Thilo Sarrazin wird auch im zweiten Anlauf nicht aus der SPD ausgeschlossen. Man habe sich nach fünfstündiger Beratung auf Basis einer Erklärung Sarrazins gütlich geeinigt, gab die Vorsitzende der Schiedskommission des Berliner Kreisverbandes Charlottenburg-Wilmersdorf, Sybille Uken, bekannt. In der Erklärung versicherte Sarrazin, dass er weder Migranten diskriminieren noch sozialdemokratische Grundsätze verletzen wollte. Alle vier Antragsteller zogen daraufhin ihre Ausschlussanträge zurück. 

Die Beteiligten hätten eine "konstruktive, respektvolle, ernsthafte und intensive Diskussion" geführt, sagte Uken. "Wir haben uns verständigt, uns als SPD nicht auseinanderdividieren zu lassen, auch nicht durch Interpretationen von außen." SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles, die den Ausschlussantrag begründet hatte, wollte sich nicht zur Entscheidung der Schiedskommission äußern. Auch Sarrazin verzichtete auf einen Kommentar.

Grund für Streit um den Parteiausschluss des früheren Bundesbankers und Berliner Finanzsenators waren dessen umstrittene Thesen zur Integrationspolitik und seinen Äußerungen zur Vererbungstheorie. Sarrazin hatte in einem Buch und in Interviews die Ansicht vertreten, Muslime seien generell schlechter gebildet und Intelligenz sei größtenteils erblich bedingt. Bildungsprogramme auch für die deutsche Unterschicht verfehlten größtenteils ihren Zweck und seien fehlinvestiertes Geld.

Aus Sicht der SPD-Spitze verstieß Sarrazin damit gegen Grundsätze der Sozialdemokratie. Sie warf Sarrazin einen elitären Ansatz vor. Der Ex-Senator gehe von einer Klassengesellschaft mit einer Unter- und einer Oberschicht aus, die sich auch durch gleiche Bildungschancen für alle nach seiner Ansicht nicht verändere. Wegen der umstrittenen Äußerungen hatte Sarrazin im vergangenen Jahr seinen damaligen Posten als Vorstandsmitglied der Bundesbank verloren.

In der Erklärung distanzierte sich Sarrazin nicht von seinen umstrittenen Thesen. Stattdessen versicherte er, was er alles nicht habe ausdrücken oder bewirken wollen. Er habe weder Migranten diskriminieren noch sozialdemokratische Grundsätze verletzen wollen. 

"Es entspricht insbesondere nicht meiner Überzeugung, Chancengleichheit durch selektive Förderungs- und Bildungspolitik zu gefährden; alle Kinder sind als Menschen gleich viel wert", hieß es in der Erklärung. "Es entspricht nicht meiner Vorstellung, dass diese Gruppen (Migranten) bei eigenen Anstrengungen und einer ergänzenden Bildungspolitik etwa aus genetischen Gründen nicht integriert werden könnten." Es sei ihm darum gegangen, "schwerwiegende Defizite der Migration, Integration und Fehlentwicklungen der Demografie in Deutschland anzusprechen", sagte Sarrazin.

In der SPD war der erneute Gang vor das Schiedsgericht nicht unumstritten gewesen. So hatten ehemalige SPD-Spitzenpolitiker wie der frühere Bundesfinanzminister Peer Steinbrück und Ex-Fraktionschef Peter Struck zu Gelassenheit im Umgang mit Sarrazin gemahnt, der seit fast 40 Jahren Mitglieder der Sozialdemokraten ist.

Ein erster Versuch, mit einem Parteiordnungsverfahren Sarrazin aus der SPD auszuschließen, war im vorigen Jahr gescheitert. Im März 2010 hatte dieselbe Schiedskommission Sarrazin vom Vorwurf rassistischer Äußerungen und parteischädigenden Verhaltens freigesprochen. Damals war der Parteivorstand allerdings nicht beteiligt. Sowohl die Schiedskommission des Kreisverbandes als auch die Landesschiedskommission entschieden damals gegen einen Rauswurf Sarrazins. Die Landesschiedskommission verband dies aber mit der Ermahnung, dies sei "kein Freifahrtschein" für künftige "Provokationen".