Es war ein ungewöhnlicher Schulterschluss, der sich an diesem Mittwochmorgen in einem Hotel in Berlin vollzog: Die Mittelstandsvereinigung der Union (MIT) und ihr Gegenstück – die Arbeitnehmervereinigung der Partei (CDA) – hatten geladen, um einen gemeinsamen Antrag für den CDU-Parteitag im Dezember vorzustellen.

Eine derartige Aktion habe es seit zehn Jahren nicht gegeben, betonten die beiden Vorsitzenden Carsten Linnemann (MIT) und Karl Josef Laumann (CDA). Doch nun habe man ein gemeinsames Interesse entdeckt: den Abbau der kalten Progression. Der müsse noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden, forderten die Vertreter von Wirtschafts- und Arbeitnehmerflügel.

Bisher habe die große Koalition mit ihren Beschlüssen den Sozialstaat vor allem ausgedehnt, begründete Linnemann den Vorstoß. Jetzt müsse es endlich einmal darum gehen, den "fleißigen Menschen", die mit ihren Steuern und ihren Sozialabgaben diesen Sozialstaat trügen, auch etwas zurückzugeben.  

Modell Steuerbremse

Das sieht im Prinzip auch CDA-Chef Karl-Josef Laumann so, auch wenn er die Sache ein wenig anders begründet. Ihm gehe es, sagte er, auch darum, die Tariftreue zu stärken. Denn nur wenn die Menschen von tarifvertraglichen Einigungen auch profitierten, würden sie dauerhaft Sinn in diesen sehen.

Beide setzen sich deshalb nun für das Modell einer Steuerbremse ein. Diese sieht vor, dass der Einkommenssteuertarif spätestens ab 2017 jährlich automatisch an die Inflation angepasst wird. Derzeit kann nämlich bereits eine Lohnerhöhung, die nur die Inflation ausgleicht, faktisch zu einer Steuererhöhung führen. Im Zweifelsfall kann so die Kaufkraft trotz des zusätzlichen Geldes sogar sinken. 

Das soll künftig ausgeschlossen werden. Anteile an Lohnerhöhungen, "die nur der Lebensstandardsicherung dienen, wollen wir keiner Steuerprogression unterwerfen", sagte Laumann. Und rechnete vor: Eine Krankenschwester mit einem Kind, die derzeit 35.000 Euro im Jahr verdiene, müsste – wenn die Erleichterung 2017 in Kraft trete, 75 Euro weniger Steuern zahlen.  Insgesamt werde der Abbau der kalten Progression im ersten Jahr etwa eine Milliarde Euro kosten, so Linnemann.

Konflikt mit der Parteispitze

Unterstützung bekommen Laumann und Linnemann auch von der CSU. Deren Chef Horst Seehofer hat sich ebenfalls für einen schnellen Abbau der kalten Progression ausgesprochen. Auch in der CDU-Spitze hat zwar im Prinzip niemand etwas gegen dieses Vorhaben, sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel als auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble haben sich in der Vergangenheit aber stets sehr skeptisch zu den Möglichkeiten geäußert, den Plan noch in dieser Legislaturperiode umzusetzen. Auch CDU-Generalsekretär Peter Tauber hatte erst am Montag nach einer Präsidiumssitzung erklärt, es mache wenig Sinn, dieses Vorhaben aufzugreifen, solange es dafür keine Mehrheit im Bundesrat gebe.

Tatsächlich war der Abbau der kalten Progression bereits zu schwarz-gelben Zeiten geplant, scheiterte aber am Widerstand der Länder. Nicht nur dem Bund sondern auch ihnen entgingen dadurch nämlich Steuereinnahmen. Und auch Schwarz-Rot hat derzeit keine Mehrheit in der Länderkammer. Dass es mit einem Beschluss auf dem CDU-Parteitag – selbst wenn es diesen geben sollte – deswegen nicht getan ist, ist auch Laumann klar. Danach müsse das Thema in die Landesparlamente getragen werden, sagte er.