Mehr als ein Drittel der Migranten findet in Europa eine Arbeit. Im Bild ein Migrant auf Lampedusa. (Bild: Dan Kitwood / Getty)

Mehr als ein Drittel der Migranten findet in Europa eine Arbeit. Im Bild ein Migrant auf Lampedusa. (Bild: Dan Kitwood / Getty)

Wieso Afrikaner illegal nach Europa kommen

Wer aus Afrika illegal nach Europa migriert, ist vergleichsweise gut gebildet und hat in der Heimat oftmals mehr verdient als der Durchschnitt. Wieso machen sich trotzdem Tausende auf die gefährliche Reise? Eine Studie gibt Antworten.

Fabian Urech
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Es sind nicht die Ärmsten, die aus Afrika nach Europa migrieren. Viele haben in ihrer Heimat die Schule abgeschlossen, nicht wenige hatten gar einen Job. Das geht aus einem Bericht der Uno-Entwicklungsorganisation UNDP hervor, der am Montag veröffentlicht wurde.

Die Studie, die auf Interviews mit rund 3000 afrikanischen Migranten in 13 europäischen Ländern basiert, wirft ein Schlaglicht auf die eklatanten ökonomischen Unterschiede zwischen Europa und Afrika. Sie zeigt, dass sich die illegale Migration für viele Afrikaner finanziell auszahlt. Und dass sie kaum abnehmen wird.

Der Lohn reicht nicht zum Leben

Auf den ersten Blick hatte es für viele der befragten Afrikanerinnen und Afrikaner wenig Grund gegeben, ihr Heimatland zu verlassen. Ihre Ausbildung schien ihnen berufliche Perspektiven zu eröffnen. Die meisten verfügten mindestens über einen Sekundarschulabschluss, jeder Achte hatte studiert oder eine Berufslehre abgeschlossen. Im Schnitt waren sie drei Jahre länger zur Schule gegangen als Gleichaltrige in ihren Heimatländern. Zudem hatte rund die Hälfte der Befragten einen Job. Im Schnitt verdienten sie 60 Prozent mehr als ihre Mitbürger.

Trotzdem – und obwohl über ein Viertel der Befragten in ihrer Heimat liiert war und Kinder hatte – machten sie sich auf die riskante Reise Richtung Europa. Gründe dafür werden im UNDP-Bericht verschiedene genannt; der wichtigste aber ist ein simpler: Zum Leben hatte das Geld, das sie in ihrer Heimat verdient hatten, nicht ausgereicht. 70 Prozent der Befragten gaben an, dass sie sich damit schlicht nicht haben finanzieren können. Selbst unter jenen mit regelmässigem Einkommen liegt dieser Wert bei 50 Prozent.

Wichtigster Grund, nach Europa auszuwandern

Angaben in Prozent

Als wichtigsten Grund, nach Europa auszuwandern, nennen denn auch fast zwei von drei Befragten die Aussicht auf eine Arbeit und damit auf einen Wohlstandsgewinn.

Schlechtere Jobs, deutlich besserer Lohn

Für viele, so zeigt die Studie, hat sich die Reise in dieser Hinsicht ausbezahlt. Das gilt insbesondere für jene, die trotz illegaler Einreise einen Job gefunden haben. Insgesamt sind dies 38 Prozent aller Befragten, über ein Drittel von ihnen wird illegal beschäftigt.

Finanziell scheint sich die Reise aber selbst für viele gelohnt zu haben, die hier bisher keine Arbeit gefunden haben: Insgesamt geben 73 Prozent an, dass sich ihre finanzielle Lage in Europa verbessert hat. «Irreguläre Migration», hält der Bericht fest, «ist für die Interviewten eine Investition in eine bessere Zukunft.»

Tatsächlich sind die Einkommensunterschiede zwischen Europa und den afrikanischen Herkunftsländern teilweise eklatant. Zwar verdienen die befragten Migranten hier im Schnitt nur rund 1000 Dollar pro Monat. Das aber ist durchschnittlich dreimal mehr, als sie zuvor in ihrer Heimat verdient hatten – nicht selten in nominell besseren Jobs. Laut der UNDP-Studie hätten jene Afrikaner, die zu Hause einen Job hatten, selbst bei einem jährlichen Salärzuwachs von 3 Prozent durchschnittlich 40 Jahre warten müssen, um – kaufkraftbereinigt – das Lohnniveau zu erreichen, das sie nun in Europa haben.

Finanziell besonders attraktiv scheint die Migration für Afrikanerinnen. Sie finden in Europa häufiger einen Job als männliche Migranten. Und während sie in ihren Heimatländern im Schnitt 26 Prozent weniger verdienten als die Männer, sind es in Europa 11 Prozent mehr.

90 Prozent würden wieder kommen – trotz allen Schwierigkeiten

Die meisten Migranten bezahlen für diese Einkommensgewinne aber einen hohen Preis. Jeder Zehnte unter den Befragten ist obdachlos, 77 Prozent geben an, sie fühlten sich einsam in Europa, 80 Prozent vermissen das Leben in ihrem Heimatland. Zudem empfanden über 90 Prozent die Reise nach Europa – die meisten reisten via Libyen über das Mittelmeer an – als schlimmer als erwartet.

Offenbar nehmen die Betroffenen diese Einschränkungen aber bewusst in Kauf. Nur 2 Prozent der Migranten geben an, dass sie die Reise nicht angetreten hätten, wenn sie gewusst hätten, was auf sie zukommt. Auf die Frage, was sie vom Auswandern abgehalten hätte, lautet die mit Abstand häufigste Antwort: Nichts.

Was hätte Sie von der Reise nach Europa abgehalten?

Angaben in Prozent

Dass sich an dieser Dynamik kurzfristig etwas ändert, glauben die Autoren der Studie nicht. Vielmehr kommen sie zum Schluss, dass die gegenwärtigen Entwicklungen in Afrika dazu führen, dass die Migration für viele Menschen überhaupt erst zur Option wird.

Die Studie verweist dabei auf eine Erkenntnis, die in der Forschung inzwischen bestens dokumentiert ist: Es sind nicht die Ärmsten, die über die unmittelbare Region hinaus emigrieren; dazu fehlen ihnen meist schlicht die Mittel. Oft sind es gebildete, gut informierte, arme, aber nicht existenziell bedrohte junge Menschen, die aufbrechen. Menschen, so schreibt die Studie, deren Ambitionen grösser sind als die begrenzten lokalen Möglichkeiten.

Und von diesen gebe es aufgrund der wirtschaftlichen Fortschritte auf dem Kontinent immer mehr: «Die meisten afrikanischen Länder befinden sich in einem Entwicklungsstadium, in dem sich die Migration erst zu intensivieren beginnt.»

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