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Ausland Neue Sanktionen

„Das ist offener Krieg gegen das russische Volk“

Anhänger der Kommunistischen Partei bei einer Demonstration in Moskau mit einer riesigen Sowjetflagge. Wegen der Sanktionen des Westens sehen Hardliner in Russland den Kalten Krieg zurückgekehrt – und ihr Land von Feinden umzingelt Anhänger der Kommunistischen Partei bei einer Demonstration in Moskau mit einer riesigen Sowjetflagge. Wegen der Sanktionen des Westens sehen Hardliner in Russland den Kalten Krieg zurückgekehrt – und ihr Land von Feinden umzingelt
Anhänger der Kommunistischen Partei bei einer Demonstration in Moskau mit einer riesigen Sowjetflagge. Wegen der Sanktionen des Westens sehen Hardliner in Russland den Kalten Krieg... zurückgekehrt – und ihr Land von Feinden umzingelt
Quelle: picture alliance / AP Photo
Bloß keine Schwäche gegenüber dem Westen zeigen: Die russischen Reaktionen auf die neuen Sanktionen schwanken zwischen Gleichgültigkeit und Wut. Die Hardliner beschwören den Geist des Kalten Krieges.

Eigene Schwäche oder Angst zu zeigen ist in Russland in allen Bereichen verpönt. Zu dieser Psychologie passt die vorgespielte Gleichgültigkeit, ja, der Übermut, mit dem Russland auf die verschärften westlichen Sanktionen reagiert. Sanktionen? Uns doch egal, haben wir kaum gemerkt!

So in etwa fiel die öffentliche Reaktion aus. In den Abendnachrichten im halbstaatlichen 1. Kanal erwähnte man am Dienstag die Sanktionen irgendwann in der zweiten Hälfte der Sendung, nachdem die Moderatorin lange und detailliert über die Kämpfe in der Ostukraine erzählt hatte. Boris Titow, der russische Ombudsmann für Unternehmerrechte, wurde mit den Worten zitiert: „Der Mittelstand wird von Sanktionen nur profitieren.“

Die Regierungszeitung „Rossijskaja Gaseta“ ignorierte die Sanktionen quasi. Auf der ersten Seite sah man am Mittwoch nur eine Ankündigung einer Geschichte aus dem Wirtschaftsteil: „Russische Anleger sollen keine Angst vor westlichen Sanktionen haben.“ Die regierungsnahe Boulevardzeitung „Moskowskij Komsomolez“ fragte sich auf der ersten Seite, ob Russland die Einfuhr von Obst und Gemüse aus der Europäischen Union verbieten soll; offiziell natürlich nicht wegen der Sanktionen – die im Text nicht erwähnt wurden –, sondern weil sie angeblich von Insekten befallen seien.

Die andere große Boulevardzeitung „Komsomolskaja Prawda“ informierte die Leser überhaupt nicht über die Entscheidung der EU und der USA. Angesichts dieser Berichterstattung dürften viele Russen am Mittwoch nicht einmal erfahren haben, dass gegen ihr Land wirtschaftliche Sanktionen beschlossen wurden.

Vizepremier: „Problem für Feinde Russlands“

Der politischen Führung ist nun vor allem daran gelegen, die russische Bevölkerung zu beruhigen. Meistens wird in Russland auf Äußerungen von Präsident Wladimir Putin gewartet, um sich dann entsprechend der Generallinie zu äußern. Doch Putin schwieg. Am Mittwoch hatte er eine Besprechung mit der russischen Regierung – ausgerechnet zu Wirtschaftsthemen. Doch Putin äußerte sich nur über die Entwicklung von regionalen Fluggesellschaften und Sonderentwicklungszonen in Asien. Aber über die Sanktionen verlor er kein Wort.

Die deutlichste Antwort auf die Sanktionen des Westens kam am Mittwoch aus dem Außenministerium. Der „verantwortungslose Schritt“ werde unweigerlich einen Preisanstieg auf dem europäischen Energiemarkt zur Folge haben, teilte es mit.

Weitere Reaktionen auf die Strafmaßnahmen des Westens kamen von politischen Hardlinern. Vizepremier Dmitri Rogosin twitterte am Mittwochmorgen, die Sanktionen gegen das Staatsunternehmen Vereinigte Korporation für Schiffbau seien ein Zeichen dafür, dass Moskaus militärische Schiffbauindustrie „ein Problem für Feinde Russlands wird“. Auch wenn Frankreich zugesagte Mistral-Kriegsschiffe nicht liefern werde, werde Russland in der Lage sein, selbst solche Schiffe zu bauen, erklärte er später am Tag.

Spätestens in drei Jahren werde die russische Rüstungsindustrie komplett unabhängig von den Importen sein, kündigte Rogosin an. Die Unabhängigkeit von ausländischen Lieferanten und den damit verbundenen politischen Risiken hatte Putin bereits am Montag gefordert. Das seien „Schlüsselfragen der militärischen und wirtschaftlichen Sicherheit Russlands, unserer technologischen und industriellen Unabhängigkeit“, erklärte der Präsident.

Assoziationen mit dem Kalten Krieg

Wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Westen zu erlangen dürfte nicht nur mit Blick auf die Rüstungsindustrie Russlands künftiger Kurs sein. Erinnerungen an den Kalten Krieg werden wach – und der Mythos von Russland, das von allen Seiten von Feinden umzingelt wird. Die Kommunistische Partei, die in der Ukraine-Krise völlig auf der Seite des Kreml steht und sogar die Rolle eines radikalen Vorreiters spielt, preschte nun erneut vor. So sagte der Vizesprecher des russischen Parlaments, der Kommunist Iwan Melnikow: „Die US-Sanktionen sind keine Sanktionen, das ist ein offener Krieg gegen das russische Volk.“

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Sein Parteigenosse Wjatscheslaw Tetekin aus dem Verteidigungsausschuss sprach vom Kalten Krieg, der nie zu Ende gewesen sei. „Der Westen ist ein Raubtier. Er wittert den Blutgeruch.“ Jedem Zugeständnis Russlands würden Forderungen nach weiteren Zugeständnissen folgen. Würde die russische Führung jetzt Schwäche zeigen, würde nach der Ostukraine die Frage nach der Rückgabe der Krim gestellt, sagte Tetekin.

Der stellvertretende Leiter der Wirtschaftsausschusses, Michail Jemeljanow von der Partei Gerechtes Russland, forderte als Antwort auf die Sanktionen, die Einfuhr von Waren aus der EU und den USA nach Russland einzuschränken. Bereits am Mittwoch wurde die Einfuhr von Obst und Gemüse aus Polen verboten. Weitere Schritte werden noch überlegt.

Mehrere Abgeordnete aus der Regierungspartei Geeintes Russland schlagen vor, den Begriff „Aggressorstaat“ gesetzlich zu verankern; das wären auch Länder, die gegen Russland Sanktionen verhängen. Unternehmen aus solchen Ländern wäre es verboten, Beratungsdienstleistungen in Russland zu verkaufen. Betroffen wären die größten Beratungsunternehmen wie McKinsey oder PwC.

„Sieben Plagen – eine Antwort“

Nach dem Absturz von Flug MH17 ist die Verschärfung der Sanktionen gleichwohl keine Überraschung für Russland. Bereits im Vorfeld hatte sich Moskau demonstrativ unbeeindruckt von der entsprechenden Drohung gezeigt. Außenminister Sergej Lawrow sagte am Montag, er verstehe nicht, welche Änderung der Politik der Westen von Russland wolle. Wenn weitere Sanktionen kämen, würde Russland nicht „in Hysterie verfallen“ und außerdem „mit einem Schlag auf den Schlag“ antworten, erklärte der Außenminister.

Die Sanktionen schaden allerdings der russischen Wirtschaft, die im Unterschied zur Zeit der Sowjetunion mit der globalen Wirtschaft eng verbunden ist, stark. Vor allem der Finanzsektor ist hart betroffen. Die Wirtschaftsvertreter, die ohne Zweifel am besten verstehen, welche Folgen die Einschränkungen für Russland haben werden, sind am meisten besorgt. Ex-Finanzminister Alexej Kudrin warnte in der vergangenen Woche vor einer Rezession und kritisierte die antiwestliche Rhetorik. „Wir leben in einer Welt, in der man von den besten Leistungen lernen kann. Das ist eine Möglichkeit für die schnelle Modernisierung Russlands“, sagte er. Die Einschränkungen von Beziehungen zum Westen würden aber diese Modernisierung bremsen.

Allerdings haben die liberalen Wirtschaftsexperten kaum Einfluss auf die russische Außenpolitik. Auch in der Regierung sind die liberalen Minister des Wirtschafts- und Finanzblocks vor allem damit beauftragt, den Schaden der Sanktionen zu minimieren. Der erste Vizepremierminister Igor Schuwalow kommentierte die neuen Sanktionen lediglich mit einem Sprichwort: „Sieben Plagen – eine Antwort.“ Das sagt man in Russland, wenn man etwas riskiert und zeigen will, dass es nicht mehr darauf ankommt, mit wie vielen Problemen man es zu tun bekommt.

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