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Navi-Software von der Suchmaschine: Google Maps Navigation

Foto: REUTERS/ Google

Neuer Google-Coup Navi-Mammuts sind vom Aussterben bedroht

Sie haben 2500 Euro für das Navi-System in ihrem Auto ausgegeben? Kann man machen, muss man aber nicht. Denn der Markt für die Orientierungshelfer gerät ins Rutschen. Newcomer werden brutal unter Druck gesetzt - und der Gigant Google könnte am Ende als Sieger dastehen.

Die Zukunft des Internets liegt auf der Straße. Daran zweifelt kaum jemand, der jetzt schon in der komfortablen Situation lebt, ein internetfähiges Handy mit entsprechendem Datenvertrag zu besitzen - gerade unterwegs ist man häufig darauf angewiesen sich schnell Informationen oder Orientierung zu verschaffen, und was wäre da besser geeignet, als die universelle Antwortmaschine Internet?

Doch mobiler Web-Zugriff ist nur der erste Schritt. Der zweite und dritte werden dafür sorgen, dass sich der Globus nach und nach mit einem unsichtbaren Netz aus Informationen überzieht, ohne die wir alle bald nicht mehr auskommen wollen werden. Das Fenster in dieses Informationsuniversums wird das Handy sein. Die Verschmelzung von satellitengestützter Navigation, Karten- und Bildmaterial von jedem beliebigen Ort und all der Information, die das Netz über viele Orte auf diesem Planeten bereithält, ist noch nicht einmal ansatzweise erschlossen.

Wie die mobile Navigations- und Informationszukunft aussehen wird, kann man heute schon erahnen. Was allerdings in diesen Tagen erst deutlich wird, ist, wie brutal der Überlebenskampf auf diesem doch eigentlich noch jungen Markt geworden ist. Am Ende könnte einmal mehr Google als Sieger dastehen. Für Branchengiganten wie Tomtom, Garmin und auch Nokia brechen sehr schwere Zeiten an.

Wie erbittert der Kampf um die Umsätze bereits tobt, zeigt der Fall des Branchenneulings Skobbler: Die Firma, ursprünglich ein Projekt von Navigon, wurde 2008 als selbstständiges Unternehmen ausgegründet und bot zunächst eine Navi-Software mit integrierter Umkreissuche für Handys von Herstellern wie Nokia, LG und Samsung an. Als aber eine Skobbler-Version für das iPhone in Apples App Store erschien, wurde es turbulent. Die Software war plötzlich Megaseller und Zankapfel zugleich.

Billig-Software gefährdet Mega-Erlöse

"Zuerst hat uns Navigon noch zu dem überraschenden Erfolg gratuliert", sagt Skobbler-Mitgründer Marcus Thielking SPIEGEL ONLINE. Als Skobbler dann aber binnen weniger Tage zur meistverkauften Anwendung im App Store wird, wendet sich das Blatt. Offensichtlich greifen iPhone-Anwender, die eine Navi-Software suchen, jetzt lieber zu Skobbler als zur Navigon-Lösung. Eine verständliche Entscheidung. Skobbler ist zwar bei weitem nicht so umfangreich wie die Software von Navigon, wird aber zur Einführung für 3,99 Euro angeboten. Die Navigon-Software kostet dagegen, je nach Kartenabdeckung, zwischen 70 und 100 Euro. Skobbler ist ein Schnäppchen für Pragmatiker.

Skobblers Erfolg schadet Navigons und Apples Umsätzen gewaltig. Genaue Angaben darüber, um wie viel Geld es dabei geht, oder wie viele Exemplare einer App man verkaufen muss, um im App Store auf dem ersten Platz zu landen, machen weder Apple noch die im App Store vertretenen Anbieter. Man kann allerdings davon ausgehen, dass zumindest ein paar tausend pro Tag verkaufter Exemplare nötig sind, um an die Spitze zu kommen. Je nach Preis kann ein Topseller also durchaus fünf- bis sechsstellige Umsätze generieren - täglich.

Auf einmal übte irgendjemand Druck auf Skobbler aus. Wer genau das ist, mag die Firma zunächst nicht verraten. Thielking spricht im Skobbler-Blog nur von Anrufen, die "nicht nett" seien, und erklärt lediglich, "Konstellation und Schlagkraft der 'Anrufer'" könnten " ein wirklich ernstes Problem für Skobbler insgesamt " werden. Erst jetzt erklärt das Unternehmen, Navigon habe offenbar versucht Apple dazu zu bewegen, Skobbler aus dem App Store zu entfernen. Navigon wollte zu dem Vorwurf auf Nachfrage von SPIEGEL ONLINE derzeit keine Stellung nehmen.

Zunächst fügte sich die kleine Firma den Forderungen: Marcus Thielking meldete im Skobbler-Blog , man werde den Preis für die Applikation bereits ab dem 17. Oktober, gut einen Monat früher als geplant, auf 7,99 Euro erhöhen. Zudem müsse man den Anbieter des Kartenmaterials wechseln. Bisher nutzte Skobbler die Karten der Nokia-Tochter Navteq in Lizenz. Diese Lizenz ist dem Unternehmen nun offenbar entzogen worden.

Das Resultat dieser Ankündigung und der Verdopplung des Preises: Skobbler verliert binnen kürzester Zeit seinen Spitzenplatz im App Store, ist mittlerweile nicht einmal mehr in den Top 10 vertreten. Gerüchten zufolge ging die Zahl der verkauften Skobbler-Apps seither um mehr als die Hälfte zurück. Mittlerweile hat Navigon Klage gegen Skobbler eingereicht. Als Reaktion hat die kleine Firma den Preis für ihre Lowcost-Software vorerst wieder gesenkt, auf 4,99 Euro.

Das Geschäftsmodell der Navi-Hersteller liegt am Boden

Der Fall zeigt: Hier wird mit harten Bandagen gekämpft. Ob Skobbler langfristig überlebt, ist für die Zukunft der Branche dennoch zweitrangig. Der tatsächliche Gegner der Giganten kommt aus Mountain View, Kalifornien. Einmal mehr schickt sich Google an, ein etabliertes Geschäftsmodell auszuhöhlen - indem der Konzern eine bislang teuer zu bezahlende Dienstleistung künftig kostenlos und werbefinanziert anbietet. In den USA ist das bereits geschehen: Seit Ende Oktober kann man dort das mit dem Google-Betriebssystem Android ausgestattete Motorola-Handy Droidbekommen. In Droid ist auch ein Navigationssystem eingebaut. Und das zu benutzen, kostet nichts extra. Es ist schlicht ein zusätzliches Werkzeug im Schweizer Offiziersmesser Smartphone.

Bei der Konkurrenz sieht das anders aus: Wer Nokias Navigationssoftware Ovi Maps nutzen will, muss dafür eine kostenpflichtige Lizenz erwerben, die mit Europakarte 60 Euro pro Jahr kostet. Eine europaweite Tomtom-Anwendung fürs iPhone oder Windows-Mobile-Smartphones schlägt mit 100 Euro zu Buche. Bei Tomtom heißt es auf Nachfrage, man biete derzeit keine entsprechende Anwendung für Android-Handys an, könnte das jedoch "in Erwägung ziehen, wenn sich da ein Businessmodell anbieten würde".

Dieses potentielle Businessmodell dürfte Google mit der Einführung kostenloser sogenannter turn-by-turn-Navigation fürs Telefon soeben vernichtet haben - zumindest für die USA. Bislang, das ergaben erste Tests in den Vereinigten Staaten, sind reine Navigationsgeräte zwar noch komfortabler als ein Droid mit Google-Navigation. Doch man kann davon ausgehen, dass letztere durch Software-Updates ständig verbessert wird. Kostenpflichtige, eigenständige Navigationsdienste könnten schon in wenigen Jahren der Vergangenheit angehören - denn alles, was ein Navi an Hardware braucht, etwa ein GPS-Empfänger, ist in aktuellen Smartphones ohnehin eingebaut - ohne nennenswerten Aufpreis. Und die Karteninformation will Google ab jetzt verschenken.

Googles trojanische Pferde - die Streetview-Autos kartografierten heimlich

Der Coup, den Google in den USA gelandet hat, steht auch Europa vermutlich in nicht allzu langer Zeit bevor. Er basiert auf der Tatsache, dass die Streetview-Kameraautos, die seit vielen Monaten durch deutsche Städte fahren, in Wahrheit trojanische Pferde sind - sie tun viel mehr, als nur Straßenzüge und Häuserfronten zu fotografieren. Für Turn-by-Turn-Navigation braucht man sehr spezielle Informationen - wo ist eine Einbahnstraße, wie viele Fahrspuren gibt es, welche Geschwindigkeitsbegrenzungen gelten wo? Manche kann man sich wohl aus Datenbanken besorgen, andere müssen vor Ort erhoben werden - und natürlich die Karteninformation selbst. All das haben die Streetview-Autos in den USA bereits erfasst, was Google auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE bestätigte. Deshalb steht auf den Googlemaps-Karten für Nordamerika als Rechteinhaber nun nicht mehr TeleAtlas oder NavTeq in der rechten unteren Ecke - sondern Google.

Was das bedeutet, illustriert man am besten mit zwei schlichten Zahlen: 2,7 Milliarden Dollar - soviel hat Tomtom im Juli 2007 für den Karten-Anbieter TeleAtlas bezahlt. Und 8,1 Milliarden Dollar - soviel zahlte Nokia zwei Monate später für den einzigen echten TeleAtlas-Konkurrenten NavTeq. Googlemaps bestanden lange Zeit fast ausschließlich aus dem Material der beiden Mapping-Giganten. Schon im September 2008 jedoch trennte sich der Suchmaschinenkonzern von NavTeq. Im Oktober 2009 war dann TeleAtlas dran. Nun steht auf allen Karten für die USA rechts unten: Copyright Google.

Im Handstreich und nahezu unbemerkt hat sich der Suchmaschinen-Konzern seine eigenen Karten gemalt, komplett mit allen Informationen, die man zum Navigieren braucht. Es liegt auf der Hand, dass die laut Google "Dutzenden" Streetview-Autos, die noch bis Ende November durch Deutschland fahren, genau den gleichen Auftrag haben wie ihre Kollegen in den USA. Ein Telefon mit Gratis-Navi für Deutschland oder ganz Europa dürfte nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen. Streetview Deutschland jedenfalls soll es im Frühjahr, spätestens in der ersten Hälfte 2010 geben.

Geschäftsmodell Vor-Ort-Online-Werbung

Googles Pläne zu erraten ist nun nicht mehr weiter schwierig: Die äußerst mächtige Verbindung von Ortsinformation und Sachinformation, die mobile Navigationsgeräte nun bieten können, ist für Kunden unheimlich nützlich. Für Google dagegen ist sie eine völlig natürliche Erweiterung des eigenen Geschäftsmodells: "Sponsored Links" zu nahegelegenen Restaurants, Autowerkstätten, Tankstellen oder Einzelhändlern könnten für die Werbetreibenden womöglich noch effektiver sein als die bezahlten Suchergebnisse, mit denen der Konzern bislang seine Milliarden verdient. Das Geschäftsmodell "kostenlos für den Kunden" hat sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich als anderen überlegen erwiesen.

Eine Einschränkung gibt es allerdings: Um die Google-Navigation zu nutzen, muss man per Datenverbindung auf einen Server zugreifen - kontinuierlich. Besonders bei internationalen Reisen könnte das ein nicht zu vernachlässigender Stolperstein für Googles Strategie werden - Daten-Roaming ist immer noch absurd kostspielig.

Es ist also im Interesse des Konzerns, möglichst schnell und möglichst flächendeckend preisgünstige mobile Daten-Flatrates durchzusetzen. Mobilfunkanbieter, die ihren Kunden Google-Handys anbieten wollen, können sich wohl auf äußerst harte Verhandlungen mit den Suchmaschinisten einstellen. Den Navigationsgeräte-Herstellern dagegen werden Verhandlungen nicht mehr helfen - sie können nur überleben, wenn ihre Produkte so viel besser sind, dass zumindest einige Kunden weiterhin dafür zahlen wollen. Dass die aber lieber sparen, zeigt eindrücklich der Fall Skobbler.

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