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Wie konnten die Grünen nur so früh vergreisen?

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Charisma sieht anders aus: Die grünen Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter Charisma sieht anders aus: Die grünen Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter
Charisma sieht anders aus: Die grünen Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter
Quelle: dpa
Die einst starke ökologisch-alternative Partei macht nur noch durch schlechte Wahlergebnisse und Richtungsstreit von sich reden. Schuld daran ist nicht nur das schwache Spitzenpersonal.

Die Grünen, vormals ein Kunterbunt an Meinungen, an rhetorischen Begabungen und Persönlichkeiten, sind im Bund und in vielen Ländern zu einer Partei verkommen, die historisch gesehen zwar noch jung ist, aber früh vergreist wirkt. Wo ist es geblieben, das Moussierende und Zukunftshungrige, das die Grünen besaßen? Wo sind die Nachfolger Joschka Fischers, Jürgen Trittins und Renate Künasts, jener politischen Rampensäue, denen der Pulverdampf der Debatten ein Aphrodisiakum war? Die Lust am Gewagten und an der kalkulierten Frechheit sind keine Größen mehr.

Gepflegte Langeweile und eine Art innere Dürre haben die Grünen so stark erfasst, dass man sich einige ihrer heutigen Spitzenpolitiker greifen möchte, um sie mit beiden Händen zu rütteln. Ob im Bundestag oder im Thüringer Parlament, ob in Nordrhein-Westfalen oder in Berlin, fast allerorten gewinnt man den Eindruck, die Grünen könnten nicht mehr Schritt halten mit dem Vormarsch neuer Ideen.

Einer der Gründe für die Ödnis sitzt im Kanzleramt. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat es nicht nur geschafft, sämtliche Konkurrenten der eigenen Partei zum Schweigen zu bringen, nicht nur vermocht, ihre jeweiligen Koalitionspartner inhaltlich auszulaugen, sondern sie hat auch die Grünen in Nöte gebracht. Vom Atomausstieg bis zur Familienpolitik griff sich Merkel Thema für Thema der vormals alternativen Bewegung und sorgte dafür, dass die Grünen nun so inhaltslos wirken wie die FDP kurz nach dem Rauswurf aus dem Bundestag.

Schwarz-Grün wurde vernachlässigt

Hinzu kommt die Mühsal der Ebene! Wer im Bundestag Opposition unter einer großen Koalition ist, der muss schuften, um gehört zu werden. Dennoch: Unter Fischer wäre die gepflegte Langeweile nicht ausgebrochen, der Mehltau über der Fraktion längst beseitigt. Einen maßgeblichen Teil der gegenwärtigen Schwäche haben die Grünen selbst zu verantworten.

Eingesperrt in der Gedankenwelt der 70er- und 80er-Jahre, haben sie es versäumt, die selbst errichteten Wälle ihrer Weltanschauung zur rechten Zeit abzutragen und die Union als einen möglichen Koalitionspartner zu begreifen, der ihnen zur Macht und zur Umsetzung ihrer Ideen verhilft. Viel zu spät gingen Hessens Grüne unter Tarek Al-Wazir eine Beziehung zur CDU ein. Viel zu selten erhebt dieser seine Stimme bundesweit. Und mit der Fraktionsvorsitzenden in Sachsen, Antje Hermenau, schmeißt jetzt eine Befürworterin von Schwarz-Grün entnervt hin.

Bleibt noch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Er zeigt nicht nur erfolgreich, dass ergraute Achtundsechziger auch Landesväter sein können, sondern führt mit dem Asylkompromiss vor, dass grüner Pragmatismus nicht zur Aufgabe einstiger Ideale führen muss. Doch man hat nicht den Eindruck, dass die Partei seinem Kurs folgt.

Wie sich beim jüngsten Freiheitskongress wieder zeigte: Die Partei wankt und schwankt und ist beständig auf der Suche nach einer neuen Rolle zwischen dem alten grünen Linkssein und dem grünen Linksliberalen. Man kann für die Grünen nur hoffen, dass sie ihre künftige Rolle bald finden. Die Parteienlandschaft verändert sich zügiger als früher. Schnell kann es passieren, dass die Großen von gestern die Kleinen von morgen werden – und ganz verschwinden.

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