Ausstellung über Beschneidung:Von einem winzigen Stückchen Haut

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"Drei Brüder nach ihrer Beschneidung" heißt dieses Foto aus der Serie "Türken im Ruhrgebiet". (Foto: Jüdisches Museum Berlin)

Vor zwei Jahren tobte in Deutschland eine hitzige Debatte über rituelle Beschneidung. Nun widmet das Jüdische Museum Berlin dem Thema eine Ausstellung: "Haut ab". Das Plakat ziert eine halb geschälte Banane. So provokant das wirken mag, so sehr bricht die Schau mit Stereotypen.

Von Thorsten Schmitz, Berlin

Jesus war es, Woody Allen ist es, und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist es mit Sicherheit auch: beschnitten. Rund einem Drittel der männlichen Weltbevölkerung fehlt die Vorhaut. Das Jüdische Museum Berlin widmet dem winzigen Stück Haut eine ganze Ausstellung und liefert dabei die überraschende Erkenntnis: Nicht nur Juden und Muslime können Beschneidungen etwas abgewinnen. Bis ins frühe 20. Jahrhundert war es auch unter orthodoxen Christen üblich, den 1. Januar im liturgischen Kalender als "Fest der Beschneidung des Herrn" zu feiern.

Plakat und Titel der Ausstellung wirken provokant. "Haut ab! Haltungen zur rituellen Beschneidung" heißt die Ausstellung; auf den Werbeplakaten ist eine gelbe, halb geschält Banane auf schwarzem Hintergrund zu sehen. Manche Besucher werfen dem Jüdischen Museum auf Facebook und Twitter "antisemitische Stereotype" vor; die gelbe Banane erinnere an die Farbe der "Judensterne".

Fakten-Check Beschneidung
:Harmloses Ritual oder Verletzung des Kindeswohls?

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Das Museum ist Kritik gewohnt. Bereits die Poster zur Vorgänger-Ausstellung "Was Sie schon immer über Juden wissen wollten ..." erzürnten viele Menschen. Aber zu ihrer Beruhigung: Bei beiden Ausstellungen waren die Plakate marktschreierischer als der zur Schau gestellte Inhalt.

Die "Haut ab!"-Ausstellung ist vor allem: sehr ruhig gehalten. In einer Art kulturhistorischer "Sendung mit der Maus" gibt sie sachliche Antworten, ohne hoch erhobenen Zeigefinger. Die reichen von den Regeln im jüdischen Glauben (dort findet das Ritual am achten Tag nach der Geburt statt) bis hin zu medizinischen Erwägungen des Eingriffs (wie etwa bei Phimose, einer Vorhautverengung). So weit, so bekannt.

Aber die Ausstellung bricht mit Stereotypen und lehrt, dass sich selbst Juden im frühen 18. Jahrhundert heftig darüber stritten, ob die Brit Mila, der "Bund der Beschneidung", barbarisch sei und abgeschafft werden müsse. Interessant dürfte für viele Besucher auch sein, zu erfahren, dass die bei Muslimen übliche Entfernung der Vorhaut nicht explizit im Koran steht. Auf diese Weise räumen die Kuratorinnen mit Mythen und Vorurteilen auf, ohne sie zu verschweigen. In einem Raum, der sich mit der christlichen Rezeption beschäftigt - der christliche Glaube lehnt die Beschneidung ab -, sieht man unter anderem Zeichnungen, auf denen das Beschneidungsritual dämonisiert wird.

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In Deutschland hat die Beschneidung vor wenigen Jahren eine besondere Brisanz erlangt. Im Sommer 2012 wertete das Kölner Landgericht in einem Urteil das Wohl eines Kindes höher als die Grundrechte der Eltern und löste Entsetzen im Zentralrat der Juden in Deutschland aus und auch unter den muslimischen Vereinen und Organisationen. Die Proteste führten dazu, dass der Bundestag die Bundesregierung aufforderte, eine gesetzliche Regelung zur Beschneidung auszuarbeiten, die seit Dezember 2012 gültig ist. Der Tenor: Die Eltern haben das Recht, über den Eingriff zu entscheiden.

Diese politische Debatte hatt den Kuratorinnen Felicitas Heimann-Jelinek und Martina Lüdicke den Anstoß zur Ausstellung im Jüdischen Museum gegeben. Was sie explizit nicht wollen: Mit ihr einen weiteren Kommentar abzuliefern zum Für und Wider einer Beschneidung. Sie wollen vielmehr die Wurzeln eines jahrtausendealten Rituals beleuchten und den Blick aufs Heute nicht aussparen. Im sogenannten Resonanzraum zeigen sie aktuelle Filmausschnitte und Videoclips, darunter witzige Sequenzen aus der US-Serie "South Park" oder Szenen aus dem französischen Dokumentarfilm "Circoncision", der zeigt, wie schwer sich manche Juden damit tun, ihre Söhne beschneiden zu lassen.

Mit der Künstlerinstallation "Personalausweis" endet die Schau. (Foto: Jüdisches Museum Berlin)

Kuratorin Lüdicke hätte gerne auch eine Filmszene aus "Sex and the City" gezeigt, doch die US-Produzenten erteilten dem Ansinnen eine Absage. In der Szene berichtet Charlotte ihren Freundinnen bei einem Kaffeeklatsch von ihrem jüngsten Date. Sie ist hellaufgeregt, ihre Freundinnen müssen sie regelrecht beruhigen. In den USA sind 70 Prozent aller Männer aus hygienischen Gründen beschnitten. Der Mann nämlich, der letzte Nacht nackt in Charlottes Bett lag, trug etwas, was sie noch nie in ihrem Leben gesehen hatte - eine Vorhaut.

HAUT AB! Haltungen zur rituellen Beschneidung, Jüdisches Museum Berlin, 24. Oktober bis März 2015

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