«Tscheljabinsk» in Arabien

Schweizer Forscher sind führend in der Meteoriten-Wissenschaft. Jeden Winter suchen sie in Arabien nach Spuren prähistorischer Meteoriteneinschläge.

Alois Feusi
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Auf Expedition in Oman: Einer der Berner Forscher fotografiert einen in der Wüste gefundenen Gesteinsbrocken eines prähistorischen Meteoriten. (Bild: Beda Hofmann)

Auf Expedition in Oman: Einer der Berner Forscher fotografiert einen in der Wüste gefundenen Gesteinsbrocken eines prähistorischen Meteoriten. (Bild: Beda Hofmann)

Als am Morgen des 15. Februar 2013 hoch über Tscheljabinsk ein Meteorit explodierte und einen langgezogenen Steinregen auf die Region der Millionenstadt am Ural prasseln liess, waren Beda Hofmann und Edwin Gnos in der Wüste der Arabischen Halbinsel unterwegs. Die beiden Geologen vom Naturhistorischen Museum der Burgergemeinde Bern beziehungsweise vom Naturhistorischen Museum Genf suchten zusammen mit einem Team der Universität Bern fernab von Internet und Mobiltelefonnetzen nach Meteoriten.

266 Proben in vier Wochen

So kam es, dass zwei der führenden europäischen Experten für ausserirdisches Gestein erst mit mehrtägiger Verspätung vom gewaltigsten irdischen Meteoriteneinschlag seit Tunguska 1908 erfuhren. Etwas gefuchst habe sie das schon, sagt Beda Hofmann in seinem Büro im Berner Naturhistorischen Museum. «Die Unmittelbarkeit war weg. Aber wir haben dafür unsere eigenen Meteoriten gefunden.» Er greift in eine blecherne Transportkiste und nimmt einen mit schützendem Klebeband umwickelten, 8040 Gramm schweren Brocken mit einem Durchmesser von rund 22 Zentimetern heraus.

Der Chondrit mit der Bezeichnung 1302-248 ist der grösste Einzelfund, den das fünfköpfige Team aus Geologen und einem Physiker auf seiner vierwöchigen Forschungsreise nach Oman und Saudiarabien gemacht hat. Am vergangenen Sonntag sind die Forscher mit 266 Proben mit einer Gesamtmasse von rund 21 Kilogramm im Gepäck in die Schweiz zurückgekehrt.

Die Berner Forschen finden auf der Meteoritenexpedition prähistorische Gesteinsbrocken. (Bild: Beda Hofmann)

Die Berner Forschen finden auf der Meteoritenexpedition prähistorische Gesteinsbrocken. (Bild: Beda Hofmann)

Im Februar 2001 waren Gnos, Hofmann und der heutige Chefgeologe der SBB, Marc Hauser, erstmals nach Oman gereist, um dort mit Erlaubnis der Regierung nach Meteoriten zu suchen und diese als Leihgaben zur Analyse in die Schweiz mitzunehmen. Die schwarzen Kiesel und Krümel lassen sich im hellen Wüstensand gut aufspüren. Seit 2001 arbeitet deshalb jedes Jahr ein vier bis sechs Mann starkes Team um Gnos und Hofmann, der neben seinem Amt als Konservator der Abteilung Erdwissenschaften des Naturmuseums auch als Privatdozent am geologischen Institut der Universität Bern lehrt, einige Wochen auf der Arabischen Halbinsel.

Bedeutender Fund 2002

Die Schweizer Forscher sind jeweils abseits von Siedlungen und Strassen mit Geländefahrzeugen in der Einöde unterwegs. Sie übernachten im Schlafsack auf Feldbetten im Freien – und dies bei nächtlichen Temperaturen, die bis auf 4 Grad sinken können. Tagsüber wird es bis zu 34 Grad warm. Das lässt sich bei der in der Wüste herrschenden Trockenheit gut ertragen. Im Sommer allerdings wäre die Hitze höllisch.

Im Mittelpunkt der Kampagne 2013 stand die Untersuchung der Streufelder von zwei Meteoriten in Oman, die Steinregen von 20 und 50 Kilometern Länge verursacht hatten. Es handelt sich quasi um Tscheljabinsk-Meteoriten aus prähistorischer Zeit, deren Spuren in der trockenen Wüste über Tausende und Abertausende von Jahren erhalten geblieben sind. Die Forscher ermitteln die Dynamik des Falls und schliessen anhand der im Gestein eingeschlossenen Edelgase und der Masse der gefundenen Partikel auf die ursprüngliche Grösse der Meteoriten.

Die beiden Schweizer Forscher fotografieren einen Gesteinsbrocken im Streufeld eines Meteoriten in Oman. (Bild: Beda Hofmann)

Die beiden Schweizer Forscher fotografieren einen Gesteinsbrocken im Streufeld eines Meteoriten in Oman. (Bild: Beda Hofmann)

Ein besonders bedeutender Fund gelang den Berner Forschern bereits 2002. Damals stiessen sie in Oman auf einen Mond-Meteoriten aus dem Mare Imbrium. Durch dessen Analyse gelang einem internationalen Konsortium mit Berner Kern der Nachweis, dass das sogenannte Late Heavy Bombardment, das die Planetenbildung im Sonnensystem abschloss, vor 3,9 Milliarden Jahren endete. Bereits 100 Millionen Jahre später entwickelte sich auf der Erde erstes Leben, und die Rate der Einschläge von Meteoriten auf unseren Planeten blieb seither relativ konstant.

Schlüsselereignis im Ural

Beda Hofmann, Edwin Gnos und ihr Team mögen zwar erst mit Verspätung vom Feuerstein von Tscheljabinsk erfahren haben und auch nicht in den Ural gereist sein, aber die Auswertung der Daten von jenem Meteoriteneinschlag wird für sie ausserordentlich wichtig sein. Hofmann erwartet, dass man durch die Analogie der Ereignisse Rückschlüsse auf die Streufelder in Oman wird ziehen können. Vor allem die Verteilung der Objekte in Relation zum Explosionsort werde aufschlussreich sein, und umgekehrt werde sich anhand der Erkenntnisse aus Oman möglicherweise besser abschätzen lassen, wo man im Ural nach Meteoriten-Partikeln suchen müsse.

Ausserdem sei erstmals die ungefähre Grösse eines explodierten Meteoriten bekannt, führt der Berner Geologe weiter aus. Damit verfüge man über einen zusätzlichen Parameter, um die Berner Edelgas-Messungen zur Bestimmung der Grösse eines Meteoriten zu kalibrieren. «Tscheljabinsk ist für die Meteoriten-Wissenschaft auf jeden Fall ein Schlüsselereignis.»

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