Mit einem Comic über die sprechende Katze eines Rabbiners wurde Joann Sfar in Frankreich zum Star. Sein Motto: «Im Grunde genommen ist das Judentum sehr lustig»

Seine Bildergeschichten handeln von jüdischem Humor und jüdischer Kultur. Und wie die Kabbala nimmt sich auch das Werk des französischen Comic-Stars Joann Sfar wie ein Baum mit vielen Wurzeln und Ästen aus. Das zeigen gleich zwei Schweizer Ausstellungen.

Christian Gasser
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Joann Sfars Kater kann sprechen, seit er einen Papagei verschluckt hat. (Bild: Avant-Verlag)

Joann Sfars Kater kann sprechen, seit er einen Papagei verschluckt hat. (Bild: Avant-Verlag)

Er liebt sie, sie liebt ihn. Aline ist Katholikin, Roger ist Jude. Ihre Beziehung ist in der französischen Kolonie Algerien der 1930er Jahre nicht unproblematisch. Roger zuliebe will Aline zum Judentum konvertieren. Ausgerechnet der Rabbiner aber reagiert entgeistert: Warum möchte jemand freiwillig diesen so irrationalen und anstrengenden Glauben mit all seinen Geboten und Verboten annehmen? Sogar der Kater des Rabbiners bemüht sich, der Katholikin den Bekehrungswunsch auszutreiben.

«Im Grunde genommen», sagt Joann Sfar, seine eigene Comic-Erzählung «Die Katze des Rabbiners» kommentierend, «ist das Judentum aber sehr lustig.» Und gleich lacht er selber. «Sind es denn nicht gerade die Unsinnigkeiten und Widersprüche, die eine Religion erträglich machen?»

Wenn der Kater spricht

Wir sitzen am Rand des Comic-Festivals von Angoulême in der fahlen Sonne. Ein Alarm, ausgelöst vermutlich durch eine liegengebliebene Tasche voller Comics, hat alle gezwungen, das grosse Verlagszelt zu verlassen. Die Furcht vor einem religiös motivierten Anschlag schwebt für einen kurzen Moment über dem Festival. Das beeinflusst auch unser Gespräch. Identitätszwänge seien oft erdrückend, meint Sfar. Er sei zwar Jude, träume aber von einer Welt, «in der ich am Montag Muslim sein kann, am Dienstag Jude, am Mittwoch Atheist – und in der mich niemand dazu drängt, konsequent und kohärent zu sein».

Sprachbegabte Katzen gibt es in der Geschichte der Comics zuhauf. Doch der Kater in Sfars «Katze des Rabbiners» fällt im Zoo der Funny Animals sofort als ein ungewöhnliches Tier auf: Der Sprache mächtig, seit er einen Papagei verspeist hat, philosophiert und disputiert er mit seinem Herrn, einem manchmal weisen, oft dümmlichen, immer aber sinnesfreudigen Rabbiner. Die Debatten drehen sich dabei um Religion, Metaphysik, Judentum, Moral und die Liebe. Mit Widerspruchsgeist, Besserwisserei und rhetorischer Spitzfindigkeit treibt der Kater seine Umgebung in schiere Verzweiflung.

Mit diesem Comic, dessen erster Band 2002 erschien, wurde Joann Sfar zum Star. In Frankreich verkauft sich seither jeder Band über 100 000 Mal. Und nicht minder erfolgreich ist die Verfilmung, die 2011 in die Kinos kam. Heute ist Sfar in Frankreich eine öffentliche Person, die sich mit launiger Polemik in manch eine kulturelle oder politische Debatte einmischt.

Die Kabbala und der deutsche Idealismus

Der 1971 in Nizza geborene Joann Sfar wuchs ohne Mutter auf und wurde von seinem Vater, einem sephardischen Juden mit nordafrikanischen Wurzeln, und von seinem polnischen Grossvater mütterlicherseits aufgezogen. Er wuchs inmitten jüdischer Legenden und Geschichten auf, ohne selber an die Existenz Gottes zu glauben. Während seines Philosophiestudiums entwickelte er eine Affinität zum deutschen Idealismus und zur Romantik. Das alles rundete er ab mit dem Besuch einer Kunsthochschule in Paris. Da merkte er dann, dass er lieber mit dem Zeichenstift philosophiert und sich am liebsten mit seinem jüdischen Erbe auseinandersetzt.

Bereits in seinen ersten Geschichten aus «Die kleine Welt des Golem» führte er einige Figuren aus der Fabelwelt der osteuropäischen Aschkenasi ein, auf die er seither immer wieder zurückgreift: den körperlich kräftigen und geistig schwachen Golem etwa, den orientierungslosen Baum-Mann, den die Geliebte für den Blumenkopf-Mann verlässt, den melancholischen Vampir Desmodus, die verführerische Mandragora. Sfar widerstand der Versuchung esoterischer Schwärmerei. Trotz ihren übernatürlichen Fähigkeiten werden seine Figuren auch nicht zu Superhelden osteuropäisch-jüdischen Zuschnitts hochstilisiert. Und in Sfars Welt ist der Vampir kein Monster, sondern ein Melancholiker mit Herzschmerz, der achtgibt, seine Opfer nicht totzubeissen.

Der Kater triezt seine Umgebung mit rhetorischen Spitzfindigkeiten. (Bild: Avant-Verlag)

Der Kater triezt seine Umgebung mit rhetorischen Spitzfindigkeiten. (Bild: Avant-Verlag)

Mit seinen Geschichten wolle er das «Jüdische» entdramatisieren, erklärt Sfar. «Sobald etwas jüdisch sein soll, wird es mit Ernst und Schwere charakterisiert», dies stelle er immer wieder fest. Das sei unsinnig und problematisch. «Das Judentum ist ein sehr amüsanter und reicher kultureller Kosmos, den auch Nichtjuden nach Belieben aufsuchen und wieder verlassen können.» Bewusst stelle er deshalb das Allgemein-Kulturelle in den Vordergrund und nicht die Identität oder die Religion. Dazu zählt auch der Humor. Er könne, sagt Sfar, keine Geschichte erzählen, die ihn nicht auch selber zum Lachen bringe. Die Fallhöhe zwischen philosophischem Diskurs und Slapstick ist hoch, die Verknüpfung von Schwermut und Fröhlichkeit wirkt wunderbar.

Autor und Leser zugleich

Joann Sfar ist mit überschäumender Leidenschaft Comic-Autor. Weisse Flächen vollzukritzeln, beruhige ihn. «An Tagen, an denen ich viel gezeichnet habe, geht es mir besser.» Das erklärt auch seine legendäre Produktivität. Über 200 Bücher soll er veröffentlicht haben. Dazu kommen eine Handvoll Romane und Filme – darunter der Biopic «Gainsbourg» (2010), der mit dem Filmpreis César für den besten Erstling ausgezeichnet wurde. Seine Geschichten entstehen schnell, spontan, ohne Plan. Oft spürt man, dass er am Anfang keine Ahnung hatte, wohin er steuern würde. «Ich bin eben auch als Autor ein Leser: Ich will von meinen Geschichten überrascht werden. Nur so kann ich auch die Leser überraschen.»

Entsprechend dienen seine Zeichnungen stets dem Erzählfluss, sie sind nie Selbstzweck. Und der flüchtige, skizzenhafte Strich erweckt den Eindruck, als wende Sfar beim Zeichnen nicht viel mehr Zeit auf als wir beim Lesen. «Das Faszinierende ist doch der Versuch, mit der Zeichnung das Leben festzuhalten – obschon man weiss, dass es sich nicht festhalten lässt.»

«Das Geheimnis der Kabbala ist, dass es keinen Unterschied zwischen den Ästen und den Wurzeln gibt» – das wird in «Golem» über den auf seinen Wurzeln gehenden Baum-Mann gesagt. Das Gleiche gilt tatsächlich auch für Sfars Œuvre: ein wild wuchernder Baum mit vielen Wurzeln und ebenso vielen Verästelungen, ohne Anfang und ohne Ende. Sfar nickt. «Mein Werk besteht nicht aus vielen verschiedenen Büchern, sondern aus einer grossen Erzählung.» Deshalb schliesst er keine Geschichte mit «Ende» ab, sondern kündigt immer gleich den nächsten Band an.

Joann Sfars Werk erscheint auf Deutsch im Avant-Verlag und bei Reprodukt. – Ausstellungen: Joann Sfar. Sans début ni fin. Cartoonmuseum Basel, 6. 4. bis 11. 8. 19; Liebende und andere Vampire, Comic-Festival Fumetto, Luzern, 6. 4. bis 14. 4. 19; www.fumetto.ch.

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