Totgesagte, so heißt es, leben länger. Totgeborene freilich gar nicht. Letzteres gilt bestimmt für jene Idee einiger ehrenwerter enttäuschter Liberaler, die nun zur Gründung einer neuen linksliberalen Partei aufrufen. Daraus kann nun leider gar nichts werden. Freilich, dass die von vielen totgesagte und nun auch aus dem sächsischen Landtag ausgeschiedene FDP länger leben wird, als von ihren Spöttern erwartet, ist gerade deshalb fraglich, weil sie ihren linksliberalen Flügel nach und nach und über Jahrzehnte immer mehr frustriert hat – bis eben zu der jüngsten Verzweiflungsidee der Gründung einer selbständigen linksliberalen Partei.

Seit dem preußischen Verfassungskonflikt, genauer: seit dem Bismarck'schen Indemnitätsgesetz von 1866 wird der deutsche Liberalismus gequält von der Spaltung zwischen seinem nationalliberalen und seinem radikaldemokratischen Flügel. Auch manche Kalamitäten der Weimarer Republik hingen mit der Unversöhnlichkeit zwischen der Deutschen Volkspartei (DVP) und der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) zusammen, ein Unverträglichkeitsverhältnis, das vor allem Gustav Stresemann, den Vernunftrepublikaner, zur Verzweiflung trieb.

In der Frühgeschichte der Bundesrepublik wurde die FDP stark von deutschnationalen Kräften bestimmt – Theodor Heuss spottete privat bitter über die "Nazi-Liberalen" in Nordrhein-Westfalen. Erst als dort die liberalen "Jungtürken" um Wolfgang Döring und Willy Weyer die Landespolitik hin zu einer sozialliberalen Koalition umkrempelten und als danach die FDP auch für die Professoren Dahrendorf, Klug, Maihofer und Baumann attraktiv und zum Forum ihrer politischen Aktivitäten – diese waren in der Praxis nicht immer vom Erfolg gekrönt – wurde, kam erstmals wieder so etwas wie eine Versöhnung und Vereinigung der beiden liberalen Flügel zustande. Ohne diesen leider immer wieder prekären Zusammenhalt wäre Willy Brandts und Walter Scheels sozialliberale Koalition nie möglich geworden – und wegen der nationalliberalen Abweichler wäre diese Regierung auch fast zugrunde gegangen.

Ausgrenzung des linken Flügels unter Genscher

Dieses historische Bündnis zweier liberaler Flügel zerbröselte immer mehr nach Hans-Dietrich Genschers Wende zu Helmut Kohls Union. Die Wende selber mochte unvermeidlich sein – die Ausgrenzung des linken Parteiflügels der FDP war es nicht. 

Die mehr oder weniger rechte FDP mochte zwar noch eine ganze Weile ohne ihren linken Flügel flattern, bis hin zu dem sensationellen von CDU-Leihstimmen beflügelten Wahlerfolg Guido Westerwelles im Jahr 2009. Aber schon die Monate danach zeigten: Ein Flügel allein vermag diese Partei nicht dauerhaft zu tragen – und dies gilt jeweils für den einen wie den anderen, weshalb eben eine Neugründung einer linksliberalen Partei von vornherein zum Scheitern verurteilt sein wird.

So sinkt denn nun die FDP insgesamt dahin. Was hätte man von ihr auch in den jüngsten Monaten zu all den außenpolitischen Krisen und innenpolitischen Gefälligkeitsentscheidungen Markantes, Einprägsames gehört? Nicht einmal der sonst doch noch viele Strippen ziehende Hans-Dietrich Genscher hat zur Ukraine-Krise – sonst doch "sein" Zuständigkeitsfeld par force – irgendetwas Wegweisendes vernehmen lassen. 

So ist es halt: Wer nichts mehr zu sagen hat, wird auch bald nicht mehr gehört. Am Ende läutet sogar niemand mehr das berüchtigte Totenglöcklein für den politisch organisierten Liberalismus. Und das ist, alles in allem, jammerschade.

Anmerkung: In der ursprünglichen Fassung des Artikels war von der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) die Rede. Gemeint war aber die Deutsche Volkspartei (DVP). Wir haben den Fehler korrigiert.