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  4. Ukraine-Krise: Wie Propaganda auch in Kiew gemacht wird

Ausland Ukraine

Kiews zweifelhafter Umgang mit der Wahrheit

Wladimir Putin (l.) und Petro Poroschenko in der Propagandaschlacht Wladimir Putin (l.) und Petro Poroschenko in der Propagandaschlacht
Wladimir Putin (l.) und Petro Poroschenko in der Propagandaschlacht
Quelle: Infografik Die Welt
Über Falschmeldungen aus Moskau wundert sich inzwischen niemand mehr. Doch auch die Ukraine nimmt es im Konflikt mit den Separatisten mit Wahrheit und Pressefreiheit offenbar nicht so genau.

Was Petro Poroschenko Anfang September verkündete, sorgte im Westen für Verwunderung und ließ den Kreml aufhorchen: Einige Nato-Staaten würden bald „Präzisionswaffen“ in die Ukraine liefern, sagte Poroschenko in einem „BBC“-Interview. Militärhilfe bekäme Kiew von den USA, Frankreich, Norwegen und Polen, ergänzte Poroschenkos Berater Juri Lutsenko auf seiner Facebook-Seite. Die Nato-Länder dementierten umgehend.

Polen liefere keine Waffen an Kiew, erklärte soeben Premierministerin Ewa Kopacz, und auch Washington werde sich an einer Aufrüstung nicht beteiligen, machte Präsident Obama klar. Die Abmachungen seien eben geheim, spekuliert die Presse in Kiew, und würden deshalb offiziell bestritten. Wieso aber spricht Poroschenko selbst dann öffentlich von Waffen-Deals? Wahrscheinlicher ist: Poroschenko will Zuversicht im Volk stiften und Moskau drohen.

In einem Konflikt, in dem die Rollen zwischen Gut und Böse klar verteilt schienen, wirft Kiews zweifelhafter Umgang mit der Wahrheit Fragen auf. Es zeigt sich immer deutlicher: Nicht nur der Kreml verbreitet im Ringen um die Ostukraine Propaganda. Auch die Ukraine kämpft mit allen Mitteln um die öffentliche Meinung, streut bewusst Desinformationen und Halbwahrheiten – und konnte sich bisher noch stets der Unterstützung aus dem Westen sicher sein.

Militärkonvoi zerstört? Keine Beweise

Im August behauptete der ukrainische Militärsprecher Andrej Lysenko, die Armee hätte einen russischen Militärkonvoi in der Ostukraine zerstört. Beweise lieferte er nicht. Anfang September schrieb die regierungsnahe Website Euromaidanpress, Russland habe die Stadt Lugansk annektiert und verteile dort russisches Geld und russische Pässe. Man berief sich auf eine deutsche Bundestagsabgeordnete, die angeblich vor Ort war. Auf Nachfrage der „Welt am Sonntag“ erklärt diese: „Ich war nie in Lugansk.“

EU und Ukraine unterzeichnen Assoziierungsabkommen

Was noch vor kurzem unvorstellbar war, ist jetzt Realität: Die Volksvertretungen in Kiew und Straßburg nahmen die Vereinbarung zeitgleich an. Ursprünglich sollte das bereits im Winter geschehen.

Quelle: Reuters

Verlautbarungen der Armee übernehmen ukrainische Medien meist ungeprüft. Der Informationskrieg beginnt bereits mit der Sprache. Wie nennt man die bewaffneten Kämpfer in der Ostukraine? Sind es Separatisten, Aufständische oder Terroristen? Als Letztere bezeichnet die Regierung die Milizen – und fast alle Zeitungen und TV-Sender übernehmen diese Wortwahl.

Auch Militärinformationen über gefallene Soldaten, getötete Rebellen und Stellungen der Armee landen meist eins zu eins in der Presse. Wie die Landkarten von Armeesprecher Lysenko, auf denen der angebliche Frontverlauf zu sehen ist. Im August hätte die Armee den taktisch wichtigen Hügel Sawur-Mohyla südlich von Donezk besetzt, zeigte die Karte. Jedoch kämpfte damals das Militär erbittert um den Ort. Wer den Hügel tatsächlich kontrollierte, war unklar. Derzeit soll sich die Stellung jedenfalls in den Händen der Rebellen befinden.

Wird das „Zentrum für Gegeninformation“ missbraucht?

Viele Militärnachrichten kommen von Dmitri Timtschuk, einem ukrainischen Ex-Militär, den auch westliche Medien häufig zitieren. Timtschuk betreibt in Kiew das „Zentrum für Gegeninformation“ und berichtet meist sehr detailliert über die Kämpfe in der Ostukraine. Woher allerdings Timtschuk seine Informationen bezieht, ist unklar. Die Vermutung liegt nahe, dass Timtschuk von Kiew benutzt wird, um Informationen an die Öffentlichkeit zu lancieren.

Nachrichten sind in bewaffneten Konflikten ein Mittel zur Kriegsführung
Dušan Reljić, Büroleiter der Stiftung Wissenschaft und Politik in Brüssel

„Nachrichten sind in bewaffneten Konflikten ein Mittel zur Kriegsführung“, sagt Dušan Reljić, Büroleiter der Stiftung Wissenschaft und Politik in Brüssel. Journalisten seien nicht in der Lage, Militärinformationen zu prüfen, erklärt Reljić. „Sie machen sich mitschuldig, wenn sie Erklärungen der Regierung einfach so übernehmen.“

Ähnlich wie in Russland verbreiten die meisten Zeitungen und TV-Sender in der Ukraine eine patriotische Grundstimmung. Russischsprachige Bürger werden aber nicht verunglimpft. Darin unterscheidet sich die ukrainische von der russischen Propaganda, die Kremlkritiker gerne als „Faschisten“ brandmarkt. Die Presse würde zudem ihre Leser verärgern, denn auflagenstarke Blätter wie Segodnja oder Fakty sowie Zeitschriften wie Novoe Vremja oder Focus erscheinen auf russisch.

Männer mit Baseballschlägern in der Redaktion

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Medien, die kritischer über die Vorgänge in der Ostukraine berichten, geraten zunehmend unter Druck. Eindrucksvolles Beispiel ist die Zeitung „Vesti“. Das Blatt stand früher der Partei der Regionen von Expräsident Viktor Janukowitsch nahe. Nach der Maidan-Revolution distanzierte sich „Vesti“ zwar von der ehemaligen Regierung, gilt jedoch immer noch als prorussisch. „Vielleicht, weil wir den Krieg auch kritisch beleuchten und nicht alle Erklärungen der Regierung ungeprüft übernehmen“, sagt „Vesti“-Reporter Igor Burdyga.

Anfang Juli verwüsteten maskierte und mit Baseballschlägern bewaffnete Männer das Redaktionsbüro von „Vesti“. Vor zwei Wochen durchsuchte der ukrainische Geheimdienst SBU die Büros der Zeitung, beschlagnahmte Computer und fror Verlagskonten ein. Als Grund für die Durchsuchung vermuten die Redakteure einen Artikel über die Tochter von Geheimdienstchef Valentin Naliwaitschenko.

Wahrscheinlich interessiert die Regierung auch, wer die Zeitung finanziert. Offiziell ist Geschäftsmann Igor Guschba Eigentümer des Blattes. In Kiew vermutet man jedoch, dass der russische Gazprom-Konzern hinter der Zeitung steht. Denn der Verlag ist finanziell gut ausgestattet, lässt die Zeitung jeden Tag kostenlos verteilen und verkauft monatlich ein Hochglanzmagazin für wenig Geld.

In Kiew hat man entschieden weniger Geld

„Wer tatsächlich hinter ‚Vesti‘ steht, ist unbekannt“, sagt Burdyga. Dennoch wehrt sich der Journalist gegen den Vorwurf, prorussisch zu sein. „Ich wurde auf der Krim wegen meiner Recherchen von Separatisten gefangen genommen und geschlagen“, erzählt der 29-Jährige. Zudem hätten die Milizen in der Ostukraine die Zeitung verboten, fügt er hinzu. Und auch „Vesti“ bezeichnet die Rebellen mitunter als „Terroristen“ und benutzt damit die Wortwahl Kiews.

Die Ukraine mag sich im Informationskrieg ähnlicher Waffen wie Russland bedienen. Doch für die Pressearbeit in eigener Sache hat man in Kiew entschieden weniger Geld. Das Pressezentrum im Hotel „Ukraina“, wo Oberst Lysenko jeden Tag über die militärische Lage spricht, wird privat finanziert.

Den vor kurzem an den Start gegangenen Nachrichtensender Ukraine Today, das Gegenstück zu Russia Today, betreibt Oligarch Igor Kolomoisky. Weil Kiew der Nachrichtenflut aus Russland kaum etwas entgegensetzen kann, greift die Regierung inzwischen zu drastischen Methoden. Sie verbot 35 russischen Journalisten für drei bis fünf Jahre die Einreise ins Land.

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