Gastautor / 18.12.2014 / 16:40 / 5 / Seite ausdrucken

Pegida ist nur ein stummer Schrei nach Liebe

Oliver Jeges

Seit Wochen nun schon laufen besorgte Bürger durch die Innenstadt Dresdens und protestieren gegen die “Islamisierung des Abendlandes”. Das ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Der letzte Versuch einer Islamisierung des Abendlandes liegt mehr als dreihundert Jahre zurück. Bei der Schlacht am Kahlenberg in Wien haben die Österreicher die Heere des Osmanischen Reiches erfolgreich in die Flucht geschlagen und alles flussaufwärts der Donau vor den Invasoren bewahrt.

Bis nach Sachsen haben es die Türken also nicht geschafft. Wären sie allerdings bis an die Ufer der Elbe vorgedrungen, hätten sie vermutlich schnell wieder Kehrt gemacht: keine Rasseweiber, öde Landschaften, kaum Gewürze und nirgends Bodenschätze weit und breit. Das wertvolle Porzellan aus China holte sich König August der Starke erst einige Jahrzehnte später und in Meißen wusste man auch noch nichts mit Keramik anzufangen. Keine Türken im Kurfürstentum Sachsen also, die über die schönen Dragonervasen hergefallen wären.

Bemerkenswert ist auch, dass Sachsen eines der Bundesländer mit dem geringsten Anteil von Muslimen an der Bevölkerung ist. Eine stillgelegte Salem-Zigarettenfabrik ist heute die Yenidze-Moschee. Statt hässlicher Schornsteine schmücken hübsche Minarette das Gebäude. Eine Win-Win-Situation für Copyright-Dresdner wie Islam-Sachsen. Durch die sogenannte “Islamisierung” bekommen wir eben nicht nur Ehrenmorde, Schleiereulen und Terroristen, sondern auch Orient-Architektur, Hamam-Bäder und Weltklasse-Fußballer. Alles hat seine guten und schlechten Seiten. Die Islamisierung macht da keine Ausnahme.

Und doch wächst Pegida stetig. Sie scheinen sich nach dem Prinzip der Zellteilung zu vermehren. Erst 5.000, dann 10.000, wohl bald 20.000 Teilnehmer. Die Organisatoren der sozialen Bewegung sind teils dubiose Gestalten, teils aber auch ehrlich besorgt wirkende Bürger. Unter allen möglichen Protestgattungen (Sitzstreik, Hungerstreik, Menschenketten, Online-Petitionen) haben sich die Pegidas die wohl ungeeignetste ausgewählt: den Schweigemarsch. Für eine Truppe, die aus Menschen mit starken Meinungen besteht, wie man diversen Berichten entnehmen kann, eine eher suboptimale Strategie. Denn bis heute weiß keiner so richtig, worum es den Angsthasen aus Dresden denn nun genau geht. Sie reden ja nicht mit den “Mainstream-Medien”.

Die ganze Bundesrepublik fragt sich inzwischen, warum um Himmels willen es die Menschen zur Winterszeit denn jeden Montag in die Kälte zieht. Sie könnten gemütlich ihrem Abendlandfetisch frönen und auf dem Weihnachtsmarkt Glühwein trinken, stattdessen ziehen sie gegen eine Bedrohung zu Felde, die es nicht gibt. Doch das ist im Grunde nebensächlich.

Demonstrationen müssen nicht zwingend etwas mit der Wirklichkeit zu tun haben. Vor einigen Monaten protestierten einige Umweltschützer in Wien gegen die Delfinjagd. Ein nobles Anliegen. Doch das letzte Mal, als ich in Wien war, gab es dort keine Delfine. Ich glaube, das ist immer noch so. Für einige ist das kein Hindernis, gegen den Delfinfang zu protestieren. Egal, was man nun von Deflinjägern hält – die Demo gegen sie ist absolut legitim, unabhängig davon, wie man selbst dazu steht. Und auch total egal, ob es um nicht existierende österreichische Delfine oder sehr wohl existierende japanische Delfine im Pazifik geht.

Das Demonstrationsrecht gilt in Deutschland als Grundrecht, das in Artikel 8 des Grundgesetzes geregelt ist. Da heißt es: (1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. (2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Eingeschränkt werden können Demos dann, wenn dadurch die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet ist. Was man bei den Heinzelmännchen von Pegida bezweifeln kann. Auf ihren Plakaten heißt es zum Beispiel “Gewaltfrei und vereint gegen Glaubenskriege auf deutschem Boden” oder auch “Gegen religiöse Intoleranz”. Das klingt ganz vernüftig, wiewohl es einem Antinationalisten wie mir bei der Formulierung “deutscher Boden” sauer aufstößt. Vielleicht ist der Slogan einfach nur unglücklich formuliert.

Jetzt wollen die Dresdner sich also das Abendland zurückholen, das ihnen der Sachse Friedrich Nietzsche einst mit dem philosophischen Hammer kaputt gehauen hat. Hitler und Himmler wollten daraufhin den Deutschen mehr Raum im Osten Europas verschaffen, Ulbricht und Honecker den Osten Deutschlands nach außen abriegeln. Beide Vorhaben sind zum Glück kolossal gescheitert. Das einzige was funktioniert, ist eine offene Gesellschaft, nach innen wie nach außen. Wer im Jahr 2014 etwas verteidigen will, der sollte Freiheit und Toleranz verteidigen, und nicht ein wie auch immer geartetes Abendland, das sich im Übrigen sowieso schon längst selbst überlebt hat. 

Andererseits, so skurril die Pegida-Bewegung auch sein mag – sie ist auch vollkommen legitim. Insbesondere, wenn man sich ansieht, wie in diesem Land mit anderen Demonstrationen umgegangen wird. Vor etwas mehr als zwei Jahren, im Mai 2012, stach bei einer Salafisten-Demo in Bonn ein Mann auf einen Polizisten ein. Die Öffentlichkeit war sich hinterher weitgehend darüber einig, dass der Messerstecher natürlich ein Verrückter sei, man aber deswegen nicht alle Salafisten in einen Topf werfen dürfe. Es gebe ja auch Salafisten, die einfach nur so leben wollen wie Mohammed einst in Medina, aber nicht zu Gewalt neigen.

Im Falle von Pegida hingegen ist den Beobachtern aus der Ferne sofort klar, dass es sich fast ausschließlich um Antidemokraten handle, um Fremdenfeinde und verkappte Neonazis. Zukurzgekommene, die nichts im Leben gerissen haben und nun ihren ganzen Frust vor die Semperoper hinkübeln. Das hochgehaltene Prinzip der Differenzierung gilt bei einer gewalttätigen Demo von Salafisten, nicht aber bei einem gewaltlosen Schweigemarsch von selbsternannten Abendländlern.

Eine Gesellschaft, die bei jedem Neonazi-Aufmarsch gelassen zuschaut und gegebenenfalls eine Gegendemo organisiert, und die jetzt bei Pegida kollektiv durchdreht, hat offenbar eine Schraube locker. Man darf sich durchaus fragen, wer eine größere Gefahr für den friedlichen Zusammenhalt in einer modernen Demokratie darstellt: Menschen, die ihre Anliegen in Form von friedlichen Protesten zum Ausdruck bringen – egal, ob man deren Anliegen nachvollziehbar oder verrückt findet – oder Medienschaffende, die Pegida persönlich nehmen, und mit einer Mischung aus Kränkung und Empörung reagieren.

Pegida, das ist ein stummer Schrei nach Liebe, wie ihn “Die Ärzte” vor zwanzig Jahren zersungen haben. Eine Ansammlung von Menschen, die nie gelernt haben, sich “artizukulieren”. Denen die Millionen Toten in der islamischen Welt relativ egal sind, aber Angst davor haben, in Zukunft nur noch mit Vollbart oder Burka aus dem Haus zu dürfen.

Nein, man muss die Ängste von Pegida nicht teilen. Das Recht, für ihren Irrsinn zu demonstrieren haben sie allemal. Wie Salafisten und Mahnwachler auch. Das zeichnet eine offene Gesellschaft aus. Servus, Shalom und Salam aleikum.

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Martin Wessner / 19.12.2014

Sehr geehrter Herr Jeges, Sie haben Recht. Stadtviertel wie Berlin-Prenzlauer Berg, Hamburg-Eimsbüttel, Köln-Sülz oder Düsseldorf-Oberkassel, usw.,  wo selbstbekennende “Antinationalisten” wie Sie wohnen, die werden gewiss nie “islamisiert"werden. Dafür sorgen allein schon die hohen “Unterschicht_ und Ausländer_raus”-Mietpreise, dass die gutmeinenden “alten weissen Männer” in diesen Lokationen fein unter sich bleiben. Sie können also Ihren Philanthropismus noch für viele Jahre unbeeinflusst äußer Umstände weiter frönen. Ich wünschte aber, andere, vom Leben weniger bevorteilte Menschen könnten indes auch an Ihrem Glück teilhaben. Stimmt schon, die Dresdner im Besonderen und die Sachsen, bzw. die Ostdeutschen im Allgemeinen leiden ebensowenig wie mutmaßlich Sie unter einer nachbarschaftlichen Anwesenheit eines wie auch immer gearteten “Islamismus”. Dafür haben die Pegida-Demonstranten aber zumindest keine so lichtdichte Scheuklappen aufsitzen, wie gewisse Journalisten, die meinen, weil etwas (vermeindlich)nicht möglich sein kann, weil etwas nicht möglich sein darf, dass dieses etwas deshalb dann auch nicht vorhanden ist. Wenn Wunschdenken die Realität verdrängt, dann nennt man das Ideolgie. Insofern wünsche ich Ihnen, Herr Jeges, ein ideologiefreies Weihnachtsfest, M.W.

Frank Mora / 19.12.2014

Lesen bildet Am Kahlen Berge standen die Österreicher auf ziemlich verlorenem Posten. Erst die zu Hilfe geeilten Polen unter haben die Türken entscheidend geschlagen. Woraus die Polen mit gutem Recht ihre Zugehörigkeit zu den westlichen Kulturnationen mit ableiten.

Jörn Bischoff / 19.12.2014

Wow, “sogenannte ” Islamisierung und dann zusätzlich noch Anführungszeichen. Kaum vorstellbar wie weit die Imagination von Islamisierung von der “Realitität” entfernt zu sein scheint. Jahrelang wird hier mit sachlichen Argumenten eine zumindest Teilislamisierung festgestellt oder die Gefahren dieser beschrieben. Jetzt, wo es mal konkrete friedliche Handlungen von Bürgern statt wohlfeiler Schriften gibt, wird auffällig oft dem meiner Meinung nach unreflektierten ideologischen Gegenstandpunkt der Platz eingeräumt. Die Aussage, daß vom Islam keine Gefahr für die freie Gesellschaft ausgeht ist aktuell durch die Datenlage schon widerlegt. Danke Achse, für die Zurschaustellung des Pluralismus. Dass der Nebel, von dem dieses Land durchzogen wird gar nicht existiert erklären uns doch schon jeden Tag die Leitmedien. Gratulation zur Reinwaschung. Jetzt einfach aufhören mit argumentieren, Leserschaft wechseln und alles ist in trockenen Tüchern.

Thomas Schmied / 19.12.2014

Nur eine kurze Frage: Was glauben Sie würde passieren, wenn einige tausend Menschen in wirklich islamisierten Gegenden Frankreichs, Englands oder Schwedens gegen Islamisierung demonstrieren würden? Ausserdem haben in der Schlacht am Kahlenberg in Wien nicht die Österreicher allein die Heere des Osmanischen Reiches erfolgreich in die Flucht geschlagen, sondern ein Verbund, an dem auch Polen und Deutsche beteilig waren. Ich fände es auch besser, wenn es in Europa garnicht mehr zu Schlachten kommt - oder zum Schlachten, wie es im Namen des Propheten in Syrien und dem Irak gerade wieder an ganzen Dorfpopulationen durchgeführt wird. Rechtzeitige Demonstrationen sind da eigentlich eine gute Alternative. Ich bin ein lustiger Mensch aber die Gefahren einer Islamisierung sehe ich, wenn wir uns nicht demokratisch wehren, langfristig auch bei uns und die nehme ich schon ernst - tausende Demonstranten und nach aktuellen Umfragen etwa die Hälfte der Deutschen, die das ähnlich sehen, nehme ich auch ernst. Irre sind die jedenfalls nicht alle. “Die Ärzte” habe ich mit dem genannten Lied sogar mal live gesehen, als ich mich noch an linke Denkschablonen hielt. Beim Text “Pegida ist nur ein stummer Schrei nach Liebe” runzelte sich mir einige Male die Stirn. Der Autor ist aber immerhin zur Differenzierung fähig. Mit dem gebrüllten Abschlußwort des Refrains aus dem erwähnten Ärztesong möchte ich diesen Kommentar hier deshalb nicht beenden.

Gerhard Keller / 18.12.2014

Wer ein Anliegen hat, steht letzten Endes immer dumm da. Der Spielverderber gewinnt immer. Das ist ja auch das Erfolgsgeheimnis des linksalternativen Betroffenheitsmilieus. Wer argumentiert, hat schon verloren.

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