Kolumne

Auf eine Zigarette danach

Manche Leute fallen nach dem Sex in eine traurige Stimmung. Der Name dafür: postkoitale Traurigkeit. Womit hat sie zu tun?

Von Birgit Schmid
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Postkoitale Traurigkeit: ob die Zigarette danach dagegen hilft? Kostja Ullmann und Katharina Heyer in «Stellungswechsel». (Bild: Imago)

Postkoitale Traurigkeit: ob die Zigarette danach dagegen hilft? Kostja Ullmann und Katharina Heyer in «Stellungswechsel». (Bild: Imago)

Da liegen beide überschwemmt, und plötzlich diese Traurigkeit. Eben fühlte man sich noch grenzenlos, spürte eine Hitze, eine Fülle und war bereit, alles aufzugeben. Doch von einem Moment auf den andern ist man traurig, und während der Atem ruhiger geht und die Spannung weicht, steigen Tränen auf. Man spürt den kühlen Luftzug vom offenen Fenster, die Schwere der Glieder. Die zuvor geflüsterten Worte stehen abgerissen da.

Das Phänomen wird postkoitale Traurigkeit genannt und heute sogar wissenschaftlich untersucht. Dabei sind es vorwiegend Frauen, die nach der sexuellen Vereinigung in eine schwermütige Stimmung verfallen und manchmal weinen. Sie fühlen sich ausgesetzt, geworfen, aber können nicht sagen, warum. Und so rätselt auch die Forschung über die Gründe, zumal beim Sex Hormone freigesetzt werden, die für ein Wohlgefühl sorgen. Das Wohlgefühl dauert meistens danach an: Dieses Leuchten, das ganze Wesen ist belebt.

Und bitte nicht auch hier noch das In-die-Opferrolle-gedrängt-Werden. Eine emanzipierte Frau kann sagen, was sie will und gerne hat und von einem Mann erwartet.

Aber was, wenn nicht? Werden in den Studien zur postkoitalen Traurigkeit Ursachen genannt, ist von möglichen früheren Missbrauchserfahrungen die Rede und von als Folge davon gestörtem Bindungsverhalten. Frauen könnten sich weniger gut abgrenzen und litten unter Trennungsangst, heisst es – ein Missbehagen, das nach der Verschmelzung besonders akut werde. Sie würden weinen, geht eine andere Erklärung, weil sie keinen Orgasmus hatten oder «das sexuelle Erlebnis nicht den Vorstellungen der Frau entsprach und sie es nicht formulieren konnten».

Doch diese Erklärungen sind selber unbefriedigend, da damit Leidenschaft zur Krankheit umgedeutet wird. Und bitte nicht auch hier noch das In-die-Opferrolle-gedrängt-Werden. Eine emanzipierte Frau kann sagen, was sie will und gerne hat und von einem Mann erwartet. Unterdrücktes weibliches Begehren? Machen wir es uns nicht zu einfach.

Traurigkeit nach dem Koitus muss nichts über die Qualität der Beziehung aussagen. Aber es kann: Womöglich fühlt man sich schon leerer, wenn der andere einem nichts bedeutet; wenn jede Minute danach bloss lästig ist und man sich aus einer Umarmung windet. Dann empfiehlt sich aber eher der französische Abgang als Tränen, die der Falsche missversteht und auf sich bezieht: «War ich nicht gut?»

Es ist die getragene Trauer, wie sie in den Liedern der Band «Cigarettes after Sex» zum Ausdruck kommt.

Gibt es denn nicht gute Gründe dafür, nach dem Höhepunkt traurig zu werden? Alles ist jetzt Abstieg. Nicht zufällig nennen die Franzosen den Orgasmus kleinen Tod, und ein lateinisches Sprichwort geht: «Post coitum omne animal triste», nach der Vereinigung sind alle Lebewesen traurig. Das erfüllte Begehren will nichts mehr, die Kraft ist erschöpft. Stillstand. Leere. Wohingegen es ein Antrieb ist, wenn man begehrt. Sex ist praktizierte Lebensbejahung. Deshalb trifft es Philip Roth in «Das sterbende Tier» so gut, der geschrieben hat: «Nur beim Vögeln übt man an allem, was einem verhasst ist und was einen zu Boden drückt, eine reine, wenn auch nur momentane Vergeltung. Nur dann ist man voll und ganz lebendig, voll und ganz man selbst. Mit Sex übt man auch Vergeltung am Tod.»

Weil dieser Moment der vollkommenen Hingabe nicht andauert, stellen sich unweigerlich Trauergefühle ein. Nachdem man sich verausgabt hat, nimmt man wieder die Grenzen wahr und merkt, wie endlich alles ist. Es ist aber kein verzweifeltes Traurigsein, vielmehr eine Verlorenheit, aus der man auch etwas gewinnt. Es ist die getragene Trauer, wie sie in den Liedern der Band Cigarettes after Sex zum Ausdruck kommt.

Und so ist es jetzt Zeit, eine Zigarette anzuzünden wie damals, als man im Bett noch rauchte. Und die Traurigkeit nachglühen zu lassen.

NZZ-Redaktorin Birgit Schmid schreibt in ihrer Kolumne «In jeder Beziehung» wöchentlich über Zwischenmenschliches.