Das Lager des langsamen Todes

Die Folterung von Regimegegnern und antikolonialen Kämpfern war in der portugiesischen Strafkolonie Tarrafal auf Kap Verde an der Tagesordnung. Das Gefängnis orientierte sich an den Konzentrationslagern der Nazis.

David Signer, Tarrafal
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Die ehemalige Strafkolonie Tarrafal ist heute eine Gedenkstätte. (Bild: Katja Müller)

Die ehemalige Strafkolonie Tarrafal ist heute eine Gedenkstätte. (Bild: Katja Müller)

Es ist wenig bekannt, dass auch in Afrika Konzentrationslager existierten. Dabei wurde der Begriff «Konzentrationslager» zum ersten Mal im deutschen Sprachraum 1904 für die Lager der gefangenen Herero und Nama im damaligen Deutsch-Südwestafrika gebraucht. Schon um 1900, während des Zweiten Burenkriegs gegen die südafrikanischen Buren, sperrten die Briten Frauen und Kinder von potenziellen Feinden in sogenannten «concentration camps» ein. Ein Konzentrationslager existierte auch in Kap Verde. Es wurde 1936 vom portugiesischen Diktator Salazar auf der Insel Santiago errichtet, beim kleinen Küstenort Tarrafal. Die ersten Gefangenen waren Angehörige der internationalen Brigaden, die im Spanischen Bürgerkrieg gegen Franco kämpften, sowie Matrosen, die sich an einer Revolte gegen Salazar beteiligt hatten. Bald kamen portugiesische Oppositionelle hinzu, insbesondere Kommunisten und Anarchisten. In der ersten Phase des Lagers, die bis 1954 dauerte, waren 340 Personen eingekerkert, 32 von ihnen starben während der Haft.

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Der Arzt verweigerte jede Hilfe

Die deutschen Konzentrationslager waren das erklärte Vorbild des Lagers von Tarrafal. João da Silva, der das Lager ab 1938 leitete, besichtigte vorher die nationalsozialistischen KZ in Deutschland; Offiziere wurden im KZ Dachau ausgebildet. Bei der Eröffnung des Lagers begrüsste der Leiter die Gefangenen mit den Worten: «Wer durch diesen Eingang tritt, verliert alle seine Rechte und hat nichts anderes zu tun, als seine Pflichten zu erfüllen. Ihr seid nach Tarrafal gekommen, um zu sterben.» Bald bürgerte sich für das Camp der Ausdruck «Lager des langsamen Todes» ein.

Die Bedingungen in der Strafkolonie waren in der Tat entsetzlich. Alle Gefangenen waren krank, wobei Malaria die häufigste Todesursache war. Den Insassen wurde absichtlich medizinische Behandlung verweigert. Schickten Familienangehörige Medikamente oder Moskitonetze, beschlagnahmte sie der Lagerarzt Prata und verkaufte sie in Tarrafal. Die Insassen mussten bis zum Zusammenbruch im Steinbruch arbeiten, das Wasser war knapp und verdorben. Bei Zuwiderhandlungen gegen das Lagerreglement wurden die Gefangenen in die «frigideira» (Bratpfanne) gesteckt. Es handelte sich um einen Betonblock an der prallen Sonne, der aus zwei Einzelzellen bestand. Luft kam nur durch ein schmales Gitter. Die Zellen waren leer, man schlief auf dem rohen Betonboden. Manchmal wurden bis zu zwanzig Insassen hineingesteckt, alle nackt; dann konnte sich niemand mehr hinlegen. Im engen Raum herrschten tagsüber 40 Grad, nachts wurde es eisig kalt.

Gefangen im Stacheldraht

Noch unmenschlicher war es im «Stacheldrahtverhau». Die Einrichtung glich einer eisernen Jungfrau und bestand aus einem drei Meter hohen Geflecht aus Stacheldraht, in dem man knapp stehen konnte. Auch hier waren die Gefangenen nackt, oft schon verletzt durch Schläge, die der Strafzelle vorangingen. Einige der Opfer starben an Infektionen und Starrkrampf.

Der sadistische Lagerarzt Prata ging 1946 nach Porto, wo er weiter praktizierte und nie für seine Taten belangt wurde. Der Lagerleiter da Silva führte später das für seine Folterungen berüchtigte Gefängnis von Caixas in Portugal und wurde schliesslich in Lissabon in der Avenida da Liberdade von einem Lastwagen überfahren. Nach dem Zweiten Weltkrieg verblieben nur noch wenige Gefangene im Lager, bis es 1954 offiziell geschlossen wurde.

Fotos von angolanischen Gefangenen im Konzentrationslager bei Tarrafal. (Bild: Katja Müller)

Fotos von angolanischen Gefangenen im Konzentrationslager bei Tarrafal. (Bild: Katja Müller)

Das Ende des Kolonialismus

1961, Salazar war immer noch an der Macht und Kap Verde immer noch eine portugiesische Kolonie, nahm das Lager seinen Betrieb wieder auf, unter dem Namen «Arbeitslager von Chão Bom». Diesmal waren die Insassen antikoloniale Unabhängigkeitskämpfer aus Kap Verde, Guinea-Bissau, Angola und Moçambique. Selbst nach dem Sturz der Diktatur anlässlich der Nelkenrevolution im April 1974 weigerte sich der Leiter, das Lager zu öffnen. Nach einer Woche befreite die Inselbevölkerung die Gefangenen in einer grossen Demonstration. Aber auch die neuen Machthaber benützten das Lager noch als politisches Gefängnis, bis es am 19. Juli 1975 nach der Unabhängigkeit von Kap Verde die Tore schloss. Im Januar 2016 wurde das Lager wiedereröffnet, aber dieses Mal als Gedenkstätte und Museum.