Fremde kommen selten nach Heidenau. Die Innenstadt von Dresden ist nur 15 Kilometer entfernt, trotzdem machen sich kaum Besucher auf den Weg, es gibt einfach wenig zu sehen hier. Heidenau ist eine Stadt zur Durchreise.

Auswärtige kennen vor allem eines: die S 172, eine Bundesstraße, die den Verkehr durch den Ort schleust, vorbei an kilometerlangen Kulissen aus Parkplätzen, Markthallen, Tankstellen. Normalerweise ödes Gelände, doch seit einigen Tagen ist es Kriegsgebiet. Denn Fremde sind gekommen – Flüchtlinge. Auf der sächsischen Landkarte ist ein neues Fähnchen eingesteckt. Der nächste Punkt, an dem Rechtsextreme gegen Ausländer randalieren. Noch roher, noch brutaler als zuletzt in Meißen, Freital und Dresden. Seit zwei Nächten fliegen Steine, Flaschen und Böller, in letzter Instanz wabert Tränengas. 33 Polizisten wurden bisher verletzt, einer davon schwer. Ein Stein hat ihn mitten ins Gesicht getroffen. Heidenau, das ist die nächste Stufe der rassistischen Gewalt.

Ein Praktiker-Baumarkt an der S 172, seit zwei Jahren leerstehend, wurde Anfang dieser Woche kurzfristig zur Erstaufnahmeeinrichtung erklärt. Das Land Sachsen weiß schon lange nicht mehr, wohin es die Flüchtlingsströme lenken soll. Man hangelt sich von einer Notlösung zur nächsten. Nun sollen Hunderte Asylbewerber in einer verwaisten Verkaufshalle unterkommen; das allein wäre eigentlich schon der Rede wert. Aber es redet kaum jemand darüber, denn die Proteste vor dem Baumarkt übertönen alles andere.

Samstagabend, die zweite Nacht der Belagerung. 250 Asylbewerber sind mittlerweile in den Baumarkt eingezogen, verschanzt hinter meterhohen Sicherheitszäunen und Sperren aus Polizeibussen. Keiner traut sich nach draußen. Wieder tummeln sich Massen rund um den Markt. Je dunkler die Nacht, desto mehr Menschen kommen.

Die Bundesstraße teilt die Lager, 170 Polizisten bewachen diese Grenze. Auf der einen Seite eine Kundgebung diverser Antifa-Bündnisse, mehr als 250 Teilnehmer sind angereist und starren auf das verfeindete Lager gegenüber. Stundenlang bleibt es beinah gespenstisch ruhig. Ruhe vor dem Sturm. Aber auch in dieser Nacht werden sich plötzlich, wie aus dem Nichts, angestaute Aggressionen entladen.

Sie gehen vom Lager der Ausländerfeinde aus, in dem man sich zuvor aber noch am ersten Akt der Eskalation vom Vorabend berauscht, beim Warten auf den nächsten Schlag. Parallel zur geplanten Ankunft der ersten Flüchtlinge war am Freitag eine NPD-Demo durch Heidenau marschiert. Nach dem offiziellen Ende kapselten sich 600 Teilnehmer ab und zogen weiter vor den Baumarkt. Was dann geschah? 

"Eine richtig geile Party"

Ein Männergrüppchen, das auch in der zweiten Nacht angerückt ist, schwelgt noch in Erinnerungen. "Eine richtig geile Party war das gestern. Erst gab's eine Bengalo-Party, dann eine Steine-Party", erzählt ein dürrer Mann, hellblond, das Haar kernig gescheitelt, und nippt an einem Energydrink. Seine drei Freunde nicken ehrfürchtig, dann wird gefachsimpelt. Er sei nachmittags extra noch bei einem bekannten Dresdner Waffengeschäft vorbeigefahren. "Aber die hatten geschlossen wegen Schulanfang. Gut, dass ich mich vorher schon eingedeckt habe", erklärt der Blonde und schwärmt von einer Neun-Millimeter-Pistole.

Man wartet und schwatzt, gut 150 Ausländerfeinde, die auch am Sonnabend einen Parkplatz neben dem Praktiker-Markt in Beschlag genommen haben. Sie haben es sich absurd gemütlich gemacht. Ein paar haben ihre Campingstühle mitgebracht. Leere Bierflaschen reihen sie zu stolzen Kolonnen aneinander. Hier und da torkelt einer mit stierem Blick über den Platz.  

Frisch geföhnte Frauen

Es sind einschlägige Gestalten zu sehen, Nazis auf den ersten Blick. Aber es gibt auch die anderen. Erstaunlich viele junge Frauen, geföhnt und gestylt wie für einen sonnabendlichen Diskobesuch. Stattdessen stehen sie hier, in Vorfreude auf Randale. Ein hübsches Mädchen mit Hornbrille, gerade mal Anfang 20, hockt auf einem Bordstein. Gegenüber, im Lager der Antifa, würde sie kaum auffallen. "Wir wollen mal gucken, was passiert. Gestern hat es ja ordentlich gekracht. Gleich sollen die hier wieder aufeinander losgehen", sagt sie. Schaulustige also? Nicht ganz. Plötzlich schießen noch ganz andere Sätze aus ihr heraus. "Die Ausländer wollen wir hier nicht haben. Wir wollen nicht, dass die hier klauen und stören."

Tatsächlich ist es schwer möglich, in diesem Ödland jemanden zu stören. Im Umkreis des Erstaufnahme-Provisoriums gibt es weit und breit keinen einzigen Nachbarn. Die nächsten Wohngebiete sind einen halben Kilometer entfernt.

Ausländerfeindliches Gedankengut, es gehört nicht per se zu dieser Gegend, aber es ist im Landkreis Sächsische Schweiz zumindest tief verwurzelt. Seit Jahren hat die NPD hier beispiellose Strukturen etabliert. Eine Hochburg ist die Gemeinde Reinhardtsdorf-Schöna, 30 Kilometer von Heidenau entfernt. Hier kassiert die Partei seit Jahren ihre größten Erfolge, hier ist die Saat prächtig aufgegangen. Beim Faschingsumzug im Februar verkleidete sich eine Truppe als "Reisefreudige Afrikaner" und posierte vor einem Wagen, den sie als "Asyllounge" eingerichtet hatte. Im Ort nahm niemand großen Anstoß daran. Bei der Gemeinderatswahl im Mai 2014 räumte die NPD 20,5 der Stimmen ab. Ein Heimsieg, wieder einmal.

In Heidenau werden die Flüchtlinge in den nächsten Tagen nicht ansatzweise Normalität erleben, sondern vor allem eines zu sehen bekommen: Demonstranten, Polizisten, Politiker. Viele haben sich beeilt, die Heidenauer Randale scharf zu verurteilen. Jürgen Opitz, der Bürgermeister der Stadt, ist sofort zur Erstaufnahmeeinrichtung geeilt, um für Solidarität mit den Asylbewerbern und gegen Gewalt aufzurufen. Statements von Landes- und Bundespolitikern überschlagen sich.    

Die Botschaft der Politiker ist klar: In Heidenau ist eine Grenze überschritten worden. Das wissen die Randalierer, die sich vor dem Praktiker-Markt treffen. Es ist genau die Grenze, die sie suchen.