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Außenminister Frank-Walter Steinmeier.

© Reuters

Außenminister Frank-Walter Steinmeier: Der Krisenmanager

Er ist kein Hektiker, kein Gestresster. Dabei wird die Welt jeden Tag fremder und lauter. Außenminister Frank-Walter Steinmeier widmet sich den Krisen mit kleinen Gesten und großen Formaten. Aber es hilft alles nichts, wenn es nicht vorangeht.

Mittendrin in einem der Zentren der Macht. Und es gibt ja einige Zentren, in Deutschland, draußen in der Welt. Aber hier ist es gerade still. Der Tritt wird vom Teppichfußboden gedämpft, einem, der die Terrakottafliesen verdeckt, auf denen die Absätze so klackerten, alles so hörbar war und beim Denken störte. Das war aber früher, als noch Joschka Fischer in diesem Haus residierte. Fischer mochte es gerne lauter. Der nach ihm kam, der wiederkam, ist anders. Der kann auch schweigen. Überlegen.

Und es gibt einem ja auch viel zu denken, wie die Welt sich verändert hat. Das Büro, sagte Frank-Walter Steinmeier bei seiner Rückkehr ins Außenamt, das ist unverändert, die Welt völlig anders. Anders geworden, und sie scheint es mit jedem Tag mehr zu werden: anders. Fremder. Neu. Lauter auch. Bleibt da noch Zeit zum Nachdenken? So würde Frank Steinmeier das nie sagen. Er würde es auch nicht für richtig halten, überhaupt so zu denken. Denn in seiner Welt ist Nachdenken Vorausdenken. So weit es geht.

Es sind so viele Krisen

Wie weit er geht, wird sich zeigen. Jeden Tag. Es sind so viele Krisen. Aber Steinmeier lässt sich nicht beirren. Wann je? Wer ist schon so diszipliniert. Er arbeitet bis in die Nacht. Morgens frühstückt er manchmal noch mit seiner Familie. Wenn die nicht auch schon ihre Termine haben, seine Frau und die inzwischen erwachsene Tochter. Aber er liebt sein Zuhause, er braucht eine solide Basis, um sich wohlzufühlen. Das ist an ihm unverändert.

Leicht gebräunt und entspannt sitzt er da. Er ist kein Gestresster, kein Hektiker, so kann man sich ihn nicht vorstellen. Er arbeitet viel und hart, weil es sein Naturell ist; und er ist dabei lässiger als andere, weil er weiß, dass es so ist. Steinmeier wäre unglücklich, wenn er nicht so arbeiten könnte. Arbeit macht ihn nicht müde, höchstens das Nichtstun. Keiner weiß das so gut wie seine Frau. Und sie will ihn glücklich sehen.

Er wirkt angekommen. Steinmeier ist, auf seine westfälisch-lippische Weise, die Ruhe selbst, ist kein von den Nerven Geplagter, keiner, der andern damit auf die Nerven ginge. Seine Mitarbeiter wundern sich – oder auch schon nicht mehr –, wie einer so viel Wichtiges und Verantwortungsvolles anpacken und zugleich so entspannt sein kann. Jedenfalls scheint es so zu sein. Dieser Anschein bemäntelt natürlich auch ganz gut seinen Ehrgeiz.

Er ist trittsicher, hoch und höher hinaus

Steinmeiers Weg hat immer nach oben geführt. Dass der Weg beschwerlich sein kann – das schreckt ihn nicht. Er ist trittsicher. Hoch und höher hinaus: Medienreferent in Hannover, Staatskanzleichef, Kanzleramts-Staatssekretär, Kanzleramtschef, Außenminister. Das liegt ihm im Blut. Er würde das auch nie so sagen. Höchstens denken. Für sich.

60 Prozent seiner Arbeitszeit widmet er dem Konflikt zwischen der Ukraine und Russland. Im Kleinen wie im Großen, mit kleinen Gesten wie mit größeren Formaten. Da telefoniert er mit nahezu allen Beteiligten und schickt SMS notfalls auch auf Englisch, hält damit im Wortsinn Verbindung mit dem russischen Außenminister und dem ukrainischen und dem Chef des Internationalen Roten Kreuzes und den Kollegen aus Frankreich und aus Polen und … Das Hin und Her um den Hilfskonvoi der Russen für die Ukraine ist ja nur ein Thema. Es ist eine nicht enden wollende Kette von Ereignissen, eine Telefonkette, eine Kette von Gedanken. Alles zusammen kettet ihn an diese Krise.

Kritik kann ihn ärgern. Er will schon anerkannt werden

Seitdem im April eine Vereinbarung zur Annäherung mit seiner maßgeblichen Hilfe zustande kam, die dann doch nicht eingehalten wurde, arbeitet er weiter daran und denkt parallel mit seinen Mitarbeitern voraus, auf welche Weise man die Kontrahenten zusammenbringen kann. Und so trifft er sich überraschend vor wenigen Tagen in Tegel, im Gästehaus des Außenamts, mit den Kollegen aus Russland, der Ukraine und Frankreich. Das „Normandie-Format“, wie er sagt. Es ist nicht allein sein Werk, die Idee für die Vermittlungsrunde aus vier Ländern hatte Frankreichs Präsident Francois Hollande am Rande der Feierlichkeiten zur Alliiertenlandung 1944.

Aber dass sie da endlich mal so zusammensaßen, das schon. Das muss Steinmeier auch nicht selbst hervorheben, das teilt sich allen auch so mit. Das ist auch viel besser, kommt gut an, wenn er sich nicht demonstrativ seiner selbst rühmt. Sein schlohweißer Schopf ist auch so bekannt, er leuchtet im öffentlichen Bild. Er wird schon nicht übersehen.

Auf einer Stufe mit der Kanzlerin

In seiner enormen Popularität bei den Menschen steht Steinmeier auf einer Stufe mit Angela Merkel, der Kanzlerin. Die ihm so sehr vertraut, dass sie Wendungen, Formulierungen von ihm übernimmt, sie zu ihren eigenen macht, so wie jüngst in einer anderen Krise, der im Irak, als es um Waffenlieferungen ging. Da wollen dann beide unisono bis an die Grenze des Möglichen gehen, politisch, rechtlich. Das ist Merkels Form des höchsten Lobs: wenn sie sich anschließt. Jemandem. Einer Meinung. Den Rest erledigt der Regierungssprecher, ihr getreuer Sprecher, in der Bundespressekonferenz, wo er immer wieder hervorhebt, wie gut die beiden zusammenarbeiten. Gut für beide.

Steinmeier registriert das. Alles. Es freut ihn auch. Kritik kann ihn ärgern. Er will schon anerkannt werden, er legt Wert auf eine gute Beurteilung. Aber es hilft alles nichts, wenn es nicht vorangeht. Er ist in allem, auch in Gestus und Habitus, ein erklärter Anhänger der Zielstrebigkeit, praktisch und entschlossen. Wenn es sein muss, nicht mehr anders geht, wie er meint, auch kaltschnäuzig. Es gibt den schönen Satz: In seinem Vordringen zu einem gesteckten Ziel ist er so unerbittlich und stetig wie ein Lavastrom. Ja, darin wird er glühend. Von wegen immer ruhig. Steinmeier wirkt so, weil er seine Gedanken gut hinter der Maske des In- sichgekehrten verbergen kann. Er verbirgt seine Reserven.

Empfindsam bis zur Empfindlichkeit

So erträgt er vieles, wie es scheint. Seine Empfindsamkeit, die mitunter, manchmal jäh, bis zur Empfindlichkeit reicht, muss er auch verbergen, weil sie ihn doch angreifbar machen könnte. Das wäre – unvorsichtig. Dabei muss es einen wie ihn ärgern, dass und wie Ursula von der Leyen, die Verteidigungsministerin, sich nach vorne drängt, ohne inhaltlich vorne zu sein. Dabei muss es ihn außerdem ärgern, dass sich in der EU die Minister, die zum Beispiel im Russland- Ukraine-Konflikt inhaltlich am weitesten entfernt sind, eher gar nicht beteiligt, am schroffsten äußern.

Auf einer Stufe mit Merkel ist er auch hier: vom Gefühl her. Sie sind sich in vielem ähnlich. Deshalb passt ja auch inhaltlich so oft zu ihr, was Steinmeier zuvor ausprobiert hat, im Konkreten jetzt das Normandie-Format. Wenn die Kanzlerin also jetzt nach Kiew reist, kann dies ein Ergebnis ihrer direkten Gespräche sein: dass sie demnächst auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs zusammensitzen werden, der Russe, der Ukrainer, der Franzose, die Deutsche. Dann könnten sie zu dem gesteckten Ziel vordringen, weil vorgearbeitet ist. Würde Merkel sonst reisen? Bei ihrer Vorsicht … Wenn sie kommt, vertritt sie die deutsche Politik doch auf einer anderen Stufe. Das ist ihr nur zu bewusst. Wie auch Steinmeier.

Er wird doch nicht jetzt aufhören, zu telefonieren und SMS zu verschicken

Dass Drohnen die Grenzen überwachen könnten und dass die OSZE bei Zweifelsfällen der Grenzverletzung mit in einer Klärungsstelle sitzt, ist ein Teil des Konzepts, über das zu reden ist. Es kann ganz vielleicht sogar gelingen, weil sie doch auf allen Seiten, mit ihren Verbindungen, die sie haben, feststellen, dass alle nur verlieren werden, je länger der Konflikt, ein unausgesprochener Krieg, dauert. Und Steinmeier wird doch nicht jetzt aufhören, zu telefonieren und SMS zu verschicken.

Welche genau? Das sagt er nicht, will er nicht sagen. Er wird nie alles sagen. In aller Regel ist ein Geheimnis bei ihm ganz sicher, gut bewahrt. Auch das macht ihn beliebt. Dass er ein Versprechen nur in einer wirklichen Zwangslage nicht halten würde.

Unausgesprochene Arbeitsteilung

Und all die anderen Krisen, die gefühlt den ganzen Erdball umrunden? Es gibt eine Arbeitsteilung, eine unausgesprochene, den Umständen geschuldete. Im Nahostkonflikt sind es immer noch die USA, auf die alle schauen, an denen sich alle abarbeiten, und die Europäer, angetrieben von den Deutschen, bieten den Beteiligten praktische Hilfe an. Wenn sie denn angenommen werden kann, die Hilfe bei einer Grenzbetreuung zwischen dem Gazastreifen und Israel oder Hilfe bei der Rückkehr der Palästinensischen Autonomiebehörde in den Gazastreifen. Das würde auch Israel helfen, und zu dieser Hilfe muss niemand Deutschland antreiben. Das muss ihm keiner sagen, ihm als dem deutschen Außenminister. Er sagt es ähnlich, nur freundlicher.

Der Irak als Thema bleibt auch, bleibt ihm auch. Es ist mit ihm verbunden, seit Deutschland in Person von Gerhard Schröder die Beteiligung am Irak-Krieg des George W. Bush ablehnte. Und heute, da es einen Irak-Krieg des Barack Obama geben könnte? Es sind schon Expertenstimmen zu hören, die eine Beteiligung der Deutschen an Luftschlägen gegen die Krieger des „Islamischen Staats“ fordern, eher als Waffen zu liefern. Dazu fragt Steinmeier: Warum etwas anbieten, was gar nicht gefragt ist? Das ist seine diplomatische Formel für: Kommt nicht infrage.

Gefragt sind Waffen

Gefragt sind Waffen, Steinmeier weiß auch genau, welche, und er weiß, dass die Unterscheidung zwischen letalen und nicht letalen im Praktischen schwierig ist. Ein gepanzertes Fahrzeug kann dem Schutz dienen – und dem Angriff. Gerade in dieser Region sind die Grenzen fließend. Steinmeier kann es gut erklären, auch Kollegen, im Inland wie im Ausland, abseits des Kabinettstischs.

Im Ausland… Und im Inland, überall gibt es Kollegen von ihm, Kollegen als Minister oder Kollegen als Bundestagsabgeordnete, die denken, jetzt sollte einer wie Steinmeier die europäische Außenpolitik repräsentieren. Nicht noch einmal eine Catherine Ashton, sagen sie und meinen damit: keine Federica Mogherini. Sie ist seit kurzem Italiens Außenministerin und Kandidatin für Ashtons Nachfolge als „Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik“ in Brüssel. Von Steinmeier ist kein böses Wort über sie zu hören, immerhin ist Mogherini Kollegin. Dafür der Satz: „Ich bin gerne und mit Leidenschaft deutscher Außenminister.“

Und wieder herrscht einen Moment Stille, mitten in einem der Zentren der Macht. Jetzt kann sich jeder seinen Teil denken. Das ist Diplomatie.

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.

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