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SPD-Wahlschlappe in Thüringen Gabriels Eingreifen verärgert Genossen

Das Thüringer Wahlergebnis sorgt für Unruhe in der SPD. Im Präsidium gibt es Unmut über die Einmischung von Parteichef Gabriel. Der wiederum schaut mit Sorge auf die Verhältnisse in Erfurt - und die schwierige Rolle seiner Partei.
SPD-Chef Gabriel: Wie geht es weiter in Erfurt?

SPD-Chef Gabriel: Wie geht es weiter in Erfurt?

Foto: Stephanie Pilick/ dpa

Berlin - Früher, da war Sigmar Gabriel für manches Späßchen zu haben. Inzwischen ist er Vizekanzler und verhält sich vorwiegend staatstragend. So auch nach der Landtagswahl in Thüringen. Dort, sagte der SPD-Vorsitzende, brauche es jetzt "eine stabile Regierung". Wer wollte da widersprechen?

Das Problem ist, dass das nicht so einfach wird mit der stabilen Regierung: In Thüringen haben die Wähler den Parteien ein besonders kompliziertes Ergebnis mit auf den Weg gegeben. Sowohl Schwarz-Rot als auch das Experiment Rot-Rot-Grün hätten eine Stimme Mehrheit im Erfurter Parlament - nicht gerade ein komfortabler Vorsprung.

Wie es jetzt weitergehe, werde natürlich allein der Landesverband entscheiden, sagt Gabriel. Das ist putzig, denn noch am Wahlabend hatte er sich eingemischt in die Thüringer Belange. Gabriel beschwerte sich über machtpolitische Unklarheiten der Erfurter Genossen und forderte einen "Neuanfang", zudem soll er angeblich dafür gesorgt haben, dass der bisherige Landeschef Christoph Matschie ausgetauscht wird.

Damit zog Gabriel sich den Unmut führender Genossen zu. In der Präsidiumssitzung am Montag warfen ihm nach SPIEGEL-ONLINE-Informationen gleich mehrere Sozialdemokraten unsolidarisches Verhalten vor, darunter auch Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke. Selbst Gabriel-Freunde sind der Meinung, der Parteichef sei zu weit gegangen.

Allerdings: Aus Bundessicht ist die Lage in Thüringen tatsächlich sehr ärgerlich. Nach dem mit 12,4 Prozent katastrophalen Ergebnis und der völlig unkalkulierbaren Perspektive drohen alte Debatten neu aufzuflammen: Über das Verhältnis zur Linkspartei, über Bündnisse mit der Union, über den Kurs in Richtung 2017. Parteivize Thorsten Schäfer-Gümbel warnt bereits: "Das Problem in Thüringen kann man nicht eindimensional erklären." Kollege Ralf Stegner mahnt, "vorsichtig mit der Ursachenforschung umzugehen".

Aus Thüringen droht Unruhe

Gabriel hat die SPD in den ersten Monaten der Großen Koalition trotz Stagnation in den Umfragen recht friedlich gehalten. In Thüringen droht jetzt Unruhe, und es könnte sein, dass sie bis Berlin strahlt.

Dass eine Koalition unter Bodo Ramelow stabile Verhältnisse in Thüringen garantieren würde, das ist allein schon wegen Ramelow fraglich. Der Linke-Spitzenmann hat sich zwar im Wahlkampf so präsidial gegeben, als wolle er demnächst in Schloss Bellevue einziehen - aber wer ihn kennt, der weiß es besser: Ramelow ist, vorsichtig ausgedrückt, ein sehr temperamentvoller Mensch. Und dann mit einer Stimme Mehrheit?

Aber noch ist ja fraglich, ob sich die Genossen im Freistaat auf das Abenteuer mit der Linken einlassen wollen. Im Wahlkampf gab es bereits Warnungen altgedienter Mitglieder vor einem Bündnis mit der Nach-Nachfolge-SED, zudem fragt sich mancher: Wo soll in einer Koalition mit dem Quasi-Sozialdemokraten Ramelow noch Raum für die SPD sein?

Andererseits ist die Wut auf die CDU so groß, dass kaum Stimmen für eine Fortsetzung der Koalition mit Christine Lieberknecht mehr zu hören sind. "Schnauze voll von schwarz" lautet das Motto - dann doch lieber mit Ramelow. Abgesehen von heiklen Themen wie Verfassungsschutz oder Schuldenbremse wäre man sich inhaltlich wohl rasch einig.

Wohl auch mit den Grünen. Denen müsste man beim Umweltschutz und in der Energiepolitik entgegenkommen, dann stünden die Grünen wohl bereit für eine Koalition mit Linke und SPD: In den Gremien der Bundespartei am Montag gab es auch vom Realo-Flügel keine Einwände - allerdings immer unter der Prämisse, die Spitzenkandidatin Anja Siegesmund gebetsmühlenhaft wiederholt: "Die Inhalte müssen stimmen." Die Thüringer Grünen wollen endlich die Oppositionsbänke verlassen, aus Berliner Sicht wäre Mitregieren mit Blick auf den Bundesrat attraktiv: Hauptsache, mehr Einfluss in der Länderkammer.

SPD will Mitglieder entscheiden lassen

Die SPD wird jetzt wohl erst mal ihren Landeschef auswechseln, Erfurts beliebter Oberbürgermeister Andreas Bausewein soll Christoph Matschie nachfolgen. Bausewein gilt als Freund eines Linksbündnisses. Und dann will die SPD in beide Richtungen sondieren, um schließlich die Mitglieder zu fragen, mit welcher Seite man in Koalitionsverhandlungen einsteigen soll.

Aber selbst wenn nur stabile Verhältnisse das Ziel wären, wie es sich Bundeschef Gabriel wünscht: Die würde es auch mit der CDU nicht geben. Vor fünf Jahren brauchte Lieberknecht drei Wahlgänge im Landtag, um Ministerpräsidentin zu werden - trotz einer komfortablen Mehrheit. Und seitdem hat sie sich auch im eigenen Laden neue Feinde gemacht: Beispielsweise die von Lieberknecht als Staatskanzleichefin geschasste Marion Walsmann, die es nur per Direktmandat ganz knapp wieder ins Parlament schaffte - einen vorderen Listenplatz hatte ihr die Landes-CDU unter Vorsitz der Regierungschefin verwehrt.

Die CDU wirbt schon um die SPD. Lieberknecht versucht inzwischen sogar, zusätzlich die Grünen mit einem sogenannten "Afghanistan"-Modell zu locken. Für Lieberknecht geht es auch um ihren Kopf, in der Opposition wäre wohl Fraktionschef Mike Mohring die neue starke Figur.

Afghanistan - das wäre eine rechnerisch stabile Mehrheit. Aber die Grünen stehen dafür nicht ernsthaft zur Verfügung. Und in der Thüringer SPD ist die Lust auf eine abermals CDU-geführte Regierung offenbar sehr gering - Stabilität hin oder her.