Deeskalation mit Nato-Truppenübungen in der Ukraine?

In der Ukraine kann jederzeit wieder der volle Krieg ausbrechen

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Wenn man ständig fordert, dass Russland erst einmal deeskalieren muss, um die eigene Politik zu ändern, dann mutet seltsam an, wenn die Nato nun gerade auf dem Truppenübungsplatz Jaworow in der Westukraine das Rapid Trident-Manöver gestartet hat. Das ist unter den gegenwärtigen Bedingungen des Konflikts zwischen dem Westen und Russland gleichzeitig als Warnung als auch als Provokation zu sehen. Zwar findet die Übung jährlich statt, aber dass sie auch jetzt stattfinden muss, ist ein deutliches Zeichen, dem alle beteiligten Staaten zugestimmt haben. Schließlich hätte man sich auch in einem anderen Land abhalten können. Deutsche Soldaten wirken mit, aber auch Soldaten von Aserbeidschan, Polen, Litauen und Lettland. Natürlich sind Soldaten aus der Ukraine beteiligt, aber auch aus Georgien und Moldawien. Zudem finden noch weitere Übungen statt.

Dass Russland auf diesen Stinkefinger sauer reagiert, ist erwartbar und gewollt. Moskau erklärte, die Übung könne die Spannungen vergrößern und den Waffenstillstand gefährden. Das hindert Russland nicht daran, seine Truppenpräsenz auf der Krim auszubauen, einen neuen, durchaus auch provokativ gemeinten Hilfskonvoi in die Ostukraine zu schicken, Lugansk mit Strom zu versorgen und gleichzeitig die Militärpräsenz in der Arktis auszubauen. Aufgrund der gewaltigen Ressourcen und der neuen Schifffahrtswege wird sich hier ein gefährlicher Konflikt entwickeln, wenn es nicht wieder zu Gesprächen und Absprachen zwischen der Nato und Russland kommt, die auch dringend für ein völkerrechtskonformes Vorgehen gegen den Islamischen Staat in Syrien wären.

Bereitschaft dazu scheint seitens der Nato nicht vorhanden zu sein, während auch die EU und die USA durch neue Sanktionen eher auf Eskalation zu setzen scheinen. Unter welchen Bedingungen diese beendet werden, bleibt hingegen unklar, so dass auch die gemäßigten Länder in einer Sanktionsspirale gefangen sind. Die Lage in der Ostukraine ist trotz des anhaltenden Waffenstillstands höchst instabil. Die gegnerischen Verbände nutzen die Pause, um sich strategisch besser zu positionieren, wenn die Kämpfe wieder beginnen sollten, zudem gehen einzelne Scharmützel auf beiden Seiten weiter.

OSZE-Beobachter sind am Sonntag nach einem Besuch der Absturzstelle von MH-17 auf dem Weg nach Donezk beschossen worden. Beide Seiten geben jeweils der anderen die Schuld. Die Beobachter fuhren offenbar durch ein umkämpftes Gebiet. Nach Aleksandr Zakharchenk, dem Führer der "Volksrepublik" hätten die Ukrainer zu schießen begonnen, man habe nur das Feuer erwidert und eine Mörser-Batterie zerstört. Die OSZE-Beobachter hätten nicht gesagt, welche Route sie fahren werden. Nach dem Bericht der OSZE sei die Fahrt ständig mit beiden Seiten vereinbart worden. Aus diesem geht hervor, dass um Donezk, aber auch um Mariupol permanent gekämpft wird. Offenbar nehmen die Kämpfe zu, auf beiden Seiten finden Truppenverschiebungen statt. Die OSZE-Beobachter beschuldigen die Separatisten nur, die an einem Kontrollpunkt nicht durchgelassen und sie wieder in das Kampfgebiet zurückgeschickt zu haben, aber sie machen klar, dass offenbar Artilleriebeschuss von Seiten der ukrainischen Streitkräfte erfolgt ist. Eines der beiden Fahrzeuge war so schwer beschossen worden, dass die Beobachter nur in einem Fahrzeug weiterfahren konnten. Nach Gesprächen mit beiden Seiten sind sie mit einer Eskorte von Separatisten dann in die "Volksrepublik" gefahren. Die OSZE ruft dringlich beide Seiten auf, den Waffenstillstand einzuhalten. In den letzten 48 Stunden hätten sich die Verletzungen vervielfacht.

Auf beiden Seiten dürfte Interesse bestehen, durch Provokation die andere Seite für eine Verletzung verantwortlich zu machen und den Krieg voll wieder beginnen zu können. Während die Separatisten hoffen, Russland direkter einbeziehen zu können, setzen die ukrainischen Nationalisten darauf, die Nato in den Konflikt weiter zu engagieren, um dann, wie das Ministerpräsident Jezanjuk fordert, das Kriegsrecht verhängen zu können. Mauerpropagandeur Jazenjuk hat mit anderen rechten Nationalisten eine neue Partei, die Volksfront, gegründet, in der auch Kommandeure von Milizen ganz vorne mitmischen. Man hofft damit, die Kritik an den Ultrarechten wie der Swoboda-Partei oder dem Rechten Sektor unterlaufen zu können, während man sich als nationale Partei präsentiert, die nicht dem Willen von Oligarchen wie Poroschenko oder Timoschenko unterworfen ist. Dabei arbeitet man daran, den Reichtum der Oligarchen möglichst wenig zu schmälern. Ansonsten entschuldigt man alles, weil man sich eben im Krieg mit Russland befinde.

Im Augenblick sieht es so aus, als wäre die einzige Hoffnung für die Ukraine Präsident Poroschenko, ein Oligarch, Mitglied der Elite, die schon seit Jahren das Land unter wechselnden Regierungen und Parteimitgliedschaften führt. Poroschenko war etwa unter Janukowitsch Wirtschaftsminister und hat in der Zeit keine großen Veränderungen bewirkt. Jetzt aber fährt er gegen die Falken in der Westukraine eine gemäßigte Politik, die auf Verständigung mit Moskau und den mit der Post-Maidan-Regierung hadernden Menschen in der Ostukraine setzt. Ob ausgerechnet ein Oligarch die Wirtschafts-, Steuer- und Finanzpolitik so ändert, dass eine Demokratie eine Chance hat, ist fraglich, aber offenbar gibt es in der Ukraine kein starkes unabhängiges Lager, dass Reformen und eine friedliche Lösung anstrebt.

Immerhin versucht Poroschenko weiter, Möglichkeiten auszuarbeiten, die Menschen in der Ostukraine nicht weiter als Terroristen auszugrenzen, sondern eine größere Selbständigkeit der Region zu ermöglichen. So setzt er weiterhin auf vorgezogene Kommunalwahlen und einen Sonderstatus für Donezk und Lugansk, an denen auch Separatisten teilnehmen können. Zudem will er eine Amnestieregelung auch für Angehörige der Separatistenmilizen umsetzen, wenn sie sich ergeben, ihre Waffen abliefern und keine Gebäude mehr besetzen. Allerdings schreckt Poroschenko zurück, ebendies auch für die Milizen auf der westukrainischen Seite zu fordern. Die EU wiederum macht nicht klar, welche politische Option sie befürwortet, was eben auch heißt, dass sie die rechten Kräfte duldet.