Kurz vor dem Treffen von Frankreichs Staatschef François Hollande und dem britischen Premier David Cameron im französischen Amiens hat die Regierung in Paris Großbritannien vor einem Austritt aus der EU gewarnt. Sollten die Briten beim Referendum am 23. Juni tatsächlich für den Brexit stimmen, hätte dies auch unmittelbare Folgen für die bilaterale Flüchtlingspolitik, sagte Wirtschaftsminister Emmanuel Macron. "An dem Tag, an dem sich die Beziehungen auflösen, wird es keine Migranten mehr in Calais geben", sagte der Minister der Financial Times.

Macron bezieht sich auf ein Abkommen zwischen den beiden Ländern, in dem sich Frankreich verpflichtet, Flüchtlinge an einer Überfahrt über den Ärmelkanal nach Großbritannien zu hindern. Derzeit halten die französischen Behörden in Calais Flüchtlinge von ihrem Weg nach Großbritannien ab. Im Gegenzug beteiligt sich die britische Regierung an den dafür anfallenden Kosten.

Sollte Großbritannien tatsächlich seine Mitgliedschaft in der EU aufkündigen, sagte Macron, können diese Vereinbarung ihre Gültigkeit verlieren. Laut Macron könnte Frankreich dann seine Grenzkontrollen einstellen und die Migranten ungehindert auf die britische Insel einreisen lassen.

20 Millionen Euro zusätzlich für Frankreich

Die Briten versuchen nun, die Franzosen milde zu stimmen: Ebenfalls unmittelbar vor dem französisch-britischen Gipfeltreffen kündigte die Regierung in London an, weitere 20 Millionen Euro zur Grenzsicherung zur Verfügung zu stellen. Nach Angaben des französischen Europastaatssekretärs Harlem Désir soll das Geld für weitere Sicherheitsmaßnahmen am Hafen von Calais und am Eurotunnel, für den Kampf gegen Schleuserbanden und für Aufnahmezentren für Flüchtlinge in Frankreich ausgegeben werden.

Bereits im Sommer hatte die Regierung in London die Finanzmittel für Frankreich erhöht, nachdem immer wieder Hunderte Flüchtlingen versucht hatten, durch den Eurotunnel nach Großbritannien zu gelangen. Tausende von ihnen harren derzeit in einem provisorischen Lager in der nordfranzösischen Hafenstadt Calais aus. Anfang der Woche hatte Frankreich damit begonnen, das Camp aufzulösen.

Menschenrechtsorganisationen kritisieren dieses Vorgehen und unterstützen die dort lebenden Flüchtlinge in ihrem Widerstand. Die meisten von ihnen stammen aus Krisenstaaten wie Syrien, Afghanistan, dem Irak und dem Sudan und wollen nicht in Frankreich Asyl stellen. Sie hoffen darauf, dass ihnen doch noch die Flucht nach Großbritannien gelingt, wo sie sich mehr Chancen auf ein besseres Leben ausrechnen.