Wie Oskar Schindler 1945 an der Schweizer Grenze verhaftet wurde

Nach 25 Jahren kommt «Schindlers Liste» wieder in die Kinos. Ende des Zweiten Weltkriegs floh Schindler, der über 1200 Juden gerettet hatte, in die Schweiz und wurde sogleich festgenommen. In einem Brief an den Filmregisseur Fritz Lang beklagt er sich.

Jörg Krummenacher
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Hillary Clinton, damals US-Aussenministerin, besucht 2010 die zum Museum umgestaltete ehemalige Fabrik Oskar Schindlers in Krakau. (Bild: Pawel Supernak / EPA)

Hillary Clinton, damals US-Aussenministerin, besucht 2010 die zum Museum umgestaltete ehemalige Fabrik Oskar Schindlers in Krakau. (Bild: Pawel Supernak / EPA)

23. Mai 1945, zwei Wochen nach der Kapitulation Nazi-Deutschlands. Die Grenzstadt Konstanz am Bodensee steht unter Besatzung der Franzosen, die hier Ende April kampflos einmarschiert sind. Täglich bewegt sich noch immer ein Flüchtlingsstrom zur Grenze, Tausende wollen in die Schweiz. Im thurgauischen Kreuzlingen, das von Konstanz nur durch einen Grenzzaun getrennt ist, befindet sich ein grosses Flüchtlingslager. Die Schweiz hat zwar die Grenze geschlossen, duldet keine illegalen Einreisen. Dennoch lässt sie viele Flüchtlinge herein.

Am 27. Januar in den Kinos

Am Sonntag kommt Steven Spielbergs Holocaust-Film «Schindlers Liste» in technisch überarbeiteter Form wieder in die Kinos – 25 Jahre nach seiner Premiere. Der 27. Januar ist der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Der Film wurde 1994 in Hollywood als bester Film ausgezeichnet und erhielt sieben Oscars. 

Oskar Schindler hat sich mit seiner Frau und einer kleinen Gruppe jüdischer Angestellter an den Bodensee durchgeschlagen und will ebenfalls in die Schweiz. Er kommt aus Krakau und hat sich knapp vor dem russischen Einmarsch abgesetzt, ohne Papiere und ohne einen Pfennig, stets in Angst davor, in die Hände der vorrückenden Russen zu fallen. 1938 war er der NSDAP beigetreten, hatte enge Kontakte zur SS gepflegt und eine Email-Fabrik geführt, die Feldgeschirr für die deutsche Armee und auch Munition produzierte. Seine Abscheu vor der grausamen Verfolgung der Juden hatte ihn aber auch zum Retter von mindestens 1200 Jüdinnen und Juden werden lassen, indem er es schaffte, sie in seine Fabrik umzudirigieren – zum Zweck der «Herstellung kriegswichtiger Güter».

Als jüdische Häftlinge getarnt

Oskar Schindler. (Bild: Yad Vashem)

Oskar Schindler. (Bild: Yad Vashem)

Als Schindler in Konstanz eintrifft, steckt er in einem KZ-Anzug. Er und seine Frau weisen sich mit Ausweisen als Häftlinge aus, ebenso wie die sieben jüdischen Mitarbeiter, die sich mit ihnen nach Konstanz aufgemacht haben, um in die Schweiz zu gelangen und Verwandte zu treffen. Die falsche Identität und die Hilfe des Roten Kreuzes, eines US-Heeres-Rabbiners und des amerikanischen Spionagedienstes Counter Intelligence Corps (CIC) sind nötig gewesen, um sie vor den Russen in Sicherheit zu bringen. Nun steht die neunköpfige Gruppe an der Schweizer Grenze.

«Wir studierten alle Möglichkeiten, legal in die Schweiz zu gelangen, aber die Grenzer waren stur», schreibt Schindler sechs Jahre später an den österreichischen Filmregisseur Fritz Lang, der in den USA lebt. Im Brief schildert Schindler detailliert den Versuch, die Grenze dennoch zu überwinden. Er späht aus, wann die Schweizer Grenzbeamten Pause machen und wann Schichtwechsel ist. Weil die gesamte Grenze der zusammengebauten Städte Konstanz und Kreuzlingen «herrlich mit Drahtgittern gesichert ist», wie er notiert, lässt er eine Drahtschere kaufen und vereinbart für den folgenden Mittag «den Durchbruch».

Was Schindlers Gruppe kaum weiss: Just hier ist im ersten Kriegsjahr, am 8. November 1939, die Flucht Georg Elsers gescheitert, jenes Mannes, der versucht hatte, Adolf Hitler mit einer selbstgebastelten Bombe im Münchner Bürgerbräukeller umzubringen. Da war der Zaun noch weniger hoch, nur ein etwas erhöhter Gartenzaun. Elser wurde trotzdem geschnappt, inhaftiert und kurz vor Kriegsende getötet. Heute erinnert ein Denkmal an ihn.

«Ihr polnische Judenbande»

Schindler schneidet das Drahtgitter unbemerkt auf, muss aber auf einen Nachzügler warten, der verspätet eintrifft: «Er hatte sich rasieren lassen, um seiner Tante Helen Rubinstein zu gefallen.» Der Zeitplan gerät in Verzug: «Mit halbstündiger Verspätung konnte ich endlich mit dem Durchlassen der Einzelnen beginnen, aber mit dieser Zeitspanne war auch die Mittagspause des gemütlichen Schweizer Zollbetriebs beendet.»

In kleinen Gruppen bewegen sich die Flüchtlinge Meter für Meter ins Schweizer Gebiet. Einzelne werden von Verwandten erwartet, steigen in bereitstehende Autos und fahren davon. Doch dann wird die Gruppe um Oskar Schindler entdeckt: «Nachdem ich mit den Letzten schon einen Kilometer auf Schweizer Boden war, kamen Zöllner in Hemdsärmeln gelaufen.» Mit vorgehaltener Pistole wird die Gruppe zum Zollgebäude gebracht. Schindler beklagt sich über die Behandlung durch die Schweizer Zöllner. Der eine sei «recht zornig» gewesen, «weil wir ihm die Siesta gestört hatten. Der Diensthabende, ein junger Offizier, begrüsste mich mit den Worten: Ihr polnische Judenbande, wir haben selber nichts zu fressen.»

Nachlass auf dem Dachboden

Offensichtlich zeigt sich die Thurgauer Grenzwacht, die schon während des Kriegs mit judenfeindlicher Haltung und als mit den Nazis sympathisierend aufgefallen ist, auch nach Kriegsende nicht freundlicher. Umgehend bugsiert sie die Gruppe wieder über die Grenze nach Konstanz und übergibt sie der französischen Besatzungspolizei, welche sie zwei Wochen lang in Haft belässt. Erst danach gelingt es Oskar Schindler, den Gefängnisoffizier vom «wahren Sachverhalt» zu überzeugen: Die Gruppe wird «nicht nur gleich mit pol. Autos in ein gutes Hotel untergebracht, sondern bevorzugt behandelt». Schindler beschreibt, wie er «am nächsten Abend mit meinen Leuten schon Gast bei einem Fest des Ortskommandanten für seine Offiziere» ist – als «einzige Zivilisten, in ausgeborgten Kleidern».

Der Brief an Fritz Lang wird erst 1999 auf einem Dachboden in Hildesheim entdeckt, zusammen mit dem gesamten Nachlass Schindlers. Der Konstanzer Lokalhistoriker Arnulf Moser hat die kaum bekannte Episode an der Schweizer Grenze erstmals beschrieben. Da hatte der Film «Schindlers Liste» die Taten Oskar Schindlers längst weltberühmt gemacht. Regisseur Steven Spielberg profitierte davon, dass Fritz Lang den Stoff nicht schon Jahrzehnte zuvor verfilmt hatte.

Apathisch in Konstanz

Schindlers Unterschrift im Gästebuch von Yad Vashem. (Bild: Yad Vashem)

Schindlers Unterschrift im Gästebuch von Yad Vashem. (Bild: Yad Vashem)

Nach seiner Freilassung bleibt Schindler mit seiner Frau, wie er im Brief schreibt, «den Sommer über apathisch in Konstanz», bevor er aufgrund der «recht schlechten Lebensverhältnisse in der französischen Zone» nach Bayern übersiedelt. Das Ehepaar wohnt in Regensburg und München, kann aber nicht recht Fuss fassen und wandert 1949 nach Argentinien aus, wo es eine Farm kauft und mit wenig Erfolg Pelztierzucht betreibt. 1958 kehrt Oskar Schindler allein nach Frankfurt zurück, lebt nun abwechselnd in Deutschland und Israel. 1967 ehrt ihn die israelische Gedenkstätte Yad Vashem als «Gerechter unter den Völkern». Als er 1974 im Alter von 66 Jahren stirbt, setzen die jüdischen Überlebenden seine Überreste auf dem Berg Zion in Jerusalem bei.

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