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Energiewende Deutschland droht das Stromzähler-Chaos

Ab 1. Januar werden verstärkt intelligente Stromzähler in deutsche Haushalte eingebaut. Klare Vorgaben gibt es nicht, weil die Regierung mit entsprechenden Verordnungen im Verzug ist. Experten warnen vor chaotischen Zuständen.
Strommasten: Smart Grid seit Jahren im Verzug

Strommasten: Smart Grid seit Jahren im Verzug

Foto: A3528 Armin Weigel/ dpa

Hamburg - Bei der Energiewende droht ein neues Planungschaos. Wer ein Haus baut, größere Renovierungen in seiner Wohnung vornimmt oder mehr als 6000 Kilowattstunden Strom im Jahr verbraucht, ist laut Energiewirtschaftsgesetz ab dem 1. Januar 2015 verpflichtet, sogenannte intelligente Messsysteme einzubauen. Doch nun, gut zwei Wochen vor Ablauf dieser Frist, ist noch immer nicht klar, was so ein intelligentes Messsystem eigentlich genau können soll - und wie dieser kritische Eingriff in die Infrastruktur genau abläuft.

Intelligente Messsysteme sollen den Verbrauch in jedem Haushalt im Minutentakt feststellen und in ebenso kurzen Zeitabständen übermittelt bekommen, wie viel Strom gerade in den Netzen verfügbar ist. So soll der Verbrauch von Millionen Haushalten flexibel an das Stromangebot angepasst werden, das wegen der wachsenden Zahl von Wind- und Solaranlagen immer stärker schwankt.

Doch ein Verordnungspaket der Bundesregierung für intelligente Messsysteme ist seit Jahren im Verzug. Entsprechend ist nicht genau definiert, welche Funktionen die Geräte haben müssen und wie genau sie mit den Messsystemen anderer Hersteller zusammenarbeiten sollen.

Ebenso hat es das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) bislang versäumt, eine technische Richtlinie vorzulegen, die die Mindestanforderungen für intelligente Messsysteme lückenlos definiert. Die aktuelle Version dieser Richtlinie macht keine genauen Vorgaben, wie sichergestellt wird, dass ein intelligentes Messsystem mit jedem Stromversorger kommunizieren kann.

Auch Sicherheitsbedenken bleiben. Das BSI teilte mit, man prüfe derzeit die Geräte von sieben Herstellern, doch keiner habe bisher nachgewiesen, dass sein Gerät alle Sicherheitsvorgaben erfülle. Man habe daher noch kein intelligentes Messsystem zertifizieren können.

Verkauft werden dürfen die Geräte dennoch ab 1. Januar 2015. Denn da bis Jahresende keine klaren Vorgaben mehr für die Stromzähler fertig werden, hat sich die Bundesregierung aufs Durchwursteln verlegt. Das Kabinett habe am Mittwoch beschlossen, dass "mindestens" bis Ende 2015 auch "nicht BSI-zertifizierte Messsysteme grundsätzlich eingebaut werden können", heißt es in einer Antwort des Wirtschaftsministeriums an den Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer, die SPIEGEL ONLINE vorliegt.

Experten fürchten deshalb ein Planungschaos. "Im kommenden Jahr steht der Austausch von Hunderttausenden Zählern an", sagt Sebastian Schnurre vom Bundesverband Neue Energiewirtschaft (BNE), der die Regierung beim Thema intelligente Stromnetze seit Langem berät. "Es droht ein massiver Wildwuchs." Krischer sagt: "Dank Union und SPD rollt die Smart-Meter-Technologie inklusive aller technischen und wirtschaftlichen Chancen weiter an Deutschland vorbei."

Leidtragende sind die Verbraucher. Eigentlich sollen die intelligenten Zähler es Haushalten ermöglichen, von den schwankenden Preisen an der Strombörse zu profitieren. Wenn ein Stromüberangebot herrscht, zum Beispiel weil Wind- und Solaranlagen gerade auf Hochtouren arbeiten, würden die Preise für die Endkunden sinken, bei einer Unterversorgung steigen. Die Endkunden sollten ihren Stromverbrauch entsprechend anpassen, in stromreichen Stunden Waschmaschine, Heizung oder Wärmepumpe anschalten oder, in einer späteren Zukunft, ihr Elektroauto laden. Das könnte einerseits die Versorgung stabilisieren, die immer stärker von schwankenden erneuerbaren Energiequellen abhängt. Andererseits bekämen Verbraucher die Möglichkeit, Geld zu sparen.

Stattdessen sind manche Verbraucher nun gezwungen, sich Geräte einbauen zu lassen, die womöglich Sicherheitslücken haben. Ob sie dank der neuen Zähler Geld sparen können, ist ebenfalls ungewiss, derzeit sind die Stromtarife dazu meist zu starr. Der Aufbau einer Infrastruktur, die den Stromverbrauch stärker an die Produktion anpasst, ist ebenfalls gefährdet, da die Zähler, die 2015 eingebaut werden, die nötigen Anforderungen dafür womöglich gar nicht erfüllen.