Papst Franziskus hat die Europäische Union zu einer grundlegenden Kurskorrektur aufgerufen. "Europa hat es dringend nötig, sein Gesicht wiederzuentdecken, um – nach dem Geist seiner Gründungsväter – im Frieden und in der Eintracht zu wachsen, denn es ist selbst noch nicht frei von Konflikten", sagte Franziskus in seiner Rede vor dem Europaparlament in Straßburg.

Die Abgeordneten rief er auf, "gemeinsam ein Europa aufzubauen, das sich nicht um die Wirtschaft dreht, sondern um die Heiligkeit der menschlichen Person". Es sei der Moment gekommen, "den Gedanken eines verängstigten und in sich selbst verkrümmten Europas fallen zu lassen, um ein Europa zu erwecken und zu fördern, das ein Protagonist ist und Träger von Wissenschaft, Kunst, Musik, menschlichen Werten und auch Träger des Glaubens ist".

"Von mehreren Seiten aus gewinnt man den Gesamteindruck der Müdigkeit und der Alterung, die Impression eines Europas, das Großmutter und nicht mehr fruchtbar und lebendig ist", sagte Franziskus. "Demnach scheinen die großen Ideale, die Europa inspiriert haben, ihre Anziehungskraft verloren zu haben zugunsten von bürokratischen Verwaltungsapparaten seiner Institutionen."

Papst warnt Europa vor Verlust seiner Seele

Europa stehe in Gefahr, "allmählich seine Seele zu verlieren". Franziskus empfahl Europa eine Rückbesinnung auch auf die die eigenen religiösen Wurzeln. Dann könne es auch leichter immun sein "gegen die vielen Extremismen, die sich in der heutigen Welt verbreiten – auch aufgrund des großen ideellen Vakuums, das wir im sogenannten Westen erleben", denn es sei gerade die Gottvergessenheit und nicht seine Verherrlichung, die Gewalt erzeugt.

Franziskus appellierte an die EU, eine gemeinsame Politik zur Rettung von Flüchtlingen umzusetzen. "Man kann nicht hinnehmen, dass das Mittelmeer zu einem großen Friedhof wird", sagte er und kritisierte das Fehlen gegenseitiger Unterstützung in der Europäischen Union. Dieses fördere partikularistische Lösungen des Flüchtlingsproblems, "welche die Menschenwürde der Einwanderer nicht berücksichtigt und Sklavenarbeit sowie ständige soziale Spannungen begünstigen".

Franziskus sagte, er wolle eine Botschaft der Hoffnung und Ermutigung an alle europäischen Bürger richten. Es gehe ihm um die Hoffnung auf eine Einheit, "um alle Ängste zu überwinden, die Europa – gemeinsam mit der ganzen Welt – durchlebt", sagte Franziskus.  

Die Krankheit Einsamkeit

Eine der in Europa verbreitetsten Krankheiten sei die Einsamkeit, die durch die Wirtschaftskrise verschärft worden sei. Die Einsamkeit werde speziell sichtbar bei alten und bei armen Menschen, bei perspektivlosen Jugendlichen und bei Migranten. Als eine Ursache dieser Einsamkeit machte der Papst in seiner Rede egoistische Lebensstile aus, "die durch einen mittlerweile unhaltbaren Überfluss gekennzeichnet" seien sowie durch eine Gleichgültigkeit gegenüber den Ärmsten.