Blauer Himmel, davor einige weiße Wölkchen. Unten rechts befindet sich das Logo der Floskelwolke.

9 Jahre Floskelwolke

Udo Stiehl Sebastian Pertsch 11. August 2014 bis 11. August 2023

Liebe Freund*innen der Floskelwolke,

zum neunten Geburtstag unseres journalistischen Projekts sagen wir auf Wiedersehen. Das fällt uns nicht leicht, denn es war uns immer eine große Freude, Sie in diesem Ehrenamt zu begleiten, Ihnen aber auch in Workshops, Vorträgen, auf Podiumsdiskussionen und in den sozialen Netzwerken zu begegnen. Das werbefreie und unabhängige Projekt kostete Zeit. Zeit, die wir schon länger nicht mehr haben. In unseren beruflichen Leben sind neue Aufgaben hinzugekommen, die viel Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Sie atmen den Geist der Floskelwolke, denn auch sie drehen sich um Sprache und ihre Wirkung. Wir bleiben also unseren Themen treu, nur auf anderen Ebenen.

Neben unseren eigentlichen Hauptberufen ist Sebastian mit einem Buchprojekt für den Dudenverlag beschäftigt und auch unsere „Floskel des Monats“ in der Fachzeitschrift journalist des Deutschen Journalisten-Verbands wird weiterhin – allerdings ab September in anderer, dafür erweiterter Form – von ihm veröffentlicht. Udo betreut zusätzlich zu seiner Arbeit als Nachrichtensprecher und -redakteur ein internes Projekt in der ARD. Insbesondere seit dem vergangenen Jahr merkten wir, dass wir zunehmend weniger Zeit, die solch ein wichtiges Projekt eigentlich bräuchte, aufbringen können. Es wäre falsch, auf Sparflamme weiterzumachen und auf „bessere“ Tage zu hoffen.

Erlauben Sie uns dennoch, etwas in Erinnerung zu schwelgen, denn mit der Floskelwolke haben wir viel Tolles erlebt. Am 11. August 2014 gingen wir online und zeigten täglich Floskeln, Phrasen und Schlagwörter in den deutschsprachigen Nachrichtenmedien auf. Wir boten einerseits ein Glossar, das mit der Zeit immer weiter anwuchs und mehrere hundert Begriffe umfasste, und andererseits eine technische Analyse von mehreren tausend Medien über deren Verbreitung an. Die Reaktionen zu dieser einmaligen Idee waren überwältigend.

Möglicherweise waren es drei entscheidende Zutaten, die zum Erfolg beitrugen: 1. Wir gingen, sofern es das Thema zuließ, mit einem gewissen Augenzwinkern heran. Auch wenn uns das journalistische Anliegen ernst war, war die Kommunikation nicht immer bierernst. 2. Wir versuchten, nicht puristisch zu sein. Das kann in einer lebendigen Sprache zwar nie perfekt gelingen, aber verbissen und altbacken wollten wir mit der Floskelwolke nicht sein. 3. Wir prangerten (fast) nie Kolleg*innen oder Medien direkt an, denn es ging uns eher allgemein um die Sache: Um die Sensibilisierung für einen bewussteren Umgang mit Sprache, aber nicht ums Ankreiden einzelner Personen.

Dieses Rezept, das zu Beginn vor allem Kolleg*innen aufgetischt wurde, kam gut an. So gut, dass nicht nur Nachrichtenredaktionen und nicht nur Menschen im Journalismus Gefallen daran fanden. Es folgten unzählige Interviews und Beiträge für Print, Online, Radio und TV – und wir gaben unser Wissen und unsere Expertise weiter. Wir referierten und diskutierten und sorgten für einige Aha-Erlebnisse bei unseren Auftritten, u. a. auf dem Jahreskongress Besser Online vom DJV, bei der re:publica, auf der tincon, im Sommerforum Medienkompetenz von mabb & FSF, in der ARD.ZDF medienakademie, im Forum Wissenswerte, auf dem Jahreskongress Deutscher Lokalzeitungen und auf diversen internen Fortbildungen und Veranstaltungen zahlreicher Medienhäuser. Aber nicht nur in Deutschland kamen wir viel rum: Die Stadt Zürich lud uns beispielsweise zu ihrer Kulturwoche ein und wir durften einen Abend gestalten.

Häufiger wurden wir in diesen neun Jahren gefragt, ob denn Floskeln schlimm seien. Natürlich nicht! Die Sprache verändert sich und sie lebt auch von Bildern. Es entstehen neue Wortschöpfungen und Bedeutungen. Mit der Floskelwolke kritisierten wir vor allem jene Formulierungen, die nicht nur einfach überflüssig, manchmal auch amüsant sind – und vorrangig auch nicht jene, die einen Text hässlich und langweilig machen. Einige Begriffe und Formulierungen sind allerdings tatsächlich schlimm, wenn es um präzise Sprache geht oder Sachverhalte möglichst neutral geschildert werden müssen. Dann können sie falsche Bilder erzeugen oder Informationen verschleiern.

Worte haben bekanntlich Macht – und die PR weiß das auszunutzen. Gefährlich kann es werden, wenn sich Manipulatives und Desinformation in journalistischen Texten unbemerkt verbreiten. Verbale Provokationen, fragwürdige Begriffe, ausgeleierte Floskeln und geframte Phrasen vornehmlich aus der Politik prägen die Nachrichtenberichterstattung. Framing und Begriffskaperungen sind alltäglich und werden gezielt eingesetzt. Auf diese Problematiken fokussierten wir uns.

Auf Twitter und in den anderen sozialen Netzwerken wuchsen die Followerzahlen und Interaktionen seit dem Launch immer weiter an. In Höchstzeiten erreichten wir über die verschiedenen Kanäle und die Website mehrere zehntausend Leser*innen wöchentlich. Noch im selben Monat unseres Launchs erfolgte eine Anfrage aus München: Der Piper-Verlag würde gerne ein Sachbuch mit uns machen. Im Jahr 2016 erschien es, wurde ein Erfolg und falls Sie Interesse haben: Wir hätten noch ein paar Exemplare für ’nen Zehner inkl. Versand (Kontakt).

Im Jahr vor der Buchpremiere wurde die Floskelwolke schon mit dem Günter-Wallraff-Preis für Journalismuskritik ausgezeichnet, für den Grimme Online Award nominiert und unsere monatliche Kolumne im Medienmagazin journalist, die es bis heute gibt, startete. Mit der „Floskel des Jahres“ kürten wir in den vergangenen drei Jahren je fünf problematische Verwendungen, die sich in den Nachrichten eingenistet haben. Das Medienecho war enorm.

Ein großer Spaß war unser beliebtes Floskel-Bingo, das wir live bei Wahlabenden und Fußballspielen und mit richtigen Spielkarten anboten, und ein besonderes Highlight war auch der fünfte Geburtstag der Floskelwolke: Mit prominenten Referent*innen samt Publikum durften wir im edlen Potsdamer Museum Barberini über Sprache debattieren. Die Veranstaltung wurde live übertragen.

Sicherlich könnten wir noch viele weitere Anekdoten – wie unseren Adventskalender, den begehrten Kaffeebecher, die Postkarte bei Digitalcourage, dass wir uns beide vor dem Launch der Floskelwolke noch nie sahen oder miteinander sprachen, was es mit den monatlichen Redaktionskonferenzen in Berlin auf sich hatte, die zahlreichen Verlosungen, den endlosen Twitter-Thread zu Betteridges Gesetz der Überschriften, wie wir eigentlich im Hintergrund der Floskelwolke gearbeitet haben und welche spannenden Ideen wir noch vorhatten – erzählen. Aber irgendwann ist auch mal Schluss.

Ihre uns immer widergespiegelte Freude an der für Sie kostenfreien Floskelwolke war der schönste Lohn. Nun ist es dennoch Zeit, schweren Herzens loszulassen und die Floskelwolke und Sie in guter Erinnerung zu behalten. Danke für alles und an Sie alle!

Ihr Sebastian Pertsch
Ihr Udo Stiehl