Gastkommentar

Einen Korb bekommen: Unser Alltag ist voll von Redensarten, deren Sinn den wenigsten bewusst ist

Fast täglich brauchen wir – bewusst oder unbewusst, oft sogar floskelhaft – Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten, deren Sinn und Bedeutung man erahnt, aber nicht immer genau kennt.

Angelo Garovi
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Den Faden verloren? Viele Redensarten lehnen an traditionelles Handwerk an (Bild: Gaetan Bally / Keystone)

Den Faden verloren? Viele Redensarten lehnen an traditionelles Handwerk an (Bild: Gaetan Bally / Keystone)

In seiner Rede fehlte ein roter Faden, sagt man und meint damit, dass die Rede kein Redeziel verfolgte – und so keinen nachhaltigen Eindruck hinterliess. Kein Geringerer als Goethe erklärt diese Redensart in seinen «Wahlverwandtschaften»: «Wir hören von einer besonderen Einrichtung bei der englischen Marine. Sämtliche Tauwerke der königlichen Flotte, vom stärksten bis zum schwächsten, sind dergestalt gesponnen, dass ein roter Faden durch das Ganze durchgeht, den man nicht herauswinden kann, ohne alles aufzulösen und woran auch die kleinsten Stücke kenntlich sind, dass sie der Krone gehören.»

Viele Redensarten sind von der Tätigkeit des Spinnens oder Webens abgeleitet, so etwa auch «etwas zu Faden schlagen» (grob entwerfen), meint im ursprünglichen Sinn die Kette des Webstuhls einrichten. Oft hört man den Ausspruch «keinen guten Faden an ihm lassen», das heisst: nur Schlechtes von ihm reden. Diese Redensart stammt ebenfalls aus der Zunftsprache der Weber: Der Lehrmeister hatte das Meisterstück der Gesellen nach «Strich und Faden» zu prüfen. War es schlecht, liess er keinen guten Faden an dem Stoff. Und aus der Antike stammt die mythologische Vorstellung vom Lebensfaden, den die Parzen, die Schicksalsgöttinnen, jedem Menschen spannen und beim Tod durchschneiden.

Im siebten Himmel sein

Vorher, vor dem Tod, sollte mit dem Himmel abgerechnet sein, wie es bei Friedrich Schiller heisst: «Mach deine Rechnung mit dem Himmel, Vogt», ruft Tell Gessler in der Hohlen Gasse zu. Der Himmel ist nach der Bibel der Ort des Weltgerichts, «es schreit zum Himmel», sagt man bei einer schrecklichen Tat. Der Himmel ist aber vor allem der Ort der Glückseligkeit. Das vollkommene Glück ist im Himmel: «Das Auge sieht den Himmel offen, / Es schwelgt das Herz in Seligkeit», heisst es in Schillers «Glocke». Der «siebte Himmel» kommt in frühen jüdischen Texten vor, nach dem Talmud ist der siebte Himmel der oberste Himmel (Araboth), der Ort des Rechts und der Gerechtigkeit. Dort ist Gott mit seinen Engeln. Das vom berühmten Renaissancemaler Raffael um 1503 für Perugia gemalte Bild der «Krönung Mariens» zeigt den Himmel mit Geigen spielenden Engeln, und in einer Weihnachtsgeschichte schreibt der Reformator Martin Luther «der Himmel hängt voller Geigen».

Nicht im siebten Himmel der Liebe ist, wer von einer Angebeteten abgewiesen wird und «einen Korb bekommen» hat. Der Korb spielte in mittelalterlich-höfischer Zeit in den Liebesbeziehungen eine grosse Rolle. Hatte ein Mädchen einen Liebhaber, dem es sehr zugetan war, zog es ihn – wie mittelalterliche Miniaturen zeigen – zum (Burg-) Fenster hinauf, um dann ungestört mit ihm zusammenzusein. Wehe aber, wenn das Mädchen des Liebesspiels überdrüssig war, dann liess es den Korb aus einer gewissen Höhe fallen oder sorgte dafür, dass dessen Boden nach einer ruckweisen Bewegung durchbrach. Der vermeintliche Schatz fiel so im eigentlichen Sinne des Wortes durch – wie bei einem Examen. Im Laufe der Zeit änderte sich das böse Spiel. Die Schönen ersannen sich eine einfachere Art, um sich einen unwillkommenen Anbeter vom Hals zu halten: Sie schickten ihm kurzerhand einen Korb ins Haus.

Etwas auf dem Kerbholz haben

Im Verdruss hat der Liebhaber dann vielleicht etwas zu viel oder gar «aufs Kerbholz» – auf Rechnung – getrunken. In Schillers «Wallenstein» spendet die Marketenderin dem Wachtmeister und den Kürassieren einen Wein, um auf das Wohl von Piccolomini zu trinken. Sie gibt sich grosszügig und meint: «Das kommt nicht aufs Kerbholz. Ich geb es gern.» Ein Kerbholz ist ein Stück Holz, Tessel oder Beilen genannt, das im Kleinhandel früherer Jahrhunderte gewissermassen als «Milchbüchlein» diente: Der Stab, der Länge nach gespalten, so dass beide Teile einander genau entsprachen, diente zum Einkauf auf Kredit: Dabei wurde eine Kerbe in die nebeneinandergehaltenen Holzteile gehauen. Ein säumiger Zahler hatte mit der Zeit viele Kerben auf dem Stab: Er hatte Schulden. Diese Redewendung wurde dann auch in übertragenem Sinne gebraucht, wer etwas auf dem Kerbholz hatte, der hatte sich etwas zuschulden kommen lassen.

«Schulden» machen auch die Güllener in Friedrich Dürrenmatts «Der Besuch der alten Dame», als Claire Zachanassian, die Multimilliardärin, in ihr Dorf Güllen zurückgekommen ist, um sich an ihrem ehemaligen Geliebten Ill zu rächen. Dürrenmatt zeigt in dem Stück eindrücklich, wie die anfangs im Dorf beschworene Solidarität mit Ill immer mehr abbröckelt, die Versuchung ist zu gross, man gibt ihr langsam nach, macht Schulden und «lässt’s aufschreiben» – das Verhängnis ist nicht mehr zu umgehen.

Ein besonders bühnenwirksames und im Gedächtnis der Zuschauer bleibendes Zeichen dafür sind die «gelben neuen Schuhe», die alle Güllener tragen. Unglaublich, wie Dürrenmatt in diesem Theaterstück virtuos mit den Farben «Gelb» und «Gold» spielt: «Gelb alles, nun ist der Herbst auch wirklich da. Laub am Boden wie ein Haufen von Gold», heisst es bedeutungsvoll im letzten Akt. Gelb, das in seiner Symbolik – das weiss natürlich der Pfarrerssohn Dürrenmatt von der Judasgeschichte – auf Falschheit und Verrat hindeutet; Gold, das seit dem Altertum mit Besitz und Reichtum gleichgesetzt wird, auch in Goethes «Faust»: «Am Golde hängt, zum Golde drängt doch alles».

Angelo Garovi war Linguistikprofessor an der Universität Basel und Mitglied des schweizerischen Dudenausschusses.