht so offensichtlich aus Wikipedia kopiert wie die älteren - dafür sind sie arg belanglos: "Bin mal kurz essen..."

Die Nachrichten von der Wahl vermitteln den Eindruck, da sei jemand mittendrin - nur enthalten sie, bis auf unverdächtige Kleinigkeiten nichts, was nicht auch ein Fernsehzuschauer beobachten könnte.

"gauck im zweiten wahlgang, fussel im kaffee"

Spätestens nach der vermeintlichen Exklusivnachricht - das angebliche vorzeitige Ergebnis des ersten Wahlgangs - hätte man stutzig werden müssen. Christian Wulff wurde am Mittag schließlich nicht gewählt. Trotzdem, @martinagedeck macht einfach weiter: "ein tag voller überraschungen: gauck im zweiten wahlgang, fussel im kaffee :)"

Zu diesem Zeitpunkt sind bereits Nachrichtenseiten auf @martinagedeck aufmerksam geworden und berichten, auch in der ARD wird von Twitter-Vorabergebnissen geunkt. Als ARD-Mann Ulrich Deppendorf die Schauspielerin dann wenig später vor der Kamera hat, fragt er leider nicht, ob @martinagedeck denn Martina Gedeck ist. Er hätte den Fake sonst frühzeitig aufklären können.