Die «Unsterblichen» erhalten bei ihrer Aufnahme in die Académie française ein Schwert – und den Auftrag, über die französische Sprache zu wachen. (Bild: François Mori / AP)

Die «Unsterblichen» erhalten bei ihrer Aufnahme in die Académie française ein Schwert – und den Auftrag, über die französische Sprache zu wachen. (Bild: François Mori / AP)

Die Académie française ist die Hüterin der französischen Sprache. Derzeit hat sie zwei Probleme: Das Internet, das die Rechtschreibung zerstört – und die weibliche Version des Wortes «Chef»

Seit sie im 17. Jahrhundert die Arbeit aufgenommen hat, haben sich ein paar Dinge gewandelt: Heute will es die französische Sprache nicht mehr verbreiten, sondern bloss noch beschützen. Jetzt sollen auch weibliche Berufsbezeichnungen aufgenommen werden – aber in vielen Fällen existiert eine solche gar nicht.

Uwe Schultz
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Spät, aber vielleicht nicht zu spät erscheint das Regelwerk der französischen Sprache, der Dictionnaire der Académie française, nun auch im Internet: ab sofort und kostenlos. Das Projekt ist höchst ambitiös, denn es präsentiert nicht nur die achte Ausgabe, sondern auch die seit 1992 in Arbeit befindliche neunte bis zum Buchstaben S. Darüber hinaus stehen sämtliche Editionen des Wörterbuchs seit dessen erster Ausgabe im Jahre 1694 zur Verfügung. Das ist folgerichtig, schliesslich ist es die zentrale Aufgabe der Académie française, «Wächterin des guten Gebrauchs und Zeugin der Entwicklung der französischen Sprache zu sein».

Mit dem Rückgriff auf das 17. Jahrhundert lebt aber auch noch einmal die frühe Geschichte der Académie française mit ihrem Programm der politisch-nationalen Arroganz auf: «Es scheint nichts an dem Glückszustand des Königreichs zu fehlen, als aus der Menge der barbarischen Sprachen diese Sprache, die wir sprechen, auszuwählen, und dass unsere Nachbarn sie bald sprechen werden, wenn unsere Eroberungen sich fortsetzen wie sie begonnen haben . . . dass unsere Sprache, die schon vollkommener ist als jede andere Sprache, alsbald die Nachfolge des Latein antreten kann.» Es war Richelieu, der im Jahre 1635 der von ihm installierten Académie diesen sprachimperialistischen Auftrag erteilte – mitten im Dreissigjährigen Krieg, in dem Frankreich zur dominierenden Macht in Europa aufstieg.

Aber der allmächtige Erste Minister Frankreichs hatte auch innenpolitische Absichten, denn er fürchtete zu Recht, dass in den diversen Gesprächszirkeln von Paris konspirative Gruppen entstanden, die seiner expansionistischen Politik feindlich gegenüberstehen könnten. So machten seine Späher den renommierten Bürger Valentin Conrart als verdächtig aus, Hugenotte, wohlhabend und zudem Sekretär des Königs, der seine gleichgesinnten, weitgehend unpolitischen Freunde regelmässig zu kultivierten Séancen über literarische Werke und die politischen Zeitläufte zu sich einlud.

Die Konversation dieses Zirkels wurde durch die erdrückende Ehre beendet, die der Erste Minister Frankreichs ihm zuteilwerden liess: Er erklärte ihn zur «Académie française» und erweiterte ihn um mehrere seiner politischen Parteigänger. Er wurde damit verstaatlicht und wurde zur offiziellen staatstragenden Institution, zudem war er aus der Staatskasse finanziert, woran sich bis heute nichts geändert hat.

Königliche Schirmherrschaft

Richelieu verlangte von seiner Akademie die Erfüllung ganz konkreter Aufgaben zur Pflege der französischen Sprache und Sprachkultur: ein Wörterbuch, eine Grammatik und eine Poetik. Nur der erste Programmpunkt wurde realisiert, dafür aber bis heute. Es dauerte mehr als ein halbes Jahrhundert, bis der erste Dictionnaire 1694 erscheinen konnte. In unregelmässigen Abständen von zwanzig bis fünfzig Jahren wurden die jeweils aktualisierten Ausgaben veröffentlicht – die neunte soll in Kürze vollendet werden.

Kardinal Richelieu hat die Académie im 17. Jahrhundert ins Leben gerufen und ihr ein sprachimperialistisches Programm verschrieben. (Gemälde von Philippe de Champaigne, Bild: Musées de la Ville de Strasbourg)

Kardinal Richelieu hat die Académie im 17. Jahrhundert ins Leben gerufen und ihr ein sprachimperialistisches Programm verschrieben. (Gemälde von Philippe de Champaigne, Bild: Musées de la Ville de Strasbourg)

Über die Jahrhunderte hat es die Académie française nicht versäumt, ihr Renommee kunstvoll zu steigern, indem sie ihre maximal vierzig Mitglieder zu «Unsterblichen» erhob, deren Publikationen mit der einträglichen Werbung «Membre de l’Académie française» versehen wurden und werden. Auch lobte sie einen Literaturpreis aus, der Respekt geniesst, aber nicht an den literarischen Rang der Preise «Goncourt» oder «Médicis» heranreicht.

Schirmherr der Akademie war zunächst der französische König Ludwig XIII.; ihm folgten die Herrscher Frankreichs in langer Reihe nach – bis zum heutigen Staatspräsidenten. Das hat den Rang der Akademie in der französischen Öffentlichkeit gefördert und beschädigt. Der karrieresüchtige Voltaire etwa bemühte sich intrigen- und erfolgreich um einen Sitz, während Jean-Paul Sartre eine Mitgliedschaft ebenso abgelehnt hätte, wie er es bei der Verleihung des Nobelpreises für Literatur getan hat. Besonders eindrucksvoll ist die Liste jener Schriftsteller, die Rang und Ruhm der französischen Literatur ausmachen und nicht in die Académie berufen wurden oder die Mitgliedschaft ablehnten: Rousseau, Stendhal, Flaubert, André Gide und viele andere bis zu Milan Kundera.

«Madame le Maire»

Und Schriftstellerinnen? Mit Marguerite Yourcenar wurde 1981 das erste weibliche Mitglied der Académie gewählt, inzwischen wurde diese Auszeichnung neun Frauen zuteil; gegenwärtig sitzen fünf in dem Gremium. Fragen der Gleichberechtigung treiben die Akademie zurzeit aber auf einem ganz anderen Feld um: In einer internen Kommission, die jüngst ihren Bericht vorlegte, haben sich die Mitglieder die Frage gestellt, ob und – wenn ja – wie rigoros das weibliche Geschlecht bei der Wortwahl oder auch der Ämterbezeichnung berücksichtigt werden kann oder soll.

Die Akademieverantwortliche, ihr «Secrétaire perpétuel», Madame Hélène Carrère d’Encausse, traf sich mit Martine Aubry, der Bürgermeisterin von Lille, die auf der traditionellen Anrede ihres Amtes bestand: «Madame le Maire» («Frau Bürgermeister»), während ihre Pariser Kollegin Anne Hidalgo Wert auf die Anrede «Madame la Maire» («Frau Bürgermeisterin») legte.

Mit grosser Mehrheit hat die Académie nun entschieden, sich für weibliche Berufsbezeichnungen zu öffnen. Damit tut sich ein weites Arbeitsfeld auf: Für diverse Wörter gilt es, die weibliche Variante zu finden oder zu erfinden – etwa bei dem Wort «Chef». Im Französischen steht im Gegensatz zum Deutschen der Begriff «Chefin» nicht zur Verfügung. Nun ist sprachschöpferische Kraft gefragt, denn gewaltsam gebildete Wörter wie «cheffe», «chèfe» oder «cheftaine» verweigern sich dem umgangssprachlichen Gebrauch. Ähnlich schwierig ist es bei der Poetin («poétesse»), die ihre Tätigkeit ungern so bezeichnet sehen würde, der aber im Deutschen das würdige Wort «Dichterin» zur Verfügung steht. Auch die Benennung «autrice» für «auteur» verweigert sich dem sprachlichen Gebrauch und der beruflichen Wertschätzung. Wenigstens bei der «boulangère» («Bäckerin») ist die weibliche Berufsbezeichnung keinem Zweifel und keiner Abwertung unterworfen.

Banken geben Orthographienachhilfe

Die Primäraufgabe der Académie besteht derweil weiterhin in der permanenten Arbeit am Wörterbuch, die sich an jedem Donnerstag vollzieht. Am Vormittag befindet eine spezielle Sprachkommission aus wenigen Mitgliedern über erlaubte und unerlaubte Wörter und Sprachwendungen, am Nachmittag werden deren Resultate von allen Mitgliedern der Académie diskutiert und bestenfalls akzeptiert.

Doch die einstige politische Sprachexpansion, die noch im 19. Jahrhundert den Dictionnaire in den Dienst aller Europäer und weit darüber hinaus all jener stellte, die ihre Französischkonversation verbessern wollten, ist einer sprachlichen Defensivstrategie gewichen. Der Angreifer ist stets das Englische, und Madame Carrère d’Encausse hat vor langer Zeit den Feind ausgemacht: «Die Anglizismen zerstören die französische Sprache.» So ist denn etwa die Kommission der Begriffsreinheit in der Académie eifrig bemüht, möglichst gleichwertige französische Wörter für englische Ausdrücke wie «computer» zu finden oder zu erfinden, und grundsätzlich will die Académie bei neu auftauchenden Wörtern prüfen, ob sie «dem französischen Geist» («génie français») entsprechen.

Zudem muss die Académie française zur Kenntnis nehmen, dass just in dem Augenblick, da sie ihren Wortschatz dem Internet anvertraut, dieses zum neuen Gegner der französischen Orthographie wird. Da ist vor allem der Zwang zur Verkürzung, dem etwa die klassische Abschlussformel eines Briefes zum Opfer gefallen ist: An die Stelle der herkömmlichen Wertschätzungsformeln ist ein lakonisches «herzlich» («cordialement») getreten – oder gar die Abkürzung «cdt».

Ausserdem hat das Befragungsunternehmen Opinion Way – schon wieder ein unerwünschter englischer Begriff – herausgefunden, dass die Generation der unter Dreissigjährigen, die mit SMS, Internet und sozialen Netzwerken aufgewachsen ist, Schaden an ihren Orthographiekenntnissen genommen hat. Dreissig Prozent von ihnen gestehen ein, dass sie Schwierigkeiten mit der korrekten Schreibweise der Wörter und Sätze haben und dass diese Schwäche «ein Hindernis bei der Entwicklung ihrer Karriere» sein kann. Grosse französische Konzerne fürchten denn auch, dass sich dieser Mangel an Sprachkompetenz negativ auf die Arbeit ihrer Angestellten auswirken könnte. Entsprechend bietet etwa die Grossbank BNP Paribas ihren Angestellten Fortbildungskurse in Orthographie an.

Ob die Académie française einen Beitrag zur Richtigkeit und Reinheit der französischen Sprache leisten kann, indem sie sich mit ihrem Wörterbuch dem Internet anvertraut? Diese Frage bleibt offen. Aber zumindest können Linguisten und Komparatisten nun in die historische Tiefe der französischen Sprache vordringen.