Die deutsche Energiewende vernichtet Kapital

Die Regierung in Berlin hält am planwirtschaftlichen Ansatz in der Energiewende fest. Nach dem Atomstrom ist nun die Kohle dran. Betroffene Regionen hoffen auf einen Geldsegen. Und die Wirtschaft fürchtet um ihre Wettbewerbsfähigkeit.

Christoph Eisenring, Berlin
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Fast ein Viertel der deutschen Stromproduktion basiert deshalb auf Braunkohle. Im Bild protestiert Greenpeace vor einem solchen Kraftwerk in Bergheim gegen den Klimawandel. (Bild: Sascha Steinbach / EPA)

Fast ein Viertel der deutschen Stromproduktion basiert deshalb auf Braunkohle. Im Bild protestiert Greenpeace vor einem solchen Kraftwerk in Bergheim gegen den Klimawandel. (Bild: Sascha Steinbach / EPA)

Kurz vor Weihnachten ging es im Ruhrgebiet hochemotional zu. Das letzte Stück Steinkohle wurde dem deutschen Bundespräsidenten, Frank-Walter Steinmeier, in Bottrop von einem Kumpel in die Hände gedrückt. Dazu sang der Ruhrkohle-Chor das Steigerlied. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die heimische Steinkohle nur dank Subventionen so lange überlebt hat. Das ist bei der Braunkohle anders: Im Tagebau wird sie günstig gewonnen und gleich in der Nähe verstromt. Fast ein Viertel der deutschen Stromproduktion basiert deshalb auf Braunkohle. Doch die grosse Koalition will ihr Ende besiegeln.

Abwanderung und Alterung

Deutschland fährt im Klimaschutz einen Sonderzug. Berlin will die CO2-Emissionen bis 2030 um 55% gegenüber 1990 verringern, die EU um 40%. Die Braunkohle steht für gut die Hälfte der CO2-Emissionen in der Stromproduktion, weshalb ihre Tage –und auch jene der Steinkohlekraftwerke – gezählt sind. Eine Kommission, in der die Kohle-Regionen, Wissenschaft, Arbeitgeber und -nehmer sowie Umweltschützer vertreten sind, arbeitet an einem Ausstiegsplan.

Anziehende Preise für CO2 im europäischen Emissionshandel machen Strom aus Kohle bereits teurer. Dieses Preissignal bietet Gewähr dafür, dass in Europa dort CO2 eingespart wird, wo dies zu den geringsten Kosten möglich ist. Trotzdem beharrt die deutsche Regierung auf Zwangsschliessungen von Kohlekraftwerken. Dabei ist dadurch fürs Klima noch nichts gewonnen.

Für den Strom- und Industriesektor setzt der EU-Emissionshandel eine Obergrenze an Klimagasen, die jährlich ausgestossen werden dürfen. Diese Menge sinkt Jahr für Jahr entsprechend dem EU-Ziel. Spart Deutschland zusätzlich CO2 ein, wird es anderswo in der EU emittiert.

Wo Braunkohle abgebaut wird

Wo Braunkohle abgebaut wird

Berlin kann zwar an seine Industrie weniger Emissionsrechte versteigern, wenn es Kohlekraftwerke abschaltet. Es ist dann aber diese Löschung von Zertifikaten und nicht das Abschalten der Kraftwerke, die dem Klima nutzt. Das könnte man günstiger haben, indem Berlin Zertifikate am Markt kauft. Die Verknappung von Emissionsrechten dürfte indes andere EU-Staaten brüskieren, da damit das CO2-Ziel verschärft würde, auf das sich alle verständigt hatten.

Der Abbau der Braunkohle konzentriert sich auf drei Reviere. Im Fokus steht die ostdeutsche Lausitz, wo die Braunkohlewirtschaft 8000 lukrative Stellen bietet. Laut dem Ökonomen Oliver Holtemöller vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) verdient ein Erwerbstätiger in der deutschen Braunkohleindustrie (inklusive Sozialabgaben des Arbeitgebers) 68 000 € – doppelt so viel wie im Schnitt der Erwerbstätigen.

Gingen diese Jobs verloren, liessen sich nicht einfach gleichwertige aus dem Boden stampfen, erklärt Holtemöller. Vielmehr vermutet er, dass dann jüngere und besser ausgebildete Menschen die Lausitz verlassen werden. Den Effekt schätzt er auf 2500 Personen. Das tönt nach wenig, doch verstärkt sich dadurch eine ohnehin ungute Entwicklung von Abwanderung und Alterung in einer strukturschwachen Region.

Überdimensionierte Projekte

Die Kommission wird wohl vorschlagen, dass eine ICE-Linie von Berlin über Görlitz ins polnische Breslau geführt wird, um die Region aufzuwerten. Allerdings ist die Teilstrecke Cottbus–Görlitz nicht einmal elektrifiziert. Dies läuft somit auf ein teures Prestigeobjekt hinaus. «Herkömmliche Bedarfskriterien» sollen sogar ausser Kraft gesetzt werden. Dies hält Holtemöller für falsch. Eine bessere Anbindung sei zwar richtig, aber man müsse sich an der zu erwartenden Nachfrage orientieren.

Firmen siedeln sich nicht einfach an, weil plötzlich ein ICE durchs Land fährt. Für sie ist mindestens so wichtig, dass sie qualifiziertes Personal vorfinden. Daran ändern überdimensionierte Projekte nichts. Der Ökonom warnt auch davor, mit staatlichem Geld Firmen – im Gespräch ist eine Fabrik für Batteriezellen von Elektroautos – anzusiedeln. Die Politik wisse nicht, welche Technologie sich durchsetze.

Das Bundesland Sachsen-Anhalt, wo sein Institut liegt, hatte zum Beispiel auf die Solarindustrie gesetzt. Viele Subventionen sind da verpufft, wie Holtemöller festhält. Er rät stattdessen, beim einzelnen Menschen anzusetzen. Verlierer sollten kompensiert werden. Neben der Requalifizierung erwähnt er Umzugshilfen, damit Arbeitnehmer dorthin gehen, wo sie eine neue Perspektive erhalten. Ältere Arbeitnehmer dürfen mit Abfindungen rechnen.

Vernichtung von Kapital

Deutschland ist zu Recht stolz auf seine Industrie. Ihr Anteil an der gesamten Brutto-Wertschöpfung macht hohe 23% aus, der Wert von Frankreich und Grossbritannien ist nur halb so hoch. Die Firmen sind aber auf eine verlässliche und wettbewerbsfähige Stromversorgung angewiesen. Genau dies ist durch die Energiewende in Gefahr. Das letzte Atomkraftwerk wird 2022 abgeschaltet. Und vermutlich in den späteren 2030er Jahren ist mit Kohle Schluss. In beiden Fällen wird Kapital vernichtet. Wenn man dadurch wenigstens dem Weltklima hülfe, doch das ist eben nicht der Fall.

Die schwankungsanfälligen Stromquellen Wind und Sonne sind kein gleichwertiger Ersatz. Die Industrie fürchtet jedenfalls, dass sich nach dem Abschalten von Atom- und Kohlekraftwerken der Strom stark verteuert. Sie fordert deshalb, dass der Staat die Mehrkosten trägt. Die Energiewende würde sich damit weiter verteuern.

Die ostdeutschen Bundesländer in der Kommission verlangen enorme 60 Mrd. € an Strukturhilfen für den Kohleausstieg. Dazu kämen weitere Milliarden für Abfindungen an Arbeitnehmer sowie die Eigentümer. Und dies alles, um das Ende der Braunkohle um vielleicht ein Jahrzehnt vorzuverlagern. Die Abbaubewilligungen laufen nämlich in den 2040er Jahren aus. Seit dem Jahr 2000 haben deutsche Konsumenten für die Förderung des Ökostroms rund 200 Mrd. € ausgegeben. Klimaschutz ist gewiss nötig, aber der deutsche Sonderweg ist hochgradig ineffizient und kostet deshalb viel mehr als nötig.

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