Flüchtlinge:Das "Reisepaket Italien" wird für 6000 Euro angeboten

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Neue Fluchtrouten

(Foto: SZ-Grafik)

Derzeit flüchten die meisten Menschen über Griechenland, doch das könnte sich bald ändern. Das italienische Innenministerium spielt verschiedene Szenarien durch.

Von Oliver Meiler, Rom

Sie nennen ihn "Plan B". Und "Plan B" ist ein Umweg, teurer und gefährlicher als Plan A - aber immer noch ein Plan. Seit sich auf der Fluchtroute durch den Balkan und hinauf in den Norden Europas Grenze um Grenze schließt und wie beim Domino nacheinander alle Optionen fallen, bieten die Schlepperbanden nun wieder die Alternative über das östliche Mittelmeer an - von Griechenland oder der Türkei, von Albanien oder Montenegro nach Italien. Ein Blick auf die Landkarte reicht aus, um zu verstehen, wie plausibel das Szenario von "Plan B" ist.

Die römische Zeitung La Repubblica berichtet, "infiltrierte italienische Ermittler" hätten nun mitverfolgt, wie auf dem Markt der Menschenhändler, der hauptsächlich über Facebook-Profile und Whatsapp funktioniert, das "Reisepaket Italien" für 6000 bis 7000 Euro angeboten werde. Eines geht so: Die Flüchtlinge werden mit Autobussen von Griechenland nach Albanien gebracht, an die Strände zwischen Durres und Vlore, wo sie dann in Gummibooten über den Canale d'Otranto nach Apulien übersetzen. An dieser Stelle ist die Adria besonders schmal - nur etwa fünfzig Seemeilen trennen die Küsten Albaniens von jenen am Stiefelabsatz. Da reichen einige Stunden für die Überfahrt. Die Schlepper, schreibt Repubblica, bieten einen Dienst auf schnellen Gummibooten an, die nur etwa sieben bis zehn Meter lang sind, auf keinem Radar der Küstenwache erscheinen und leicht überall anlegen können. In flüchtlingsarmen Zeiten dienen diese Boote Drogenkurieren und Zigarettenschmugglern.

Bilder früherer Fluchten wirken wie Ikonen

Nun erfährt das Geschäft mit den Migranten wohl bald wieder eine Blütezeit. Die Flucht über die Straße von Otranto hat eine lange Geschichte. Es gibt davon historische Bilder mit hohem Symbolwert, die wie Ikonen wirken. Besonders berühmt wurden die Bilder, die den Kahn Vlora zeigen, ein Containerschiff, das im Sommer 1991 mit 20 000 albanischen Flüchtlingen an Bord in der apulischen Hafenstadt Bari einlief.

Im italienischen Innenministerium spielen sie aber auch noch andere Szenarien durch. Möglich wäre zum Beispiel, dass die Schleuser die Flüchtlinge bis nach Montenegro bringen, wo es ebenfalls Banden mit langer Schmuggelerfahrung gibt, die ihre Kundschaft ebenfalls über die Adria nach Italien transportieren würden, womöglich etwas nördlicher. Eine weitere Route könnte Flüchtlinge, die nun in griechischen Lagern an der Grenze zu Mazedonien festsitzen, auf eine lange Seereise rund um den Peloponnes führen - mit Destination Kalabrien oder Apulien. Für diese Route wären jedoch größere Schiffe nötig, die in der Ägäis leicht von der Nato abgefangen werden könnten.

Ein weiteres Szenario: Türkei - Italien per Schiff

Und dann gäbe es auch noch die Möglichkeit, dass Flüchtlinge direkt aus der Türkei auf eine noch längere Reise nach Süditalien geschickt würden - aus Mersin zum Beispiel. Auch da gibt es einen Präzedenzfall: In Mersin hatte das Cargoschiff Blue Sky unter moldawischer Flagge abgelegt, das Silvester 2014 mit 800 syrischen Flüchtlingen im Hafen von Gallipoli ankam. Damals glaubte man, die Schlepper hätten sich eine neue Methode ausgedacht: Sie beluden sogenannte "Geisterschiffe" mit Flüchtlingen und stellten sie kurz vor Erreichen europäischer Gewässer auf Autopilot. Zum breiten Phänomen wuchs sich die Methode bisher nicht aus.

Es gibt also mehrere "Pläne B". Und im Sommer, wenn die See in der Straße von Sizilien wieder ruhiger ist, dürften auch die Überfahrten aus Libyen wieder zunehmen. In Rom rechnet man deshalb damit, dass die Zuwanderung nach Italien fast zwangsläufig stark zunehmen wird, zumal dann, wenn die EU nicht schnell zu einer Lösung findet. Seit die österreichische Regierung beschlossen hat, den Grenzübergang am Brenner zu kontrollieren, sind Sorge und Ärger der Italiener noch gewachsen.

Italien droht möglicherweise ein Chaos wie in Griechenland

Bisher war es ja so gewesen, dass Italien den großen Druck abfederte, indem es viele Flüchtlinge weiterziehen ließ, ohne sie zu registrieren. Das widersprach zwar dem Dubliner Abkommen, doch die Italiener fanden die Praxis legitim, weil die Partnerstaaten in Europa nicht bereit waren, ihnen mit der Übernahme von Flüchtlingskontingenten zu helfen.

Wenn nun auch diese Möglichkeit wegfällt und sich alle Grenzen in den Norden schließen sollten, dann droht Italien dasselbe Schicksal wie Griechenland. Man fühlt sich bereits wieder isoliert - und handelt ausnahmsweise präventiv.

Rechte schwadronieren von "Überschwemmung"

Italiens Innenminister hat die Präfekten in den Regionen angewiesen, 50 000 zusätzliche Unterkunftsplätze für Flüchtlinge einzurichten. Allein im reichen Nordosten des Landes sollen drei neue Zentren entstehen, was die dort regierende Lega Nord in Aufruhr versetzt und ihre fremdenfeindliche Propaganda füttert. Die Lega behauptet, Italien werde "überschwemmt".

Schaut man die offiziellen Zahlen genau an, erweist sich die Behauptung als heillos übertrieben: Im vergangenen Jahr kamen wieder viele Migranten in Italien an, es waren aber weniger als im Jahr davor; die Unterkünfte waren mit 105 000 Flüchtlingen zwar stark belegt, aber nicht überfüllt. Das hat freilich damit zu tun, dass viele Flüchtlinge ab September die Route über den Balkan nach Deutschland wählten. Von einer "Invasion", wie es die Lega nennt, ist Italien weit entfernt.

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