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Konsequenzen des NSA-Spitzelwahns Das Ende der Pressefreiheit

Die massive NSA-Überwachung knebelt auch den investigativen Journalismus in den USA. Das hat die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch jetzt erstmals in einer umfassenden Studie dokumentiert.
Demonstranten in den Washington (Archiv): "Freiheit und Demokratie sind schwer bedroht"

Demonstranten in den Washington (Archiv): "Freiheit und Demokratie sind schwer bedroht"

Foto: MANDEL NGAN/ AFP

Brian Ross ist einer der renommiertesten US-Investigativreporter. In seinen 20 Jahren bei ABC News deckte er zahllose Skandale und Regierungsgeheimnisse auf, darunter die Existenz der CIA-Folterzentren in Osteuropa. Manchmal lag er daneben, unbequem war er jedoch immer.

Doch langsam wird der 65-Jährige müde: Die Geheimdienste, allen voran die Spitzelbehörde NSA, machten seinen Job bald fast unmöglich. Er müsse selbst wie ein Spion agieren, um sich vor staatlicher Überwachung und den Folgen zu schützen, sagt er: "Es hat etwas Abstoßendes, aufwendige Ausweich- und Sicherheitstechniken anwenden zu müssen - wie ein Krimineller."

Kein Einzelfall: Amerikas Ausspähapparat erschwere die Arbeit investigativer Reporter zusehends, berichtet die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) in einer Studie , die sie an diesem Montag vorlegte. Darin steckt tiefe Ironie: War es doch - neben den Enthüllungen des früheren NSA-Manns Edward Snowden - investigativer Journalismus, der das wahre Ausmaß der Bespitzelung überhaupt erst bekannt machte.

Der Schnüffelwahn schade der Meinungs- und Pressefreiheit, klagt HRW. Uramerikanische Werte wie "Freiheit, Demokratie und eine offene, verantwortliche Regierung" seien "schwer bedroht" - durch die groß angelegten, staatlichen Überwachungsprogramme, gepaart mit verschärften, oft gnadenlosen Maßnahmen zur Geheimhaltung regierungseigener Interna.

Die gleiche Bedrohung gelte auch für Juristen, die zum Beispiel in Terrorverfahren tätig seien. "Die Arbeit von Journalisten und Anwälten ist zentral für unsere Demokratie", erklärte Alex Sinha, der Verfasser des 120-seitigen Berichts. "Wenn ihre Arbeit leidet, leiden wir auch."

Jeder Schritt des Journalisten werde vom Staat dokumentiert

Der Report zeichnet die Folgen der NSA-Methoden im Detail auf. Dazu befragte HRW 92 Betroffene, darunter 46 Reporter und Pulitzer-Preisträger von US-Leitmedien wie der "New York Times", dem "Wall Street Journal" und der "Washington Post". Auch hätten fünf Regierungsinsider bis in die höchsten Etagen des FBI teilgenommen, wenn auch anonym. Die NSA habe erst zu-, doch dann wieder abgesagt.

Die US-Regierung sei technologisch in der Lage, persönliche Informationen "in bislang beispiellosem Ausmaß abzusaugen", schreibt HRW. Zugleich verschärfe Washington die Strafverfolgung von Informanten. Viele dürften unter Androhung disziplinärer Maßnahmen inzwischen gar nicht mehr mit Reportern reden.

"So schlimm war es noch nie", sagte Jonathan Landay, Geheimdienst-Korrespondent der drittgrößten US-Zeitungskette McClatchy. Sein Kollege Tom Gjelten vom Radiosender NPR sekundierte, dass jeder seiner Schritte vom Staat dokumentiert werde: "Es ist eine schreckliche Zeit, wenn man über die Regierung berichten muss." Jane Mayer vom "New Yorker" sprach von "einer zusätzlichen Schicht der Angst".

Diese Angst macht sich vor allem bei den Informanten bemerkbar. "Viel weniger Leute stellen sich zur Verfügung", sagte James Asher, der Washingtoner Bürochef für McClatchy. Einst verlässliche Quellen verschwänden plötzlich von der Bildfläche. Andere würden noch nicht mal mehr über die banalsten Dinge sprechen.

Ermittlungen gegen mögliche Whistleblower zerstören Existenzen

Die Informanten fürchten, dass die NSA-Informationen eine Strafverfolgung gegen sie erleichtern. Die Rede ist von einer "porösen Wand" zwischen NSA und Justizministerium. Bisher leitete die Regierung unter Barack Obama wegen mutmaßlicher "Leaks" acht Ermittlungsverfahren gegen Beamte ein - fast dreimal so viele wie alle Regierungen zuvor.

Diese Verfahren zerstörten Existenzen. Als Beispiel nannte HRW Stephen Kim, einen Ex-Mitarbeiter des Außenministeriums, der dem Fox-News-Reporter James Rosen Informationen über Nordkorea zugespielt hatte. Kim bekannte sich schuldig, um einen Prozess zu vermeiden, und wurde zu 13 Monaten Haft verurteilt.

Auch interne Maßnahmen zeigten Wirkung, schreibt HRW. Etwa der Entzug der "security clearance", der Unbedenklichkeitsbescheinigung für sicherheitsrelevante Regierungsposten: Wer die verliere, "kann nicht mehr arbeiten", sagte Steve Engelberg, der Chefredakteur der investigativen Medienstiftung ProPublica.

Die Journalisten kommen ihrerseits kaum mehr dazu, etwas zu enthüllen. Alle berichteten über "aufwendige Schritte, um Quellen und Informationen zu schützen". Dies führe dazu, dass immer weniger Regierungsinterna immer seltener an die Öffentlichkeit drängten.

"Wenn die USA diese Sorgen nicht schnell und effektiv anspricht, könnte das ernsten, langfristigen Schaden für das Gefüge der Demokratie in unserem Land haben", warnt HRW. Der Überwachungswahn höhle die Werte aus, "die die USA am meisten schätzt" - Verfassungsrechte wie die Presse- und Meinungsfreiheit.