Historikerin: Trennung von Kirche und Staat in Europa verlief blutig

Historikerin: Trennung von Kirche und Staat in Europa verlief blutig
Die Trennung von Staat und Kirche in Europa während des 19. und frühen 20. Jahrhunderts verlief offenbar weniger friedlich als bislang allgemein angenommen.
25.10.2014
epd
Karsten Packeiser

Vielerorts hätten fromme Katholiken ebenso wie antiklerikale Kräfte zu Gewalt gegriffen, sagte die Mainzer Historikerin Eveline Bouwers dem Evangelischen Pressedienst (epd). Bei Auseinandersetzungen um Vorrechte der katholischen Kirche seien in Ländern wie Belgien auch Menschen zu Tode gekommen.

Die Wissenschaftlerin hat sich im Rahmen eines Forschungsprojekts intensiv mit Glaubenskämpfen in den katholischen Staaten Europas befasst, speziell mit den Regionen Bayern, Flandern und Bretagne. Konflikte zwischen katholischer Kirche und Staatsmacht gab es nach ihren Erkenntnissen nicht nur während des "Kulturkampfes" im protestantisch geprägten Deutschen Kaiserreich, sondern auch in katholisch Staaten.

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Als Beispiele nannte die Wissenschaftlerin in Belgien den Versuch des Staates, die Wohltätigkeit der Kirche zu kontrollieren. Bei Zusammenstößen zwischen romtreuen Christen und antiklerikalen Gruppen in Brüssel seien mehrere Tausend Katholiken verprügelt worden, sagte sie. Konflikte entzündeten sich vielerorts an der neu eingeführten staatlichen Schulaufsicht oder an der Einführung der Zivilehe.

In Frankreich setzte der Staat laut Bouwers zur Durchsetzung der 1905 beschlossenen Trennung von Staat und Kirche das Militär ein. Auseinandersetzungen eskalierten vielerorts, wenn Gläubige Finanzbeamte angriffen, die sich Zutritt zu kirchlichen Einrichtungen verschaffen wollten. Die Armee sollte Kirchentore aufsprengen. "Viele einfache Gläubige sind vor Gericht gekommen", sagte Bouwers, die sich intensiv mit historischen Akten befasste. "Soldaten, die Befehle verweigerten, landeten vor Militärtribunalen."

Im Gegenzug seien vielerorts Menschen wegen allzu liberaler Positionen aus den Gemeinden ausgeschlossen worden, sagte Bouwers. Notleidende Familien erhielten keine Unterstützung der Kirche, wenn sie ihre Kinder auf staatliche Schulen schickten. Nach Angaben der Historikerin eskalierte die Situation in Bayern weniger stark als in den anderen untersuchten Regionen. Ein Grund dafür sei gewesen, dass alle öffentlichen Aktivitäten einer viel strengeren Kontrolle durch die Polizei unterlagen.

Die Religionskonflikte sind damals laut Bouwers nirgendwo so stark eskaliert wie etwa bei der Verfolgung der französischen Hugenotten im 16. Jahrhundert. "Die Kirche kämpfte gegen einzelne Gesetze, aber nicht für einen alternativen Staat", sagte die Historikerin. Somit seien die Glaubenskämpfe im Europa des 19. Jahrhunderts auch nicht mit den aktuellen Ereignissen in der islamischen Welt vergleichbar. Auch habe es im katholischen Klerus oft keine einheitliche Position gegeben.