Jung & Naiv reiste in den Nahen Osten, um Antworten für den Frieden zu finden.
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Interview: „Der Himmel bewahre uns davor, dass wir euch Europäer ernst nehmen“

Jung & Naiv reiste in den Nahen Osten, um Antworten für den Frieden zu finden. In Kürze startet eine Serie dazu auf Krautreporter. Zur Anregung hier das aufbereitete, erste Interview der Reise: Dan Schueftan, Sicherheitsberater des israelischen Ministerpräsidenten, der von unserer europäischen Naivität nichts hält. Und von einer Lösung des Konflikts schon gar nichts.

Profilbild von Interview von Tilo Jung

https://www.youtube.com/watch?v=b6pNMUJhNb8

Wer bist du, Dan? Warum klopft jeder politische Entscheidungsträger der letzten vierzig Jahre irgendwann mal bei dir an und will mit dir reden?

Weil ich ein sehr interessanter Mensch bin. Auch Entscheidungsträger möchten manchmal die Meinung eines Außenstehenden hören – vorausgesetzt, er ist diskret.

Bist du Optimist?

Ich glaube, Optimismus ist eine tödliche Krankheit. Und man sollte sie behandeln. Es gibt zwei Arten Optimismus. Es gibt die Art Optimismus, wo man sich umschaut, und es steht nicht gut, und man sagt sich, naja, es wird besser werden – das ist der dumme Optimismus.Und dann gibt es den klugen Optimismus, meinen Optimismus, der sagt, es steht nicht gut, es wird schlimmer kommen, aber ich bin stark genug, mich den Widrigkeiten zu stellen. Das ist eine andere Art des Optimismus, der israelische Optimismus. Sie sagen nicht, es wird alles gut werden und die Araber werden uns lieben und wir werden Frieden haben, ”Friede, Freude, Eierkuchen“, alle werden uns lieben und alle Menschen werden Brüder… So nicht. Erlaube mir, dass ich in deiner Sendung ein bisschen unflätig werde…

Natürlich, wir sind im Internet.

Hier ist meine Version von einer sehr bekannten Passage aus der Bibel: ”Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück, denn ich bin der fieseste Hurensohn in der ganzen Gegend.“ Das ist ein etwas anderer Ansatz als zu sagen, ”ich fürchte kein Unglück, denn Du bist bei mir“. Israelis sind optimistisch, indem sie sagen, ja, es ist alles schwierig, aber wir sind stark genug, die Schwierigkeiten zu überleben. Wenn man heute nach Tel Aviv kommt und man sieht die Leute, wie sie in Tel Aviv ihren Beschäftigungen nachgehen – die wissen, dass andere versuchen, sie zu töten, und die schicken Raketen, um sie zu töten. Die Leute sagen, das ist eben so, sie sagen nicht, diese Raketen sind nicht gefährlich. Sie sagen nicht, der Iron Dome ist perfekt, sie sagen, wir können hier überleben, obwohl wir in einer instabilen gewalttätigen Umgebung leben, obwohl diese Menschen uns töten wollen, und es ist ihnen wichtiger, unsere Kinder zu töten, als ihren eigenen Kindern ein gutes Leben zu ermöglichen. Ich trete schon seit langem dafür ein, dass wir aufhören, Frieden zu erwarten. In den letzten Jahren haben, glaube ich, viele Israelis verstanden, was ich damit sagen will:

Seht euch um, schaut euch an, wie die Araber sich gegenseitig behandeln, Menschen, die dieselbe Sprache sprechen, die dieselbe Religion und nicht selten die gleichen politischen Ambitionen haben – und dann fragt euch, ob man erwarten kann, dass Araber, die ihre eigenen Brüder so behandeln wie sie das tun, dass die uns jemals besser behandeln als sie ihre eigenen Brüder behandeln. Und dann sagt selbst, ob Frieden möglich ist. Und meine Antwort ist: Erwartet es nicht. Es wird nicht geschehen.

Konntest du die Israelis von deiner Haltung überzeugen?

Wenn man heute Israelis fragt, sind die Ergebnisse praktisch immer die gleichen: Jeder der Israelis befragt, stellt ähnliche Fragen: ”Wollen Sie, dass mit den Arabern verhandelt wird?“ – ”Ja.“ – ”Sind Sie bereit, das Land zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer in zwei Staaten aufzuteilen?“ – ”Ja.“ – ”Sind Sie heute bereit, mehr Zugeständnisse zu machen als vor einem Jahr?“ – ”Ja.“ – ”Erwarten Sie, dass in einem Jahr mehr Zugeständnisse gemacht werden als heute?“ – ”Ja.“ – ”Und wenn Sie alle diese Zugeständnisse machen, wird das Frieden bringen?“ – ”Nein.“

Und das ist diese wunderbare Inkonsequenz, die ich als Erwachsenwerden bezeichne. Ein erwachsener Mensch ist ein inkonsequenter Mensch. Wenn man erwachsen wird, besonders wenn man geheiratet hat, hört man auf, konsequent zu sein, denn es sind einem ein paar Dinge im Leben begegnet, die einen weniger konsequent als vorher machen. Wenn man also auf das Schlimmste gefasst ist, und man weiß, dass man damit umgehen kann, das ist Optimismus. Das ist nicht die Art Optimismus, die ihr in Europa habt. Aber ihr habt gar keinen Optimismus in Europa, man braucht ja nur zu schauen, wie viele Kinder ihr habt. Ihr begeht demografischen Selbstmord, und ihr begeht Selbstmord, wenn es um eure Werte geht. Euer Optimismus ist ein anderer. Euer Optimismus sagt sich: Wenn ich nicht sehe, was vor sich geht, dann wird schon alles okay sein. Unser Optimismus sagt, wir sehen, was vor sich geht, es ist fürchterlich, und wir können es überleben. Das ist ganz anders.

Bevor Frieden kommt, gibt es eh erst mal Krieg…

Nein, auch nach dem Krieg wird es keinen Frieden geben. Das ist eine Illusion. Das ist genauso eine dumme Illusion wie die andere. Die Idee, dass man Krieg führt und man bricht die andere Seite, und es wird ein für alle Mal Frieden geben. Es funktioniert nicht.

Wie definierst Du Erfolg?

Ein gutes Leben. Wir haben hier alles in allem ein gutes Leben. Gibt es hier von Zeit zu Zeit Krieg? Ja. Aber wir haben eine funktionierende Demokratie, die an Anarchie grenzt, so wie die Juden das mögen. Wir haben eine Gesellschaft, die sehr gut funktioniert – schau nur die Solidarität an, die man jetzt überall in Israel beobachten kann. Wir haben vielleicht die am weitesten entwickelte und kreativste Naturwissenschaft in der Welt.

Eine Nation sollte danach streben, für ein gutes Leben zu sorgen und dafür, dass jeder einen Zustand erreichen kann, mit dem er zufrieden sein kann. Das heißt ja nicht, dass es eine perfekte Gesellschaft ist, natürlich nicht. Haben wir Riesenprobleme? Natürlich haben wir die. Aber wenn man uns vergleichen will, dann muss man uns mit den Besten vergleichen, wenn man messbare Größen betrachtet, und was noch wichtiger ist – die subjektiven Größen. Was denken die Menschen über sich selbst? Von allen OECD- Ländern steht Israel an zweiter Stelle wenn es darum geht, ob die Menschen ein glückliches Leben haben.

Ich glaube die Dänen sind noch glücklicher.

Kann sein. Es ist mir egal, warum. Es spielt ja auch keine Rolle, ob wir an dritter, vierter oder fünfter Stelle stehen. Es ist ja kein Wettbewerb. Solange sich Israelis gut fühlen, weil sie in Israel leben, und übrigens, bei den Juden heißt sich wohlfühlen, sich zu beklagen. Ein Jude kann sich nicht wohlfühlen, wenn er sich nicht schlecht fühlen kann. Wenn ein Jude nichts Schlechtes über sich sagen kann, dann fühlt er sich nicht gut. Das ist in Ordnung, ich habe da kein Problem damit. Ich bin ständig am fluchen – dieses Land ist kein Ort zum Wohlfühlen – ich könnte gar nicht an einem Wohlfühl-Ort leben. Ein Beispiel: Vor kurzem, vor drei Monaten, kam ich von einer 18-monatigen Gastprofessur an der Georgetown University in Washington zurück. Das ist eine der besten Unis der Welt, man hat mich dort wie einen König behandelt, überall lag schon ein roter Teppich, es war richtig, richtig angenehm, bis zu einem Punkt, an dem ich es nicht mehr ausgehalten habe.

War man zu nett zu dir?

Warum sind die so nett? Es ist uninteressant. Angenehm zu sein ist nicht interessant. Wir sind ein streitlustiges und ein widerspruchsbegeistertes Volk. Auf ganz andere Art und Weise, und ich weiß, dass das Original etwas ganz anderes meint als ich sagen will, aber ich würde sagen ”Der Geist, der stets verneint“. Wir sind keine Mephistos, aber wir fordern uns ständig gegenseitig heraus, wir sind ständig unterschiedlicher Meinung. Wir finden es langweilig, der gleichen Meinung zu sein, wir suchen den Dissens. Das ist nicht angenehm, aber es ist faszinierend, und es ist eine Herausforderung. Und für mich ist es ein tolles Leben. Meckere ich herum? Natürlich! Wenn ich aufhöre, herumzumeckern, wird mir die israelische Staatsbürgerschaft aberkannt. Man kann nicht Israeli sein, wenn man nicht meckert. Wenn man nicht alles furchtbar findet, wird man in der Gesellschaft nicht akzeptiert. Manche Israelis waren dumm genug zu glauben, was sie da gesagt haben. Das ist gefährlich. Man soll es sagen, aber nicht glauben. Sonst ist das Leben zu einfach.

Sag mal, warum musste es 1948 überhaupt einen Krieg geben? Warum habt ihr euch nicht mit den Arabern zusammengesetzt, die schon da waren, und habt gesagt, okay, der Kolonialismus ist vorbei, ihr seid hier, ihr seid Palästinenser, wir sind hier, wir sind Israelis, machen wir zusammen einen Staat draus, lasst uns eine Lösung finden.

Was du da gerade gesagt hast, hat einen großen Fehler. Es beruht auf gesundem Menschenverstand. Es macht Sinn fürdich und es macht Sinn für uns. Und es ist auch genau das, was die Zionisten damals vorgeschlagen haben. Die UN hatten eine Teilungserklärung ausgearbeitet, in der hieß es, Juden und Araber kämpfen miteinander, teilen wir das Ganze in einen jüdischen Staat und einen arabischen Staat, die Juden haben das akzeptiert, und sind zu den Arabern gegangen, und haben genau das gesagt, was du gerade gesagt hast. Die Araber sagten, ihr solltet überhaupt nicht hier sein, wir werden euch alle töten, und das haben sie auch versucht.

Warum habt ihr nicht gesagt, wir machen das Ganze zusammen…

Ich muss zugeben, es gab zu der Zeit Juden, die das vorgeschlagen haben. Die Araber lehnten es auch ab. Aber ich glaube, es ist keine gute Idee. Denn wenn man zwei Nationen hat, die sich so diametral unterschiedlich gegenüberstehen und die absolut nichts gemeinsam haben - mit ihnen würde ein Staat nicht funktionieren.

Sie bestehen beide aus Menschen…

Ja, aber es gibt nun einmal unterschiedliche Arten von Menschen. Ich weiß, dass die Europäer das heute so sehen. Aber warum bauen dann nicht alle Menschen auf der Welt einen Staat?

Vielleicht…

Ja, in Disneyland funktioniert das.

Globale Demokratie, oder so…

Ja, globale Demokratie. Ich finde Disneyland toll, ich gehe bestimmt einmal im Jahr hin, aber ich vergesse nie, dass es ein Freizeitpark ist. Europa ist ein Freizeitpark, denn die Europäer leben im La-La-Land. Die glauben tatsächlich, warum sollten sich die Leute nicht hinsetzen und miteinander reden, wir sind doch alle Menschen. Wir bringen Saddam Hussein und Adolf Hitler und Mutter Teresa zusammen, und die setzen sich hin und die sind einer Meinung, dass wir alle gleich sind. Lasst uns alle zusammen leben. Das ist schön. Aber wenn man das vierte Lebensjahr hinter sich gelassen hat, dann sollte die Kindergärtnerin mal fragen, ob man nicht groß werden möchte. Übrigens habe ich große Hochachtung für die Europäer, die das in Europa hingekriegt haben, nicht in ganz Europa, nicht in der Ukraine, nicht auf dem Balkan, aber im größten Teil Europas ist das eine Riesen-Errungenschaft.

Beim Rest kriegen wir das schon hin.

Das hoffe ich sehr, aber ich glaube, dass das für den größten Teil der Welt naiv ist – dein Programm heißt doch ”für die Naiven“, oder?

Jung & Naiv…

Ja, naiv zu sein ist sehr schön für Dichter und Kindergärtnerinnen. Aber wenn man die Entscheidungen für eine Nation treffen muss, und man ist naiv, dann nennt man das Obama. Dann ist das unentschuldbar. Ich will nicht, dass meine Politiker naiv sind, denn wenn meine Politiker naiv sind, dann werde ich abgeschlachtet. Chamberlains Naivität hat Großbritannien beinahe seine Existenz gekostet. Und es wäre beinahe von den Nazis beherrscht worden. Deshalb würde ich nicht empfehlen, naiv zu sein, wenn man am Leben bleiben will. Wenn man Selbstmord begehen will, ist naiv sein aber ein hervorragender Ansatz, ein ganz hervorragender Ansatz. Aber wenn man sich aus irgendeinem seltsamen Grund nicht umbringen möchte, dann würde ich es nicht empfehlen. Und übrigens ärgere ich mich nicht einmal, wenn mir jemand das empfiehlt. Ich fühle mit diesem Menschen, und ich sage, naja, eines Tages wird er erwachsen und er wird den Tatsachen des Lebens ins Auge blicken.

Sieht der Staat Israel heute so aus wie der Staat Israel im Jahr 1948, als er gegründet wurde?

Die souveränen Grenzen von Israel sind praktisch gleich geblieben, mit kleinen Veränderungen. Die Veränderungen kamen im Sechstagekrieg 1967.

… da gab es wieder einen Krieg…

Ja, aber es hatte dazwischen auch ein ganze Anzahl von Kriegen gegeben.

Wurde Israel stets angegriffen?

Nein, andere haben nicht angegriffen. Wir haben nicht darauf gewartet, dass sie angreifen, denn wenn wir gewartet hätten, dann hätten sie uns zunichte gemacht.

Es waren also nicht stets die arabischen Nationen, die Israel angegriffen haben.

Nein. Die haben ihre Armeen in Stellung gebracht, sie waren im Begriff, anzugreifen. Wir haben unsere Armee mobilisiert, und anstatt zu warten, bis die angreifen, haben wir zuerst angegriffen. Ich hoffe, wir werden immer zuerst angreifen. Wenn man weiß, dass man gleich zunichte gemacht werden kann, dann ist es Selbstmord, zu warten bis der Feind den ersten Schritt macht. Es sieht zehn Minuten lang gut in euren europäischen Zeitungen aus, bevor die Europäer anfangen, Israel die Schuld zu geben, aber in militärischer Hinsicht ist es eine Katastrophe. Die Araber haben an Yom Kippur, 1973, zuerst angegriffen, und das Ergebnis war niederschmetternd… Israel ist zu klein, um darauf zu warten, dass die Araber zuerst angreifen.

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Also Selbstverteidigung.

Man nennt das Präventivschlag.

Ist das keine Erfindung von George Bush?

Nein. Nein. Ich weiß nicht, wann das erfunden wurde, aber ich bin zum ersten Mal in der Bibel darauf gestoßen. Man kann Tausende von Jahren zurückgehen, und man wird sehen, dass in so einer Situation nur Idioten darauf warten, bis ihr Feind als erster angreift. Es ist unverantwortlich, naiv, europäisch – es gibt jede Menge Bezeichnungen dafür.

Aber wäre es vielleicht nicht rationaler zu sagen, okay, ihr wollt uns angreifen, reden wir doch lieber.

Wir haben gesagt, lasst uns reden, und die haben gesagt, wir bringen euch um. Du gehst davon aus, dass alle reden wollen.

Das liegt wohl daran, dass ich aus Europa komme.

Du kommst aus einem Disneyland namens Europa! Das ist toll. Wenn das Leben aus Legosteinen besteht, ist das ganz toll. Aber wenn man in der realen Welt lebt, dann funktioniert es nicht so. Ich war 1967 übrigens persönlich dabei…

Du warst Soldat?

Ich wurde als Reservist zur Armee eingezogen, und mein Job war beim Nachrichtendienst der Luftwaffe, und in zwei Stunden und fünfzehn Minuten hatten wir die gesamten Luftstreitkräfte der arabischen Welt vernichtet.

Woher hattet ihr eure Ausrüstung?

Hauptsächlich Frankreich, aber mit der Zeit haben wir es auch geschafft, Dinge zu kriegen, die man uns nicht verkaufen wollte. In manchen Fällen haben wir gestohlen, denn viele Länder wollten uns keine Waffen verkaufen. Inzwischen sind wir in einer sehr guten Lage, denn wir stellen selber die intelligentesten Waffensysteme her, die es gibt.

Die Atombombe?

Wir haben keine Atombombe.

Ich habe das von meinem Militärexperten Thomas Wiegold erfahren. Eure Regierung sagt das nicht offiziell, aber es ist eine Tatsache.

Es freut mich sehr, dass du das glaubst, und es freut mich sogar noch mehr, dass die Araber das glauben. Aber soweit ich weiß, gibt es sie nicht. Ich kann dir versichern, dass sich keine einzige Atombombe in meiner Wohnung befindet. Das ist das Einzige, was ich mit absoluter Sicherheit sagen kann. Aber die Annahme seitens aller um uns herum, dass wir die Atombombe haben, ist eine sehr gute Sache. Man nennt das Abschreckung.

Führt das nicht dazu, dass andere die Bombe auch haben wollen, dass sie sagen, wenn die sie haben, dann brauchen wir sie auch?

Stell dir vor, du bist Polizist, und dir begegnet ein Mörder, der keine Waffe hat, dann gibst du dem eine Waffe, weil es nicht fair ist. Du gehst davon aus, dass Barbaren und zivilisierte Menschen das Gleiche sind. Tut mir leid. Den Barbaren sollte man das verweigern, was zivilisierte Menschen haben sollten.

Barbaren sind – die Araber?

Nicht alle Araber, sondern die, die gegen Israel Krieg führen wollen. Als Syrien eine Atombombe bauen wollte, haben wir die zerstört, wenn man den ausländischen Quellen Glauben schenken will. Und wenn wir – der Himmel bewahre uns – auf die Europäer gehört hätten, dann hätte Assad heute die Atombombe. Der Himmel bewahre uns davor, dass wir euch ernst nehmen. Ich glaube,jeder versteht, welchen Respekt ich vor den Europäern habe.

Und lass mich eins klarstellen: Ich habe einen Riesenrespekt für Europa, wenn es um die Grundwerte geht. Alle Werte, auf die ich stolz bin, habe ich von Europa gelernt. Und ich habe einen Riesenrespekt vor den Europäern, weil sie sie geschaffen haben – mit viel Hilfe von den Juden. Ich habe eine Menge von den Europäern gelernt, und ich lerne immer noch eine Menge von den Europäern, wenn es um Werte geht. Wenn es darum geht, diese Werte zu verteidigen, dann nehme ich die Europäer nicht ernst. Die sind noch nie in der Lage gewesen, ihre Werte zu verteidigen.

Kurz zurück zum Jahr 1967. Du warst Soldat, wo warst Du..?

Ich war beim Nachrichtendienst der Luftwaffe. Ich war bei der Truppe, die alles vorbereitet hat, die die Erkenntnisse zusammengetragen hat, die es möglich gemacht hat, alle arabischen Luftstreitkräfte in zwei Stunden und fünfzehn Minuten zu zerstören. Und für den Rest brauchten wir nur sechs Tage.

Waren die gegnerischen Luftstreitkräfte am Boden?

Ja. Die haben es zu diesem Zeitpunkt nicht erwartet. Es war sehr wichtig, den Zeitpunkt bestimmen zu können. Die nachrichtendienstliche Seite war das wichtigste Element. Und 1967 haben wir sie alle besiegt, wir haben die Sinai-Halbinsel besetzt, die ist dreimal so groß wie Israel.

Wo ist das?

Sie liegt zwischen Israel und Ägypten, in der Mitte der Sinai-Halbinsel liegt der Berg, wo nach der biblischen Überlieferung Gott den Juden die Bibel gegeben hat…

Das ist der märchenhafte Teil der Geschichte.

Die Bibel ist ein Märchen, das ich mir als meine Geschichte ausgesucht habe. Es ist mir egal, ob man das archäologisch belegen kann oder nicht, es stimmt sogar hinten und vorne nicht, denn es ist ja ein Mythos. Es gibt da vielleicht einen Kern, ein kleines Körnchen Wahrheit, aber wie groß das ist, ist schon schwer zu sagen. Was mir aber als weltlichem Juden wichtig ist: Ich habe beschlossen, mir diese Geschichte als die meine anzueignen. Und ich wiederhole, das ist nicht meine religiöse Geschichte, es betrifft meine Volkszugehörigkeit.

War der letzte richtige Krieg Yom Kippur 1973?

Das war der letzte große Krieg. Wir hatten 1982 einen weiteren Krieg. Der fing an als legitime israelische Antwort auf Angriffe von Palästinensern vom Libanon aus. Aber dann hat einer von uns, der Verteidigungsminister, mit der Zustimmung der Regierung, es sich in den Kopf gesetzt, wir könnten eine neue Ordnung im Libanon errichten. Bis nach Beirut marschieren, sich mit den Christen im Libanon zusammentun, und eine libanesische Regierung einsetzen, die mit Israel Frieden schließt. Das war ein Hirngespinst…

Zu viel Optimismus?

… von der dummen Sorte. Es gibt zwei Sorten vom dummem Optimismus. Die eine ist aggressiv und die andere ist passiv. Die aggressive dumme Sorte sagt, lasst sie uns besiegen, das wird Frieden bringen. Die andere, die passive, die ist noch dümmer, die sagt, lasst uns freundlich sein, das wird Frieden bringen. Der eine war Ariel Scharon und der zweite war Schimon Peres, und diese Hirngespinste, die besagten ”Wir können etwas tun, um Frieden zu schließen, auch wenn die Araber das nicht wollen…” - diese beiden haben sich als Misserfolge herausgestellt.

Wann kriegen die Palästinenser einen Staat?

Das kommt auf sie selber an. Sie hätten 1947 einen Staat haben können, wenn sie dem Teilungsplan zugestimmt hätten, sie hätten 1978 einen Staat haben können, als Israel bei den Verhandlungen mit Ägypten eine Palästinensische Autonomie angeboten hat – die hätte sich innerhalb von fünf Jahren zu einem Staat entwickelt. Sie hätten im Jahr 2000 einen Staat haben können, als Barak ihn Arafat in Camp David anbot. Sie hätten 2008 einen Staat haben können, als Olmert ihn Abbas angeboten hat.Die offizielle Position des Staates Israel ist, dass er bereit ist, die Einrichtung eines palästinensischen Staates im Westjordanland und im Gazastreifen zuzulassen.

Das wären doch dann zwei Staaten, denn da gibt es keine Verbindung, oder?

In den Vorschlägen, die Ministerpräsident Barak in Camp David auf den Tisch gelegt hat, auf Basis des Osloer Abkommens, wären diese beiden Teile verbunden worden, als Teile einer souveränen Einheit, durch einen Korridor durch Israel.

Einen Tunnel?

Das wurde nicht festgelegt. Es könnte ein Tunnel sein, eine Brücke, es gibt da unterschiedliche Möglichkeiten. Aber in letzter Zeit haben wir ja gelernt, wie gut die Palästinenser Tunnel bauen können, das wäre mal ein praktischer Nutzen für diese einmalige Fähigkeit.

Warum nicht einfach nur einen Staat?

Wenn die Hälfte der Bevölkerung der Ansicht, ist dass du nicht existieren solltest, ist das eine gute Idee für einen Staat?

Denken die Palästinenser denn alle, dass Israel nicht existieren sollte?

Jeder denkt, dass Israel illegitim ist. Die Hamas sagt, wir müssen Israel zerstören und alle Juden töten, nicht nur israelische Juden, sondern alle Juden. Ihre Ideologie basiert auf einer Geschichte mit religiösem Hintergrund, dass sogar die Bäume und die Felsen sagen würden: ”Hinter mir versteckt sich ein Jude, komm und töte den Juden.“ Völlig verrückt, oder? Das ist deren Kultur.

Von Hamas oder den Palästinensern?

Hamas. Die sind in freien Wahlen von einer Mehrheit der Palästinenser gewählt worden. Das ist kein außerirdisches Element, das sich der Bevölkerung aufgedrängt hat. Die spiegeln die Gesellschaft in Gaza wider.

Ist die Gesellschaft in Gaza sehr rechtsorientiert?

Rechtsorientiert ist ein westlicher Begriff, mit dem etwas erklärt werden soll… das ist vollkommen irrelevant. Wenn man die arabische Politik mit westlichen Begriffen erklären will, macht man sich lächerlich. Übrigens ist das der Grundfehler der meisten Studien über die arabische Welt von westlichen Akademikern. Die glauben, wenn man zwei Gruppen hat, die versuchen, sich gegenseitig abzuschlachten, dann ist das ”Koalition“ und ”Opposition“, und dann setzen die sich an einen Tisch… das ist vollkommen anders… hier ist ein gutes Bespiel: In Libyen gab es einen widerwärtigen, barbarischen Terroristen namens Ghaddafi.

Von dem habe ich gehört.

Europa in seiner unendlichen Weisheit hat beschlossen, die Menschenrechte zu verteidigen und die Demokratie nach Libyen zu bringen. Also sind sie da drüber geflogen und haben Libyen bombardiert, aber von so weit oben, dass sie gar nicht erkennen konnten, was sie da bombardiert haben. Dabei sind so viele Zivilisten umgekommen, dass niemand mehr sich die Mühe gemacht hat, sie zu zählen. Das wurde dann als humanitäre Aktion bezeichnet. Und die haben gedacht, dass das die Demokratie bringen würde, denn wenn die Libyer erst einmal ihren Willen bekunden könnten, was würden die Menschen in Libyen wollen? Genau das, was sie in Europa wollen. Und dann ist das Unvermeidliche geschehen, das jeder, der kein Idiot ist, hätte vorhersehen können: Die haben angefangen, sich gegenseitig abzuschlachten.

Bürgerkrieg.

Das ist noch nicht mal ein Bürgerkrieg, das sind ein paar Stämme, die sich gegenseitig töten, weil das so ist. Das ist deren Lebensart. Nimm den Jemen, eines der ärmsten Länder der Welt, wo die Menschen nicht genug haben, um ihre Kinder zu ernähren – im Jemen befinden sich durchschnittlich drei Kalaschnikows pro Kopf der Bevölkerung. Die Kalaschnikow ist ein Sturmgewehr, für die Naiven, die das nicht wissen. Ich versteh ja, dass man zwei davon braucht, eine AK47 fürs Wochenende und eine für unter der Woche, aber die Kinder haben Hunger! Wozu braucht man dann ein drittes Sturmgewehr? Wenn man das verstehen will, und man steht auf dem Standpunkt ”Wir sind alle Menschen, wir sind doch im Grunde alle gleich, die sprechen halt arabisch, wir sprechen deutsch oder englisch”. Nein. Die sind fundamental anders. Fun-da-men-tal anders.

Aber wir sind alle Menschen.

Wir sind alle Menschen. Was bedeutet das? Sehr wenig. Sehr wenig. Das Spektrum reicht von den höchsten Höhen und den tollsten Errungenschaften bis hin zu den niederträchtigsten und widerwärtigsten Menschen auf der Welt. Schau dir doch unsere Gesellschaft an! Sowohl du als auch der Mensch, der deine Tochter vergewaltigen könnte, sind Menschen. Warum setzt du dich also nicht mit ihm zusammen und erklärst ihm, dass Vergewaltigung keine gute Idee ist. Ich bin sicher, dass ihn das überzeugen wird. Du gehst davon aus, dass der auch zivilisiert ist. Das ist er aber nicht.

Das kann doch nicht auf alle Araber zutreffen.

Ich sage nicht, dass es auf alle Araber zutrifft. Ich habe doch vorhin erwähnt, dass ich vielen Hunderten von ihnen persönlich begegnet bin, und dass ich sicher bin, dass es Millionen gibt, die sehr, sehr anders sind. Die Frage ist doch, wie verhält sich das Kollektiv? Ein Kollektiv besteht nicht nur aus Individuen, die zusammenkommen sind. Hier ist ein Beispiel: Du gehst durch ein Gebiet mit einer hohen Kriminalitätsrate, und du siehst einen Fünfzehnjährigen auf dich zukommen. Hättest du Angst? Nein. Brauchst du auch nicht. Aber wenn du zehn Fünfzehnjährige auf dich zukommen siehst, genau solche Menschen wie dieser einzelne, aber sie sind zu zehnt. Lauf um Dein Leben! Denn das Kollektiv verhält sich anders als ein Individuum. Willst du vergewaltigt werden und das später erkennen? Geh’ nur. Wir sind so oft vergewaltigt worden, dass uns dieser naive Ansatz nicht mehr reizt.

Kennst Du die Geschichte vom Wolf im Wald? Der Wolf sieht etwas auf sich zukommen, und denkt, oh, da ist noch ein Wolf. Wenn ein Mensch durch den Wald geht, und er sieht etwas auf sich zukommen, denkt er, oh, das ist ein Wolf. Er sieht den Feind … Ist das das Problem, dass man immer das Schlechte annimmt?

Nein, nur aufgrund von Erfahrungen. Ein Pessimist ist ein gut informierter Optimist. Mit anderen Worten, je mehr man weiß, je mehr Erfahrungen man gemacht hat, umso weniger Naivität kann man sich leisten.

Wie naiv ist Israel heute?

Ich glaube nicht im Mindesten, dass Israel naiv ist. Gibt es in Israel naive Leute? Natürlich! Da brauchst Du nur die Ha’aretz zu lesen. Wenn Du Israelis kennenlernen willst, die im La-La-Land leben, lies die Ha’aretz. Wenn man hier naiv sein will, kann man auf die Straße gehen und ”Frieden, Frieden“ rufen, ”Lasst uns reden, lasst uns Frieden machen“, das ist in Ordnung.

Ist es irrational, Frieden zu wollen?

Nein. Das Friedensabkommen mit Ägypten einhalten zu wollen, ist sehr rational. Mit den Vereinigten Staaten in Frieden leben zu wollen, ist sehr rational. Mit der Hamas Frieden schließen zu wollen, wenn Hamas uns sagt, jeder Jude muss getötet werden, und nicht nur das, die töten auch ihre eigenen Leute. Wenn du glaubst, die Hamas will Frieden, und man braucht sie nur freundlich anzulächeln, bitte schön, gehe hin und lächele sie an, aber ich komme nicht mit.

Wann gibt es Frieden? Gib mir eine Jahreszahl.

Zuerst einmal freut es mich sehr, zu erleben, dass du so einen gut entwickelten Humor hast. Ich habe dazu nur zu sagen, dass ich keinen Frieden kommen sehe, mindestens für die nächste und übernächste Generation, denn die palästinensischen Kinder werden von ganz klein an dazu erzogen – und wir haben Beweise, dass schon Dreijährige so erzogen werden – dass die pure Existenz eines jüdischen Staates illegitim ist. Ich sehe also keinen Frieden kommen, nicht in der vorhersehbaren Zukunft.

Gib mir eine Jahreszahl.

Genau ein Jahr, nachdem der Messias gekommen ist. Um sechs Uhr nach der Ankunft des Messias.

Und wann genau wird das sein?

Das weiß ich nicht, das musst Du den Messias fragen. Bitte beachte, dass ich das nicht bin.

Du bist ja nicht religiös, also… vielleicht 2080?

Wenn ich diese Frage ernsthaft beantworten wollte, wäre ich ein Idiot.

Dieses Interview ist die aufbereitete Version des ersten Gesprächs, das Jung&Naiv während ihrer Reise in Nahost geführt haben. Es ist programmatisch für das, was danach folgte. Krautreporter veröffentlicht demnächst eine Serie mit unveröffentlichten Gesprächen von dieser Reihe - wie auch hier mit einer transkribierten Kurzfassung als Text und mit Zusatzmaterial für unsere Mitglieder.


Produktion: Alexander Theiler, Hans Hütt, Tilo Jung
Übersetzung: Elka Sloan
Untertitel: Cristian Wente