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Ungarn und die USA Orbán treibt es zu weit

Mit Ansage führt Ungarns Premier Orbán sein Land aus der Demokratie in den Autoritarismus. Den USA wird das zu viel, sie verhängen Einreisestopps. Berlin und Brüssel könnten folgen.
Ungarns Regierungschef Orbán: Systematische Verletzung der Grundwerte

Ungarns Regierungschef Orbán: Systematische Verletzung der Grundwerte

Foto: Geert Vanden Wijngaert/ AP

Péter Szijjártó ist dem ungarischen Regierungschef Viktor Orbán ergeben - er gilt als dessen "Schatten". Schon als Schüler träumte er davon, einmal "ganz nahe mit Orbán zusammenarbeiten zu können" - mit 28 Jahren hatte er das Ziel erreicht: 2006 wurde Szijjártó Sprecher von Orbáns Partei Fidesz. Keine noch so demütigende Geste des "Chefs" mache ihm etwas aus, lästert man seitdem in Parteikreisen.

Inzwischen ist Szijjártó, 35, Außenminister Ungarns. Am Dienstag musste er sich mal wieder maßregeln lassen. Allerdings nicht von seinem Idol. Stattdessen hatte Szijjártó in Washington Victoria Nuland getroffen, im US-Außenministerium als Abteilungsleiterin für Europa und Eurasien zuständig. US-Außenminister John Kerry wollte ihn nicht empfangen. Thema des Gesprächs mit Nuland: US-Einreisesperren für hochrangige ungarische Personen und die Demokratiedefizite in Ungarn, etwa in Sachen Pressefreiheit.

Auch anderswo ging es am Dienstag um Orbáns Demokratieverständnis: bei einer Plenardebatte im Europaparlament, der fünften innerhalb der letzten vier Jahre, die sich um die Zustände in Ungarn dreht. Die Europaparlamentarier erörterten, wie die EU besser und schneller auf eine systematische Verletzung ihrer Grundwerte, wie sie in Ungarn geschieht, reagieren kann.

Sprecher Péter Szijjártó: Er gilt als "Schatten" des ungarischen Premiers

Sprecher Péter Szijjártó: Er gilt als "Schatten" des ungarischen Premiers

Foto: imago

Orbán will "illiberalen Staat" aufbauen

Die internationale Politik blickt also wieder auf Orbán, nachdem es zuletzt stiller um ihn geworden war. Anlass ist sein offen antidemokratisches Walten. Nach einem neuerlichen Zweidrittelwahlsieg im Frühjahr hatte Orbán in einer programmatischen Rede im Parlament die Opposition für nichtig und sämtliche Grundsatzdebatten für beendet erklärt.

"Ich werde jede Politik, die das tausendjährige Ungarn auf dem Altar der Vereinigten Staaten von Europa opfern will, als gefährlich für das ungarische Volk und als extremistisch betrachten", so der Premier.

Im Juli dann kündigte der Regierungschef das Ende der liberalen Demokratie in seinem Land an und erklärte, in Ungarn werde ein "illiberaler Staat" aufgebaut. Einige Wochen später veranstaltete die Regierung Razzien gegen unliebsame NGOs - Orbán hatte sie zuvor als "vom Ausland bezahlte politische Aktivisten" bezeichnet.

"All das war bisher eher ein Thema in den Medien, in zivilen Vereinigungen oder in Thinktanks", sagt Attila Ara-Kovács, einer der renommiertesten außenpolitischen Publizisten Ungarns. "Jetzt wird es auch von der US-Führung aufgegriffen. Und das scheint erst der Anfang zu sein. Brüssel und Berlin werden wohl bald folgen, wenn Orbán nicht auf die Kritik reagiert."

Kritik an Orbán hatte auch US-Präsident Barack Obama Ende September geäußert - und zwar deutlich. In einer Rede während einer Konferenz der "Clinton Global Initiative" stellte er Ungarn in eine Reihe mit Russland, China, Venezuela, Aserbaidschan und Ägypten. Obama sprach von permanenter Maßregelungen und Bedrohung der Zivilgesellschaft.

"Demnächst werden die Amerikaner uns noch bombardieren"

Die US-Einreisesperren für hochrangige ungarische Personen sind nun eine Antwort auf die wachsende staatliche Korruption in Ungarn. Vorerst geht es um sechs regierungsnahe Personen, deren Namen US-Behörden bisher nicht nennen. Unter anderem soll es um Schmiergeldforderungen an US-Firmen und massiven Mehrwertsteuerbetrug gehen.

"Wenn sich dieser Trend fortsetzt, kann er ein Niveau erreichen, auf dem die USA mit Ungarn als Verbündetem nicht mehr kooperieren können", sagte dazu der geschäftsführende US-Botschafter in Budapest, André Goodfriend.

Unter den Betroffenen könnten, wie ungarische Medien spekulierten, die Leiterin des Nationalen Steuer- und Zollamts (NAV), Ildikó Vida, und Orbáns Chefberater Árpád Habony sein. Außerdem der Direktor des Fidesz-Thinktanks Századvég, Péter Heim, sowie der Minister für nationale Entwicklung, Miklós Seszták, der vor einigen Jahren bei der Gründung Hunderter Briefkastenfirmen anwaltlich tätig war.

"Demnächst bombardieren sie uns"

Egal, ob sich diese Namen bestätigen - es ist ein beispielloser Fall: Noch nie haben die USA gegen ein osteuropäisches EU-Land eine derartige Maßnahme ergriffen. Sie ist aus Sicht der US-Regierung begründet: Fidesz-Oligarchen beherrschen einen beträchtlichen Teil der ungarischen Wirtschaft, parteinahe Unternehmer gewinnen häufig öffentliche Ausschreibungen, staatliche Lizenzen und Pachtverträge für landwirtschaftliche Flächen. Ermittlungen in einem Skandal um systematischen, milliardenschweren Mehrwertsteuerbetrug, den letztes Jahr ein NAV-Mitarbeiter öffentlich gemacht hatte, versandeten.

Führende Fidesz-Politiker kommentierten die US-Einreisesperren wütend. Fraktionschef Antal Rogán fragte sich, ob sie "ernst gemeint oder ein Witz" seien. Der Europaparlamentarier Tamás Deutsch, ein alter Orbán-Freund, witzelte: "Demnächst werden die Amerikaner uns noch bombardieren."