Politik

Anfeindungen erzeugen "Exodus" Frankreichs Juden fliehen nach Israel

Antijüdische Vorfälle wie auf diesem Friedhof im Elsass mehren sich in Frankreich.

Antijüdische Vorfälle wie auf diesem Friedhof im Elsass mehren sich in Frankreich.

(Foto: REUTERS)

Frankreich ist Heimat von Europas größter jüdischer Gemeinde. Doch von dieser wählen jüngst wegen zunehmendem Antisemitismus immer mehr Menschen den Weg nach Israel - sie fühlen sich dort im Raketenhagel sicherer als auf den Straßen von Paris.

Der an den Hitler-Gruß erinnernde "Quenelle-Gruß", hier vor einem Auftritt des Komikers Dieudonné in Nantes, gilt als Anzeichen zunehmender Akzeptanz von Judenfeindlichkeit in Frankreich.

Der an den Hitler-Gruß erinnernde "Quenelle-Gruß", hier vor einem Auftritt des Komikers Dieudonné in Nantes, gilt als Anzeichen zunehmender Akzeptanz von Judenfeindlichkeit in Frankreich.

(Foto: picture alliance / dpa)

"Tod den Juden" sollen die Angreifer gerufen haben, als sie auf das jüdische Restaurant im Marais-Viertel mitten im Stadtzentrum von Paris zustürmten. Jüdische Aktivisten hätten das Lokal geschützt, bis die Polizei eintraf, berichtete erschüttert eine Augenzeugin der Attacke vom Mittwochabend. Es war einer aus einer ganzen Reihe antisemitischer Angriffe der jüngsten Zeit in Frankreich. Nicht zuletzt deshalb wandern immer mehr französische Juden nach Israel aus - sie fühlen sich dort selbst im Raketen-Hagel sicherer als auf den Straßen von Paris.

Erst vor wenigen Tagen kamen erneut 430 jüdische Einwanderer aus Frankreich in Israel an - trotz der israelischen Offensive im Gazastreifen und trotz hunderter Raketen, die von den Palästinensern auf israelisches Territorium abgefeuert wurden. Mit diesen Neuankömmlingen stieg die Zahl französischer Einwanderer seit Jahresbeginn auf über 3000. Im ganzen Jahr 2013 waren 3280 französische Juden ausgewandert, was bereits ein Anstieg um mehr als 70 Prozent gegenüber dem Vorjahr war.

"Nach unseren Schätzungen werden mehr als 5000 Juden aus Frankreich 2014 nach Israel einwandern, ein Rekord seit der Gründung des Staates Israel", sagte der leitende Direktor des israelischen Einwanderungsministeriums, Oded Forer, bei der Ankunft der 430 französischen Juden.

"Nicht mehr frei" in Frankreich

Neben der schlechten Wirtschaftslage in Frankreich und religiösen Gründen wird immer häufiger auch die Angst vor dem Antisemitismus als Grund für die Entscheidung zur Auswanderung angegeben. Vor ihrer Abreise aus Paris beklagte Sarah, Mutter von drei Kindern, Anfang Juli, "dass man nicht mehr die Kippa", die traditionelle jüdische Kopfbedeckung, auf den Straßen von Paris tragen könne. Mit ihrem Mann und ihren Kindern fühle sie sich "nicht mehr frei" in Frankreich.

Seit der erneuten Eskalation der Gewalt in Nahost und der israelischen Offensive im Gazastreifen kam es in Frankreich zu zahlreichen antisemitischen Vorfällen: Hass-Slogans, ein koscherer Lebensmittelladen in Brand gesetzt, Randalierer vor Synagogen - am Rande propalästinensischer Demos gab es vor allem in Paris und seinen Vorstädten Ausschreitungen. "Das Gefühl der Unsicherheit hat sich seit rund zehn Tagen ständig verstärkt", sagt die 38-jährige Agnès im alten Juden-Viertel Marais in Paris.

Die französische Regierung tut alles, um die jüdische Gemeinde zu bestärken und deren Sicherheit zu gewährleisten. Präsident François Hollande persönlich hatte schon Anfang des Jahres den Kampf gegen den Antisemitismus zum "nationalen Anliegen" erklärt. Außenminister Laurent Fabius hob nun hervor, Frankreichs Juden sollten keine Angst haben müssen - gestand aber ein: "Viele von ihnen haben Angst wegen einer ganzen Reihe antisemitischer Demonstrationen."

Israel fördert Auswanderung

Die israelische Regierung wiederum fördert die Einwanderung aus Frankreich nach Kräften: Ein spezieller Aktionsplan wurde im Juni aufgelegt, um potenzielle Auswanderer zu ermutigen und ihnen über alle Hürden zu helfen.

Viele Juden in Frankreich sind vor allem seit den Attentaten des Islamisten Mohamed Merah traumatisiert, der im März 2012 vor einer jüdischen Schule im südfranzösischen Toulouse drei Schüler und einen Lehrer erschoss. Dies war für viele von ihnen ein Schock und "Wendepunkt", wie es der israelische Präsident Shimon Peres ausdrückte. Mit rund 500.000 Menschen ist in Frankreich die größte jüdische Gemeinde Europas beheimatet - und mit bis zu fünf Millionen auch die größte muslimische Gemeinde.

Kein Wunder also, dass auch in Frankreich die Gegensätze verstärkt aufeinanderprallen, sobald im Nahen Osten die Gewalt eskaliert. Die Regierung stellt zwar Polizisten vor Synagogen oder jüdische Schulen. Aber nach Ansicht von Agnès im Marais-Viertel hat die jüdische Gemeinde inzwischen "eine Art Psychose" ereilt. Ihre Freundin Audalia pflichtet ihr bei: "Auf der Straße vermeide ich es jetzt, über den Sabbat zu sprechen, über alles, was nach Judentum klingt."

Quelle: ntv.de, Christine Pöhlmann, AFP

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