Gastkommentar

Deutschland ist Exportweltmeister dank riskanten Finanzanlagen

Die Stetigkeit der deutschen Leistungsbilanzüberschüsse ist fast schon legendär. Als Ersparnis im Ausland, die in der Gegenwart durch Konsumzurückhaltung im Inland ermöglicht wird, sind sie indes nur dann vorteilhaft, wenn eine positive Rendite erwirtschaftet wird. Das ist aber nur noch bedingt der Fall.

Taiki Murai und Gunther Schnabl
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Auch in Hollywood hat man wenig erfolgreich in Medienfonds investiert. «Stupid German Money» sagen die Amerikaner dazu. (Bild bna.)

Auch in Hollywood hat man wenig erfolgreich in Medienfonds investiert. «Stupid German Money» sagen die Amerikaner dazu. (Bild bna.)

Deutschland wird wieder Exportweltmeister. 2018 wird der Leistungsbilanzüberschuss bei rund 300 Milliarden US-Dollar liegen. Kaum wahrgenommen wird, dass ein Exportüberschuss immer mit einem Nettokapitalexport verbunden ist, der diesen finanziert. Der deutsche Export boomt seit der Jahrtausendwende, weil im Saldo sehr viel Kapital ins Ausland abfliesst, insbesondere über Direktinvestitionen, Käufe ausländischer Wertpapiere und internationale Kredite.

Die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse sind eigentlich eine Ersparnis im Ausland, die in der Gegenwart durch Konsumzurückhaltung ermöglicht wird. Doch Sparen ist kein Selbstzweck, sondern soll zukünftigen Konsum finanzieren. Zum Beispiel konnten im Zuge der deutschen Wiedervereinigung hohe Auslandsvermögen zurückgeholt werden, um den Wiederaufbau von Ostdeutschland zu finanzieren. Die deutschen Exportüberschüsse sind aber nur dann für die Bürger vorteilhaft, wenn eine positive Rendite erwirtschaftet wird und die Auslandsanlagen wieder zurückgezahlt werden. Beides ist seit 2008 aus drei Gründen nur noch bedingt der Fall.

Entwertung vieler Anlagen

Erstens wurden im Verlauf der US-Hypothekenmarktkrise und der europäischen Finanz- und Schuldenkrise viele Auslandsanlagen entwertet. Das offiziell ausgewiesene Nettoauslandsvermögen Deutschlands war Ende 2017 mit 1927 Milliarden Euro um 833 Milliarden Euro niedriger als die Summe der seit 1981 erwirtschafteten Leistungsbilanzüberschüsse. Zum Beispiel wurden die Anlagen vieler deutscher Landesbanken im US-Hypothekenmarkt entwertet, so dass einige kollabierten. Auch bei Bankkrediten (etwa nach Griechenland) sowie Unternehmensübernahmen (etwa Voice Stream durch die Deutsche Telekom) stellten sich hohe Wertverluste ein.

In den USA spricht man auch von «Stupid German Money», das wenig erfolgreich investiert wurde.

Zweitens hat die Deutsche Bundesbank seit 2008 über das Target-2-Interbankenzahlungssystem des Systems der Europäischen Zentralbanken bis heute Forderungen in Höhe von 957 Milliarden Euro angehäuft, denen entsprechende Verbindlichkeiten anderer Euro-Länder gegenüberstehen. Die Target-2-Forderungen der Deutschen Bundesbank sind nicht verzinst, nicht rückzahlungspflichtig und nicht einforderbar. Da man den hochverschuldeten, wirtschaftlich schwachen Staaten im Süden des Euro-Gebietes nicht in die Taschen greifen kann, betrachten wir diese Forderungen vereinfachend als Transfers zur Stabilisierung der Europäischen Währungsunion.

Entwertung des deutschen Auslandsvermögens

In Mrd. Euro
Nettoauslandsvermögen
Akkumulierte Leistungsbilanzüberschüsse
Nettoauslandsvermögen (minus Target2-Forderungen)
Approximiertes Nettoauslandsvermögen (plus entgangene Zinsgewinne)

Drittens haben die Zentralbanken in Europa und den USA seit 2008 sowohl die Leitzinsen als auch die langfristigen Zinsen gegen null gedrückt, so dass sich viele Finanzanlagen gering oder gar nicht mehr verzinsen. Wenn das deutsche Nettoauslandsvermögen in Europa und den USA seit 2008 weiterhin mit dem Niveau von 2007 verzinst und thesauriert worden wäre, wäre das Nettoauslandsvermögen Ende 2017 um 641 Milliarden Euro höher gewesen.

Geld, das anderswo fehlt

Addiert man zu den nicht realisierten Zinsgewinnen die realisierten und noch nicht realisierten Verluste, dann sind das bis zu 2394 Milliarden Euro zum Stichtag 31. 12. 2017. Das entspricht der Summe des Bargeldumlaufs und der Bankeinlagen aller Haushalte in Deutschland (2326 Milliarden Euro im Januar 2018). Es ist, als hätte jeder deutsche Bürger über zehn Jahre hinweg jährlich zirka 2900 Euro ins Ausland verschenkt. Das sind 116 000 Euro für eine vierköpfige Familie. Zum Vergleich: Eine Familie mit zwei Kindern soll neuerdings über zehn Jahre hinweg 24 000 Euro Baukindergeld erhalten.

Die Nachfrage nach den deutschen Produkten boomt also massgeblich dank verschenktem Geld. Entscheidend für erfolgreiches Sparen ist die Qualität der Anlagen, die im Falle von Deutschland offensichtlich oft schlecht ist. In den USA spricht man auch von «Stupid German Money», das wenig erfolgreich in Hollywood (etwa in Medienfonds), am US-Hypothekenmarkt (zum Beispiel IKB, Hypo Real Estate und Landesbanken) oder in zweifelhafte Schiffsfonds (zum Beispiel HSH Nordbank) investiert wurde. Zudem haben deutsche Unternehmen für Übernahmen überhöhte Preise bezahlt, etwa Daimler für Chrysler, BMW für Rover und zuletzt wohl Bayer für Monsanto.

Der deutsche Staat schafft durch Steuervergünstigungen (beispielsweise für kreditfinanzierte Übernahmen sowie Medien- und Schiffsfonds) und Ausgabenzurückhaltung (schwarze Null) Anreize für die grossen Kapitalexporte. Die EZB treibt das Kapital durch niedrige Zinsen ins Ausland. Das freut zwar die deutsche Exportindustrie. Die Bürger bezahlen jedoch in Form von geringen realen Lohnsteigerungen. Die Infrastruktur ist brüchig, etwa was Brücken, Strassen, Schienen und Datenübertragung betrifft. Öffentliche Dienstleistungen (wie Pflege, Polizeischutz, Verteidigung, Kinderbetreuung) weisen wachsende Mängel auf.

Eine zunehmende Unzufriedenheit unter den deutschen Bürgern äussert sich in einer schrumpfenden Unterstützung für die regierende Koalition. Ein Umschwung bei der Geld-, Finanz- und Lohnpolitik ist jedoch noch nicht zu erkennen.

Gunther Schnabl ist Professor für Wirtschaftspolitik und internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Leipzig. Taiki Murai ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Leipzig.