Ade, du schöne Hutgerechtigkeit! Vom Kommen und Gehen der Wörter

Der Duden ist nicht nur die massgebliche Institution für unsere Rechtschreibung. In seinem Wandel spiegelt er auch unsere Mentalitätsgeschichte.

Paul Jandl
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Bleiben oder gehen? Manche Wörter haben es schwer. (Bild Goran Basic / NZZ)

Bleiben oder gehen? Manche Wörter haben es schwer. (Bild Goran Basic / NZZ)

Ach, die deutsche Sprache! Es seufzt und träumt in ihrem Gebälk. Sie hat Wörter erfunden wie Nachhausekunft, Zugemüse, dankbarlich, Nirgendland, Honigseim und Hutgerechtigkeit. Und wozu? Nur damit immer weiter neue Wörter erfunden werden. Es ist ein Kommen und Gehen. Am Einfallstor der deutschen Sprache steht seit Jahr und Tag der Duden, und manchmal macht er auch Inventur.

Welche Wörter im Lauf der Zeiten aus diesem Kanon sprachlicher Befindlichkeit geflogen sind, kann man jetzt in einem Buch nachlesen. Es heisst «Was nicht mehr im Duden steht» (Verlag Bibliografisches Institut) und ist die wundersame Gemütsgeschichte einer Sprache, die weder vor «Empfindelei» (gestrichen 1986) noch vor «Afterweisheiten» (1934) zurückschreckt. Die «schabernackisch» (1967) und «nachdenksam» (1951) sein kann.

Ankunft des Busenwunders

Früher war vieles anders. Da fuhr der Zärtling in Überschwupper und Autocoat zum Lawn-Tennis, um sich danach an Hotschpott und Zugemüse zu laben. Möglich, dass er abends noch mit schnakigen Tanzgirls beisammensass. Apropos: Der «Busenstar» hat im Duden-Reich des Jahres 2000 das Zeitliche gesegnet, genauso wie die «Sexboutique». Dafür ist das «Busenwunder» (auf vielfachen Wunsch?) in die Ausgabe von 2017 aufgenommen worden.

Nicht immer sind die Wege der Redaktion so erforschlich wie bei politischen Umbrüchen. Das Wort «Nahrungssorgen» hat die NS-Ideologie im Kriegsjahr 1941 eigenhändig aus dem Duden getilgt, während weit weniger harmlose Begriffe hinzugekommen sind. Dafür mussten sich Adolf Hitler und seine Wörter-Entourage 1947 aus dem Duden verabschieden. «Blutschutzgesetz» und «Reichssportführer» kamen in der damaligen 13. Auflage nicht mehr vor. Die Worte «Sippenforschung» (2006) und «Rassenkampf» (1973) haben aber noch eine Weile überdauert.

Der Duden bildet die deutsche Sprache und den Gebrauch der Wörter ab, aber er ist kein kommunikatives Benimmbuch. Vor dem Gebrauch der Wörter muss man warnen, und das tut der Duden gelegentlich auch. Der «Arschmonarch», der «Hosentrompeter» und der «Schlampampenmacher» passen nicht zum feinen Ton.

Was die vermeintliche Überfremdung der deutschen Sprache durch Wortmigranten aus anderen Kulturkreisen betrifft, kann der Wutbürger (seit 2017 im Duden) kräftig durchatmen. Seit dreissig Jahren bleibt der Bestand an englischstämmigen Wörtern im Duden gleich. Er liegt bei etwa 3,7 Prozent. Peter Graf, deutscher Lektor und Verleger, hat den Duden der verlorenen Wörter herausgegeben und zeigt in feinen Essays, wie die Sprache sich durch das Leben der Menschen verändert und umgekehrt.

Vergänglicher Fortschritt

Niemand wird «Rezdechausse» für «Erdgeschoss» vermissen, aber der «Nachschimmer» hatte was. Das Schöne am Fortschritt ist, dass er sich irgendwann auch selbst überlebt. Der aus dem Computerwesen stammende Begriff «Jahr-2000-fähig» war spätestens 2001 obsolet, hat sich aber noch bis 2017 im Duden gehalten. Ausländische Neuerfindungen wie die «Sickerhetständstickor» waren bald nicht mehr ganz so neu und konnten sich unter dem Begriff «Sicherheitszünder» weiter durchsetzen. Das feine Wort «Nyktitropismus», das vom Schlafleben der Pflanzen handelt, ist schliesslich 1961 selbst entschlummert.

Wenn die Wörter gehen, dann soll man aber niemals nie sagen. In hohem Bogen sind manche Begriffe aus dem offiziösen Inventar des Deutschen geflogen, um Jahre später dort wieder aufzutauchen. Was sagt es über uns, dass wir das Wort «Nationalcharakter» nach seiner Duden-Entlassung ebenso vermisst haben wie «Eierpunsch»?