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Gedanken zum ESC

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich verstehe die Faszination Song Contest viel besser, seit wir uns in Wien damit beschäftigen.

Der Wandel vom kopfschüttelnden TV-Konsumenten der letzten Jahre, dem die Stunden bis zur Entscheidung eindeutig zu lang wurden, zum eifrigen Zuseher, der die einzelnen Songs und Bühnenshows interessiert verfolgt, vollzog sich langsam. Alles begann natürlich mit Conchitas fulminantem Sieg im letzten Jahr – von da an rollte die Maschinerie. Und die Österreicher – und vor allem die Wiener – grantelten: „Brauch ma des? Zuviel Geld! Noch mehr Fremde in unserer Stadt“ usw., usw. Und dann die Location – Mörbisch, Bregenz, die Stadthalle? Nein, furchtbar, wird nie klappen, usw., usw. Und nun, Stichtag 22. Mai 2015? Was wir jetzt bei den beiden Semifinali und den Rundum-Shows zu sehen bekamen, war mehr als perfekt. Die Stadthalle präsentiert sich als herausragende Veranstaltungsbühne, technisch auf dem höchsten Level. Moderation, Organisation und Inszenierung der ganzen ESC-Woche laufen reibungslos, die Gäste fühlen sich mehr als wohl. Hier haben sich sowohl die Stadthalle, die Stadt Wien als auch der ORF selbst übertroffen und richtig gute Arbeit geleistet. Das aber spricht der Wiener nicht gerne aus, mit Lob hat er es nicht so (außer für Fußballer und Skifahrer, aber auch nur, solange sie gewinnen). Da muss doch noch irgendwo ein Haken sein, wir finden sicher etwas. Genau da kommen die Ampelmännchen ins Spiel, und die selbsternannten Tugendwächter samt skurrilen Politikern aus noch skurrileren Parteien tun ihr übriges. Der Volkszorn lodert. Dann die Entwarnung: Die Welt findet unsere Idee gut, internationale Berichterstattung inklusive. Werbewirkung und Wertschöpfung für den Tourismus, für Hotellerie und Gastronomie, sind unbezahlbar. Und genau da muss man ansetzen: Die Zeit des ewig grantelnden Wieners sollte man den Hans-Moser-Filmen überlassen, für die Zukunft des Tourismus in unserer Stadt ist ein anderes Denkmuster gefragt. Offenheit, Toleranz, Mut zu gewagten Ideen, zu neuen Konzepten. Sisi, Walzer, die Lipizzaner, Conchita und Feste wie der Life Ball, das alles muss gemeinsam, mit- und nebeneinander passieren und ein Konzept für die Stadt werden. Wien muss endlich auch wirklich so tolerant und offen werden, wie es sich jetzt gerade präsentiert. Und damit auch der Wiener selbst. Weil die kommenden Generationen eine ganz andere Art von Reisen praktizieren werden, wie wir es bisher gewohnt waren. Weil sich Gastronomie und Hotellerie darauf einstellen müssen. Weil’s nämlich wurscht sein muss, welche Hautfarbe, Nationalität, Religion oder sexuelle Orientierung ein Mensch hat, wenn er zu uns kommt. Weil er sich bei uns zu Hause fühlen soll. Weil Wien eine schöne, vielfältige und spannende Stadt ist, die man besuchen und entdecken möchte. Weil Wien eine gute Stadt ist, um darin zu leben. Und weil das das Bild sein sollte, das wir in die Welt schicken.



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