Gastkommentar

Wirtschaftsethik und Energieökonomie

Konflikte zwischen Gerechtigkeit und Effizienz sind politische Kernentscheide und nicht Expertenaufgaben.

Silvio Borner
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Auftragsstudien, etwas im Bereich der Energiepolitik, werden oft totgeschwiegen, wenn sie nicht die ersehnten Resultat erbringen. (Bild: Olivier Maire / Keystone)

Auftragsstudien, etwas im Bereich der Energiepolitik, werden oft totgeschwiegen, wenn sie nicht die ersehnten Resultat erbringen. (Bild: Olivier Maire / Keystone)

Die Begriffskombination «Wirtschaftsethik» ruft bei mir Unbehagen hervor, gerade weil Ethik und Ökonomie für mich unentbehrliche Leitlinien sind. Beides sind wissenschaftliche Grundlagen für die Erklärung und Bewertung menschlichen Handelns. Ethik visiert Gerechtigkeit an, Ökonomie Effizienz. Beide Konzepte sind getrennt zu betrachten und nicht opportunistisch oder pragmatisch zu vermischen. Konflikte zwischen Gerechtigkeit und Effizienz sind politische Kernentscheide und nicht Expertenaufgaben. Spezielle Ethiken wie Wirtschafts-, Medizinal- oder Bioethik sind gefährlich, weil sie das Fachwissen durch Sendungsbewusstsein ersetzen. Es ist besser, die Mediziner, Physiker oder Ökonomen direkt mit ethischen Fragen zu konfrontieren, als Ethikkommissionen aus kirchlichen oder NGO-Kreisen entscheiden zu lassen.

Bindestrich-Ökonomen

Wer eine ethische Position wissenschaftlich begründet, soll sie konsequent und konsistent auf alle gesellschaftlichen Probleme anwenden, aber sich offen mit gleichwertigen Gegenpositionen auseinandersetzen.

Analog ist es bei branchenorientierten Bindestrich-Ökonomen wie Agrar-, Fremdenverkehrs-, Umwelt- oder Energieökonomen, die häufig fundamentales ökonomisches Denken über Bord werfen. Dieses ist oft kontraintuitiv und somit politisch unattraktiv, aber breit anwendbar. Branchenspezifische Lehrgänge oder Forschungsinstitute laufen Gefahr, durch Staatsorgane oder Verbände vereinnahmt zu werden. Sie mögen über mehr Sachkenntnis verfügen, aber verlieren gerade durch Inside-Infos ihre Unabhängigkeit.

Anwendungsorientierte Spezialisierung sollte theoretisch durch die Methodik oder Perspektive wie z. B. Ökonometrie, Politische Ökonomie, Wettbewerbstheorie oder Internationale Beziehungen bestimmt und breit anwendbar bleiben, aber nicht exklusiv auf eng definierte Wirtschaftszweige ausgerichtet sein. Echte, grundlegende Reformen im Agrarsektor, bei der Alterssicherung oder der Stromversorgung können nur von unabhängigen Wissenschaftern lanciert werden. Fragen zu Stromimporten sind bei einem Handelstheoretiker besser aufgehoben als bei eng verbandelten Energiespezialisten.

Ökonomen analysieren Marktstrukturen, Verhaltensweisen, Preise und leiten daraus nachvollziehbar und ergebnisoffen Politikempfehlungen ab. Politikabhängige Experten müssen oft schon bei der Fragestellung, mehr noch bei der Methodenwahl und spätestens bei den Empfehlungen auf die Auftraggeber Rücksicht nehmen («Advocacy Research»). Kritische Stimmen aus staatsabhängigen Forschungszentren sind daher im Klima- und Energiebereich nicht zu vernehmen. Sogar die nationalen Forschungsprogramme sind für die freie Wissenschaft ein wachsendes Risiko. Studien beruhen immer häufiger auf politischen Bauchentscheidungen. Sie sollen diese nachträglich wissenschaftlich legitimieren. Krassestes Beispiel dafür ist die Energiestrategie 2050. Liefern die Auftragforscher ausnahmsweise nicht das ersehnte Resultat, werden sie widerstandslos totgeschwiegen, wie im Fall der genveränderten Produkte.

Offener Diskurs gefragt

Ökonomie und Ethik sind wissenschaftlich fundiert, aber deshalb noch lange keine absoluten Wahrheiten. Wissenschaftliche Erkenntnisse müssen jederzeit infrage gestellt werden können. Wenn in der Klimawissenschaft der anthropogene C02-Einfluss auf die Erwärmung als ein für alle Mal gelöst erklärt und mit einer 90-prozentigen Zustimmung durch die «Klimaexperten» untermauert wird, ist schon allein das ein starkes Indiz für einen historisch einmaligen Wissenschaftsskandal.

Entscheidend für den wissenschaftlichen Fortschritt sind der offene Diskurs, die sachliche Kontroverse und die empirische Evidenz. «Flexible Doppelspurigkeiten» auf einer branchen- oder politikbestimmten Expertenschiene führen zum Gegenteil: in den quasireligiösen Dogmatismus.

Silvio Borner ist em. Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Basel und Gründungsmitglied des Carnot-Cournot-Netzwerks.