Ein Stiefkind in Deutschland

Ethikunterricht Ein Drittel der Einwohner Deutschlands ist konfessionslos. Ein Recht auf das Unterrichtsfach Ethik für ihre Kinder haben sie nicht immer. Religion bleibt priviligiert

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Ein Stiefkind in Deutschland

Bild: TIZIANA FABI/AFP/Getty Images

Spätestens mit der Einschulung zeichnen sich in manchen Bundesländern die ersten Konflikte ab. Der erste Schultag meiner Kinder begann vor einigen Jahren mit einem Gottesdienst: Treffpunkt Kirche. Nach dem Gottesdienst liefen alle gemeinsam zur Schule. Denn jedes Kind fieberte der ersten Unterrichtsstunde entgegen. Können wir unser Kind außen vor lassen, da es ohne Transzendenz erzogen worden ist?, war eine Frage, die wir Eltern uns stellten. Wir könnten. Aber das gerade sechs Jahre alt gewordene Mädchen würde es nicht verstehen, wenn es mit seinen Eltern alleine - auf dem Dorf ist man in dieser Angelegenheit meist alleine - vor der Schule warten sollte bis die anderen kommen. Also beugten wir uns den Zwängen und nahmen mit Kind und Schultüte am Einschulungsgottesdienst teil.

Auch heute bemühen sich noch immer Eltern um ein Ende der Diskriminierung ihrer Kinder, wenn es um das Religionsprivileg geht: Das Bundesverwaltungsgericht hat am 16. April dieses Jahres auf die Klage einer dreifachen Mutter aus Freiburg hin entschieden (Az: BVerwG 6 C 11.13), dass Eltern keinen grundgesetzlichen Anspruch auf die Einführung eines Ethik-Unterrichts für ihre http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c9/Bundesverwaltungsgericht_%28Deutschland%29.JPGkonfessionslosen Kinder hätten. Die klagende Mutter hatte vom Land Baden-Württemberg verlangt, Ethik ab der ersten Klassenstufe als Alternative zum Religionsunterricht anzubieten. Sie meinte, ihre Kinder würden sonst benachteiligt. Die Bundesverwaltungsrichter wiesen die Klage wie auch schon in beiden Vorinstanzen ab. Das Grundgesetz garantiere und schütze den Religionsunterricht in besonderem Maße, schreibe aber Ethik nicht vor. Deshalb könne auch nicht von einem Verstoß gegen das ebenfalls in der Verfassung verankerte Gleichheitsgebot ausgegangen werden. Die Mutter will nun das Bundesverfassungsgericht anrufen.

In Rheinland-Pfalz, hier gehen meine Kinder zur Schule, besteht schon die Möglichkeit ab dem ersten Schuljahr an Ethik teilzunehmen. Voraussetzung ist jedoch, dass sich mindestens acht Kinder pro Jahrgangsstufe dafür melden. In den Dorfschulen wird diese Bedingung so gut wie nie erfüllt. Was bleibt, ist der Religionsunterricht, zwar ohne Beurteilung durch den Lehrer oder den Geistlichen, oder die Aufsicht in einer anderen Klassen während die Klassenkameraden religiös unterwiesen werden. Wir entschieden uns gegen die Herausnahme aus der Klassenstufe. Deshalb wurden unsere Kinder während der Grundschulzeit, je nach Größe der Religionsgruppe, von den Lehrern mal in die katholische, mal in die evangelische Abteilung geschickt. In den weiterführenden Schulen des Landes ist das Ethik-Angebot üblich. Die Achtergruppenregel wird bei vier oder fünf Parallelklassen immer erreicht.

Lenkt man den Blick auf die Bundesrepublik, ist man mit ganz unterschiedlichen Bezeichnungen dieses Ersatzfaches, so die Theologen- und christliche Politikersprache, konfrontiert. So heißt zwar in den meisten Bundesländern dieses Fach Ethik, aber auch Allgemeine Ethik, Ethik/Philosophie, Philosophie, Werte und Normen, Lebensgestaltung-Ethik-Religion. In der Namensgebung spiegelt sich der heterogene Stellenwert in den einzelnen Ländern wider. Meist ist das Recht auf Ethik-Unterricht nicht in der Landesverfassung verankert, sondern beruht auf einem Beschluss des Kabinetts oder des Landtags.

Im Gegensatz dazu hat Religion einen ganz anderen rechtlichen Status. Das Fach ist über das Grundgesetz abgesichert. In Artikel 7, Absatz 3 heißt es: "Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt." Wichtig für die christlichen Kirchen ist die Einstufung als ordentliches Lehrfach. Das hat für sie den Vorteil, dass der Unterricht vom Steuerzahler finanziert wird. Für jede Religionsstunde, die ein Pfarrer oder eine kirchliche Mitarbeiterin in der Schule hält, überweisen die Länder Geld an die Kirchen. Lehrer, die die Schüler in der Glaubenslehre unterweisen, werden sowieso vom Staat bezahlt. Darüber hinaus erlaubt der Artikel 7 GG den Kirchen die Inhalte des Faches und die konkrete Ausgestaltung des Religionsunterrichts zu bestimmen.

Dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes in den 40-er Jahren des letzten Jahrhunderts in Anlehnung an die Weimarer Verfassung so verfahren sind, ist aus christlicher Sicht gut nachzuvollziehen. Damals waren 96 Prozent der Bevölkerung konfessionell gebunden. An andere religiöse Gruppierungen oder gar an eine nennenswerte Zahl konfessionell Ungebundener war damals nicht im Denkhorizont verankert.

Erst im Nachklang der 68-er Bewegung hat sich die Haltung zu den christlichen Kirchen geändert. "Keine Macht für niemand" sollte auch für die bis dahin sakrosankten Religionsgemeinschaften gelten. Die Religionsmündigkeit wurde von Schülern verstärkt genutzt. Man trat in zunehmend nennenswerter Zahl aus dem Religionsunterricht aus. Wer jetzt schlussfolgern sollte, die Antiautoritären hätten den Ethik-Unterricht erzwungen, liegt falsch. Die Initiative ging 1973 von der bayrischen Landesregierung aus, konkret vom damaligen http://www.untin.de/ndmuc/Plankst/Pla11_ProfMaier1.jpgKultusminister Hans Maier, dem späteren Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Rückblickend sagte er 1991: "Angesichts der leerwerdenden Klassen und um der guten Ordnung halber sollten diejenigen, die sich vom Fach Religion abgemeldet hatten ... nicht einfach in Cafés herumsitzen, zum Ärger der anderen Schüler, die noch bei der Stange geblieben waren ... In Bayern haben beispielsweise die ersten zehn Jahre Ethikunterricht dazu geführt, dass die Teilnahme am Religionsunterricht wieder langsam anstieg, der Ersatzunterricht also zu einer Stabilisierung dessen führte, was er ersetzen wollte."*

Also: Nicht moralisch-ethische Grundsatzentscheidungen führten zur Einführung des Faches Ethik. Es ging darum, Schüler abzuschrecken, sich vom Religionsunterricht abzumelden. Den Erfolg, den Hans Maier für sich reklamierte, mag es einige Jahre lang gegeben haben. Vielleicht kann sich Ethik-Unterricht aus seinem Nischenbereich langsam befreien. Auch heute bietet beispielsweise in NRW für die Grundschulen dieses Fach nicht an, obwohl 16,5 Prozent aller Schüler dieses Bundeslandes nicht konfessionell bzw. bekenntnisorientiert gebunden sind. Ob die vor dem Bundesverfassungsgericht klagende baden-württembergische Mutter für ihr Grundschulkind Erfolg haben wird, darf bezweifelt werden. Denn die Privilegierung der beiden christlichen Konfessionen könnte nur mit einer Grundgesetzänderung unterbunden werden. - Immerhin können unsere Kinder seit der fünften Klasse den Ethik-Unterricht besuchen.

*Hans Maier, Einleitung zur Diskussion, in: „Herausforderung Ethikunterricht“ – Ethik/Werte und Normen als Ersatzfach in der Schule (Hrsg. Hartmut Zinser), Marburg, 1991, S.53.

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Geschrieben von

Achtermann

Ich lass' mich belehren. Jedoch: Oft wehre ich mich dagegen.

Achtermann

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