Brexit-Verhandlungen in Brüssel "Deal"

Stand: 20.02.2016 04:13 Uhr

Die EU-Staats- und Regierungschefs haben sich nach zähen Verhandlungen auf ein Reformpaket für Großbritannien verständigt. EU-Kommissionspräsident Juncker sagte, er sei "glücklich". Und vor allem Cameron ist zufrieden. Er glaubt, nun den Brexit abwenden zu können.

Nach mehr als 18-stündigen Beratungen haben sich der britische Premierminister David Cameron und die übrigen Staats- und Regierungschefs der EU auf ein Reformpaket geeinigt. EU-Gipfelchef Donald Tusk bestätigte die Einigung auf ein Reformpaket für Großbritannien. "Deal", schrieb er auf Twitter. "Einstimmige Unterstützung für neue Regelung."

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erklärte nach dem Durchbruch, er sei "glücklich". Die Vereinbarung sei fair für das Vereinigte Königreich und fair für die anderen EU-Staaten. Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßte die Einigung, bezeichnete die Arbeit daran aber als "Kraftakt".

Cameron: "Besonderen Status in der EU verhandelt"

Cameron sicherte mit der Einigung nach eigener Einschätzung einen Sonderstatus seines Landes in der EU ab. "Ich habe eine Abmachung verhandelt, die dem Vereinigten Königreich einen besonderen Status in der EU verleihen wird." Das schrieb der konservative Politiker auf dem Kurznachrichtendienst Twitter nach der Einigung.

"Großbritannien wird niemals Teil eines europäischen Superstaates sein und niemals den Euro annehmen", fasste Cameron am Freitagabend in Brüssel die Ergebnisse zusammen.

Cameron wird nun für einen Verbleib des Königreichs in der Europäischen Union werben. Er gehe davon aus, dass die nun erzielte Einigung ausreiche, um den Briten den Verbleib in der EU zu empfehlen, sagte er in Brüssel. "Ich werde mich mit meinem ganzen Herzen und meiner ganzen Seele einsetzen, um die Briten zu überzeugen, in der reformierten EU zu bleiben", sagte er. Am Samstag will er den "Deal" seinem Kabinett vorlegen und anschließend ein Datum für das "Brexit"-Referendum verkünden.

Britische Sonderwünsche

Zugewanderte Arbeitnehmer aus anderen EU-Staaten sollen in Großbritannien künftig erst nach vier Jahren Anspruch auf volle Sozialleistungen haben. Das sagte Cameron nach dem Gipfel. Sein Land dürfte diese Regelung sieben Jahre lang nutzen. Dieser Wunsch Camerons war besonders umstritten.

Hart gerungen wurde auch um Camerons Forderung nach mehr Mitspracherecht bei Entscheidungen der Eurozone, der Großbritannien nicht angehört. Dem Parlamentsunterhändler zufolge wird in der Gipfelerklärung festgehalten, dass London keinerlei Vetorecht in Belangen der Währungsunion erhält.

Seit Donnerstagabend hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Kollegen fast ununterbrochen mit dem britischen Premierminister Cameron um dessen Forderungskatalog gerungen. In der verfahrenen Debatte um die Flüchtlingspolitik gab keine Fortschritte. Einziges Ergebnis: In zwei Wochen gibt es einen neuen Flüchtlingsgipfel - und dann wird das wegen der Anschläge von Ankara abgesagte Treffen mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu nachgeholt.

Verkompliziert wurden die Verhandlungen durch den Versuch der griechischen Regierung, die Zustimmung zu einem Reformpaket an Garantien in der Flüchtlingskrise zu koppeln. Von Regierungsvertretern in Griechenland hieß es, man wolle eine Zusicherung haben, dass es zu keinen Grenzschließungen in der EU vor dem nächsten EU-Treffen zur Flüchtlingskrise Anfang März kommt.

Am späten Freitagabend hatten Tusk und Juncker schließlich einen Kompromissvorschlag auf den Tisch gelegt. Auf dieser Basis nahmen die Staats- und Regierungschefs mit fast zwölf Stunden Verspätung ihre Beratungen über die umstrittenen Reformforderungen Großbritanniens wieder auf.

Kanzlerin Merkel sagte am späten Freitagabend: "Ich glaube, dass wir Großbritannien nicht zu viel gegeben haben." Manche Kompromisse seien ihr jedoch nicht leicht gefallen. Das gelte vor allem für das Ziel einer "immer engeren Union", von dem sich London nun verabschiedet hat. "Das ist eine emotionale Frage. Ich gehöre zu denen, die dafür sind, dass die Integration fortschreitet."

Merkel will Kindergeldregel auch in Deutschland umsetzen

Auch beim Thema Sozialmissbrauch hätte sie sich andere Lösungen vorstellen können, sagte Merkel. Zwar hält sie Teile der Vereinbarungen über Sozialleistungen für EU-Ausländer auch in Deutschland für anwendbar. "Gerade die Frage des Sozialmissbrauchs beschäftigt uns in Deutschland auch", sagte sie. Das gelte etwa für die Regelung, das Kindergeld an die Lebenshaltungskosten in den Ländern anzupassen, in denen die Kinder tatsächlich leben. "Auch Deutschland kann davon Gebrauch machen, kann ich mir vorstellen", sagte sie.

Für Deutschland nicht in Frage komme dagegen die Lösung, den Zugang zu Sozialleistungen für EU-Ausländer für einige Jahre auszusetzen. Im Gegensatz zu Großbritannien habe Deutschland von den Übergangsfristen für neue EU-Mitglieder Gebrauch gemacht.

Scheitern wäre verheerendes Signal gewesen

Mit der Abmachung wendet die EU zunächst eine existenzbedrohende Krise ab. Ein Scheitern des Gipfels hätte mitten in der Flüchtlingskrise ein verheerendes Signal der Handlungsunfähigkeit gesendet, berichteten Diplomaten. Nun liege der Ball im Feld von Cameron. Er will seine Landsleute möglicherweise noch im Juni über den Verbleib in der EU abstimmen lassen.

Der britische Premier hatte seinen EU-skeptischen Landsleuten vor drei Jahren ein Referendum über Großbritanniens Mitgliedschaft in der Union versprochen, um seine Chancen auf eine Wiederwahl zu erhöhen. Interesse an einem Austritt haben aber eigentlich weder der konservative Brite noch die anderen 27 EU-Chefs.